16.10.2023
Leben in der Wissenschaft - Interview mit Prof. Reinhardt
Hallo Prof. Reinhardt, bitte stellen Sie sich vor und erzählen Sie uns etwas über ihre Forschung.
Ich bin Klaus Reinhardt, Professor für Angewandte Zoologie. Zusammen mit Prof. Oliver Zierau habe ich den Masterstudiengang Biology in Society ins Leben gerufen. Die Forschung meiner Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit den Ursachen männlicher Unfruchtbarkeit. Ich bin einfach fasziniert von Spermienbiologie. Konkret untersuchen wir den Einfluss von verschiedenen Umweltbedingungen auf die Funktion von Spermien.
Was ist eine wichtige Entdeckung, die Sie während Ihrer Karriere als Wissenschaftler gemacht haben?
Wir haben entdeckt, dass weibliche Bettwanzen ein einzigartiges Immunorgan evolviert haben - und das wegen sexuell übertragener Mikroben. Normalerweise haben Insekten ja keine richtigen Immunorgane. Aber lieber ist mir das Nachdenken über Konzepte. Hier hoffe ich, dass meine „Erfindung“ der Spermienökologie eine kleine, wenn auch nur vorübergehende Spur in der Evolutions- und Spermienbiologie hinterlässt.
Was gefällt Ihnen am meisten und am wenigsten an Ihrem Job?
Am meisten mag ich die Freiheit und die Chance über Dinge nachzudenken, die am Ende möglicherweise das Denken von Menschen beeinflussen könnten. In unserem M.Sc.-Kurs „Biology in Society“ habe ich außerdem gemerkt, wie viel Spaß das Unterrichten macht, wenn man dabei Neues entdecken kann. Und natürlich das unglaubliche Gehalt…
Wie fast alle in der Wissenschaft hasse ich die ständig wachsende Verwaltung. Besonders jene, die darauf abzielt, Ranglisten, Berichte, Datenbanken, Informationsquellen usw. zu erstellen, deren einziger Zweck es zu sein scheint, Menschen, Labore, Universitäten, Institute oder Länder zu vergleichen und zu zeigen, wie ausgezeichnet jeder ist. Das ist, finde ich eine bedauerliche Verschwendung von Steuergeldern an unsere Gehälter.
Und ich finde es nicht schön, dass Studierende es manchmal bequemer finden, zu hören, "xyz ist eine Tatsache", anstatt mit mir darüber nachzudenken, wie man zu dieser Aussage gelangt.
Nun eine wichtige Frage an einen Entomologen: Was ist Ihr Lieblingsinsekt und warum?
Ich mag alle ungefähr acht Millionen Arten! Nein, im Ernst... auf Arbeit die Bettwanzen. Immer wenn wir an ihnen forschen, entdecken wir etwas Unerwartetes. Und ich weiß sehr viel über sie. Sonst mag ich Libellen, weil sie schön sind und ich ihre Biologie so gut kenne, dass ich, wenn ich eine bestimmte Art sehe, gleich weiß, ich befinde mich in einem intakten Lebensraum. Ich habe ihre Biologie, ihre Seltenheit usw. im Kopf - dieses große Mosaik aus Wissen fühlt sich großartig an. Und in letzter Zeit habe ich Schildläuse für mich entdeckt - wahrscheinlich, weil jede Art, die man findet, oder über deren Biologie man etwas herausfindet, häufig gleich eine neue Entdeckung ist. Selbst in unserem Bachelor-Kurs „Insekten“ passiert das oft.
Welchen Beruf würden Sie gerne ausüben, wenn Sie kein Professor sein könnten, und welches Fach würden Sie wählen, wenn es nicht Biologie sein dürfte?
Ich denke, ich würde trotzdem in irgendeiner Form schreiben. Ich könnte möglicherweise in die Geschichte abdriften, habe das auch schon getan, aber ich kann mir mein Leben ohne Naturgeschichte nicht vorstellen. Nein, das geht gar nicht! Manchmal stelle ich mir aber vor, wie schön es wäre, acht Stunden zu arbeiten, dann aber zu Hause die Gedanken und die Arbeit am Arbeitsplatz zu lassen.
Welches Buch würden Sie jedem empfehlen zu lesen?
Biologie – auf jeden Fall Sapolskys 'Behave'. Einfach unglaublich.
Fiktion – Mir gefallen die meisten Sachen von T.C. Boyle und Christoph Ransmayr. Und da ist ein wirklich interessanter jüdischer Autor, Clive Sinclair. Den empfehle ich! Für mein eigenes Buch habe ich eine Kurzgeschichte von ihm übersetzt – ich glaube, ich habe noch nie ein geschriebenes Stück gesehen, in dem fast jeder nächste Satz überraschend ist und mit Worten spielt. Lest ihn!
Was würden Sie gerne Neues lernen?
Ich würde mir gern mehr Zeit nehmen und draußen sitzen und zeichnen. Dafür müsste ich aber sowohl das Zeitnehmen als auch das Zeichnen lernen. Und sonst kann ich verraten, dass ich, anstatt etwas Neues zu lernen, die Angst vor Dingen verlieren möchte, die ich vor Jahren gelernt, nicht genutzt und vergessen habe. Und jetzt fühle ich mich zu dumm, um sie wieder neu zu lernen, besonders das statistische Programmieren und die Mikroskopie.
Issue 9 (PDF)