05.05.2024
Tierisch Reich: Wölfe sind zurück in Deutschland - mögliche ökonomische Folgen
Die Wälder in deutschen Märchen sind voller böser Wölfe, ganz im Gegensatz zu den echten Wäldern in Deutschland. Schon seit dem Mittelalter hat der Wolf (Canis lupus lupus) einen schlechten Ruf da er mit den Bauern um ihr Vieh konkurrierte. Wölfe wurden über Jahrhunderte gejagd bis es noch vor 1900 zur Ausrottung in Deutschland kam. 100 Jahre später, seit dem Jahr 2000, begannen die Wölfe langsam das Land wieder zu besiedeln1. Obwohl viel Zeit vergangen ist, ist das Märchen vom bösen Wolf für viele Menschen noch nicht auserzählt und ein Nebeneinanderleben umstritten. Vor allem die wirtschaftlichen Effekte der größerwerdenden Wolfspopulationen spielen in der Diskussion eine Rolle.
Canis Lupus ist weltweit auf der Nordhalbkugel verbreitet. Die Population in Deutschland ist bis 2022 wieder auf 161 Rudel (=1175 Individuen) gewachsen2, 3. Die größte Anzahl an Individuen in Deutschland ist in Brandenburg undSachsen zu finden2,4. Wölfe sind Raubtiere und regulieren auf natürliche Weise die Populationsgröße ihrer Beutetiere. Damit spielen sie eine wichtige Rolle im komplexen Ökosystem des Waldes. Durch die Jagd auf schwache und kranke Individuen spielen Raubtiere allgemein eine wichtige Rolle bei der Krankheitsbekämpfung in Pflanzenfresserpopulationen5, 6. Menschen befinden sich nicht im Beuteschema der Wölfe und Angriffe sind äußerst selten7. Allerdings unterscheiden Wölfe nicht zwischen Wildtieren und Nutztieren, was sie zu einer potenziellen wirtschaftlichen Bedrohung für Landwirte macht.
Wölfe jagen hauptsächlich Waldtiere wie Rehe und Wildschweine, nur 1 % ihrer Beute sind Nutztiere8. Aber die Population wächst und damit auch die Zahl der Angriffe9. Im Jahr 2021 kamen etwa 3500 Tiere zu Schaden10. Mehr als 85 % des angegriffenen Viehs sind Schafe und Ziegen10, 11,. Pferde und Rinder fallen dem Wolf aufgrund ihrer Größe Wehrhaftigkeit, nur selten zum Opfer12. Allerdings können Landwirte ihr Vieh mit messbarem Erfolg vor dem Wolf schützen. Elektrische Zäune, Herdenschutzhunde, sichere Unterstände für die Nacht und unterirdische Zäune helfen, können Wolfsattacken verhindern13. Solche präventiven Maßnahmen werden vom Staat mit 16.639.800 € im Jahr 2021 subventioniert. Der Staat entschädigt auch für einige durch den Wolf verursachte Sachschäden (498.433 €). Insgesamt belaufen sich diese Zahlungen zusammengerechnet auf 17.138.233 € im Jahr 202114.
Doch wie hoch ist der finanzielle Schaden, den der Wolf durch das Verletzen oder Töten von Schafen und Ziegen verursacht? Der Preis für eine Ziege oder ein Schaf schwankt zwischen 30 € und 150 €, so dass ich von einem Preis von etwa 100€15 ausgehe. Ein geschädigtes Tier kostet etwa die Hälfte seines Preises. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 3500 Nutztiere von Wölfen angegriffen. Aus den Daten geht allerdings nicht hervor, wie viele dieser Tiere überlebten oder getötet wurden. Etwa 85 % der angegriffenen Tiere waren Schafe und Ziegen. Der tatsächliche Verlust liegt also irgendwo zwischen „alle Tiere wurden verletzt aber überlebten“ und „alle Tiere starben bei der Wolfsattacke“. Im finanziell günstigsten Fall wurden alle Tiere verletzt, aber überlebten (0,85*3500*100€*0,5). Im ungünstigsten Fall starben alle Schafe und Ziegen während der Angriffe (0,85*3500*100€). Der finanziellen Schaden der durch angegriffene Schafe und Ziegen entsteht, liegt also wahrscheinlich zwischen 148.750€ und 297.500€ im Jahr 2021. Der Wert der restlichen 15,5% der angegriffenen Tiere wurde hier nicht berechnet. Zusammen mit den staatlichen Entschädigungs- und Präventionszahlungen ergeben sich daraus Kosten von 17.286.983€ bis 17.435.733€ im Jahr 2021. Hinzu kommen unbekannte Kosten für Schäden durch Autounfälle und angegriffene Rinder und Pferde. Deshalb runde ich die Kosten auf 18 Millionen Euro pro Jahr auf.
