17.03.2024
Tierisch Reich: Twitter 1917 – US Brieftauben im ersten Weltkrieg
Kriege sind teuer, deutlich verheerender als die wirtschaftlichen Kosten, sind aber die menschlichen Verluste, die eine Nation im Krieg erleidet. Um diese Verluste gering zu halten und Soldat*innen zu schützen ist effiziente Kommunikation unbedingt nötig. In den USA wird die Kommunikation in Kriegszeiten durch die Signal Corps der United States Army1 sichergestellt. In diesem Text soll es um den ersten Weltkrieg gehen. Damals, 1917, waren die wichtigsten Kommunikationsmittel Telegrafen, Telefone und Funkgeräte. Nachrichten auf dem Schlachtfeld wurden von Soldaten zu Fuß übermittelt2.
All diese Kommunikationswege hatten jedoch Schwächen für den Einsatz an der Front. Drähte wurden häufig durch Artillerie beschädigt, Funksignale konnten nur über kurze Distanzen senden, Drähte und Funksignale waren leicht zu sabotieren, und ein Soldat, der über ein Schlachtfeld rennt, ist auch keine kugelsichere Lösung2, 3. Beim Eintritt in den ersten Weltkrieg konnten die Amerikaner vom britischen und französischen Militär lernen. Die nutzten nämlich eine ganz anderes Kommunikationsmittel: die Brieftaube. Brieftauben sind die domestizierten Verwandten der wilden mediterranen Felsentaube, Columba livia. Sie wurden so gezüchtet, dass sie in der Lage sind zu ihrem Zuhause, dem so genannten Schlag, zurückzufliegen4. Und das, selbst wenn die Tauben weit entfernt an ihnen unbekannten Orten ausgesetzt wurden. Sie finden ihren Schlag aus Entfernungen bis zu 1.800 km wieder. Am Tag fliegen sie bis zu 15 Stunden, bei Geschwindigkeiten von 50 km/h bis 145 km/h. Das sind bis zu 1100 km pro Tag4, 5, 6.
Die Tauben des US-Militärs wurden sogar so trainiert, dass sie mobile Schläge anstelle eines exakten geografischen Standorts als Ziel erkennen2. Es ist unklar, wie die Vögel ihren Schlag von so weit entfernten und unbekannten Auswurfstellen finden können. Studien deuten darauf hin, dass Brieftauben den Stand der Sonne zusammen mit ihrem inneren Zeitgefühl zur Navigation nutzen7. Der genaue Mechanismus dieser besonderen Fähigkeit bleibt jedoch bis heute ein Rätsel8.
Nachdem die US Signal Corps den Erfolg der britischen und französischen Tauben beobachtet hatte, richtete es im August 1917 rasch seine eigene Taubenabteilung ein9. Die neue Abteilung erwarb insgesamt 2.350 Tauben. Diese Vögel wurden entweder gespendet oder für 2 Dollar gekauft, was sich auf Gesamtkosten unter 4.700 Dollar beläuft9. Es wurden mobile Schläge entworfen und gebaut, und die Tauben wurden auf 110 Armeeposten in den USA ausgebildet9. Im Oktober 1917 befanden sich bereits 6 Männer, 800 Tauben, 12 mobile Schläge und ein großer Vorrat an Futtermitteln auf einem Schiff in Richtung Frankreich5. Bei Kriegsende bestand die Taubenabteilung aus 9 Offizieren und 324 Soldaten. Damit war sie die kleinste und günstigste Abteilung der Signalkorps6, 9, 10. Trotz geringer Größe und Kosten der US-Taubenabteilung leisteten die Vögel einen unschätzbaren Dienst im Krieg.
Oft wurden die Tauben eingesetzt, um SOS-Nachrichten von gestrandeten Truppen zu überbringen. Dadurch konnten Hunderte Menschenleben gerettet werden6. Ein Beispiel dafür ist die Meuse-Argonne-Offensive 1918. Dabei sind 550 amerikanische Soldaten hinter die deutschen Linien gedrängt worden und gerieten mitten in den schweren Artilleriebeschuss ihrer eigenen Landsleute 5. Ihre einzige Hoffnung war eine Brieftaube namens Cher Ami, die mit einer dringenden Nachricht an ihrem Bein losgeschickt wurde. Während seines 40 km langen Fluges wurde Cher Ami in die Brust geschossen und sein Bein wurde in zwei Hälften gerissen. Dennoch brachte er die Nachricht in weniger als 25 Minuten zu seinem Schlag9. Der Artilleriebeschuss wurde sofort eingestellt, und die 194 überlebenden Soldaten konnten sich in Sicherheit bringen9. Es gibt viele ähnliche Heldentauben wie Cher Ami, die im Krieg lebensrettende Nachrichten überbrachten. Über 500 wichtige Nachrichten wurden erfolgreich von Tauben an der Front überbracht, und keine einzige Nachricht blieb nach Angaben des US-amerikanischen Chefsignaloffiziers unzustellbar9.
Der Wert der Tauben für die US-Armee geht weit über die finanziellen Einsparungen des Signal Corps hinaus. Unzählige Menschenleben wurden gerettet, indem ein Mittel zur effizienten Kommunikation zwischen den Truppen auf dem Schlachtfeld bereitgestellt wurde. Die Tauben füllten eine Lücke, die die damalige Kommunikationstechnologie noch nicht füllen konnte. Insbesondere an den chaotischen Frontlinien konnte eine einzige Nachricht den Verlauf einer Schlacht verändern. Man schätzt, dass die alliierten Streitkräfte während des Ersten Weltkriegs 300.000 Tauben einsetzten. Viele von ihnen wurden für ihren unersetzlichen Dienst ausgezeichnet11.
*Quelle 6: Osman, A. H. Pigeons in the Great War: A Complete History of the Carrier-Pigeon Service during the Great War, 1914 to 1918. "The Racing Pigeon" Publishing Co., Ltd., 1929
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Layanne Abu-Bader, Übersetzung Nele Kheim