Die Rückkehr des Wolfes in die deutschen Wälder ist jedoch nicht nur mit Kosten verbunden, sondern birgt auch finanzielle Vorteile. Wölfe könnten beispielsweise eine potenzielle Touristenattraktion sein. Seit der Wiederansiedlung von Wölfen im Yellowstone-Nationalpark in den USA ist der Tourismus um 5% angestiegen. 44 % der Tourist*innen besuchen den Park vor allem, um Wölfe in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten. Dies und die veränderten Ausgaben der Besucher haben die Einnahmen des Parks und der angeschlossenen Geschäfte um rund 35,5 Mio $16erhöht. Auch in den Wildparks in Deutschland ist eine Zunahme des Tourismus zu beobachten17. Allerdings ist es schwierig, die finanziellen Auswirkungen genau abzuschätzen. Dafür fehlen Erhebungen, inwiefern Wölfe der Grund sind, dass Menschen Wildparks in Deutschland besuchen17. In Deutschland gibt es 120 dieser Wildparks, aber es ist unklar, wie viele davon von Wölfen bewohnt werden, und auch die Eintrittspreise variieren stark18.
Es könnte noch einen weiteren positiven Nebeneffekt geben. Durch die Rückkehr der Wölfe ändert sich auch das Verhalten ihrer Beutetiere. Wölfe nutzen gern Straßen im Wald, was Rehe dazu bringen könnte, diese Straßen zu meiden. Das wiederum könnte die die Zahl der Autounfälle mit Personen- und/oder Sachschäden um durchschnittlich 24 % senken19. Und das wäre nicht unerheblich, denn in Deutschland wurden im Jahr 2020/2021 198.730 Rehe bei Verkehrsunfällen getötet 20. Pro „Autounfall mit Wildbeteiligung“ zahlten die Versicherungen im Jahr 2021 im Schnitt 3200 €. Zusammengerechnet ergibt das einen finanziellen Schaden von 660 Millionen Euro21. Eine Verringerung dieser Unfälle um 24 % würde 158,4 Millionen Euro einsparen. Zieht man die jährlichen Kosten von rund 18 mio € ab, könnten Wölfe also einen finanziellen Nutzen von 140,4 Mio. € haben. Wenn es allerdings mehr Wölfe gibt, die sich auch noch gern auf Straßen bewegen, könnte Zahl der Autounfälle mit Wölfen steigen und wiederum Kosten verursachen (102 Verkehrsunfälle im Jahr 2022) 2.
Laut meinen Berechnungen könnte die Wiederansiedlung des Wolfes in Deutschland einen positiven wirtschaftlichen Effekt haben. Die durch den Wolf potenziell begünstigten finanziellen Einsparungen überwiegen die Kosten um den Faktor 9. Allerdings wurden die meisten Studien über die finanziellen Auswirkungen von Wölfen in den USA durchgeführt. Ob sich die Ergebnisse exakt auf Deutschland übertragen lassen ist fraglich. Den größten finanziellen Nutzen gäbe es, wenn die wachsende Wolfspopulation dazu führen würde, dass es weniger Autounfälle mit Rehen gibt. 19. Am Appetit der Wölfe auf Nutztiere lässt sich nichts ändern, sehr wohl aber an ihrer Erfolgsquote. Nutztiere können durch einen höheren Einsatz von Präventivmaßnahmen noch besser geschützt werden, was die Kosten durch vom Wolf attackierte Nutztiere senkt. Außerdem könnten Wildparks und örtliche Geschäfte von steigenden Touristenzahlen profitieren, ausgelöst vom wachsenden gesellschaftlichen Interesse am Wolf. So ganz genau lässt sich nicht bestimmen, ob Wölfe derzeit wirtschaftliche Vorteile bringen. Zumindest haben wir Menschen mit der Rückkehr des Wolfes nun eine Chance, friedlich mit ihnen zu koexistieren, und vielleicht endlich ein Märchen vom guten Wolf zu schreiben.
Aaron Clemens Mirko Anselmi, Übersetzung Nele Kheim