10.10.2019
»Wir sind auf der Überholspur«
Von Heiko Weckbrodt (erschienen im Universitätsjournal Nr. 15/19)
Andere mögen runde Geburtstag feiern und bequeme Pfade bewandern. Nicht so Professor Karl Leo und sein Team vom Dresdner Zentrum für angewandte Physik und Photonik (IAPP): Sie prosten sich lieber zum 111. Institutsjubiläum mit Bier aus der Uni-Brauerei zu – und gehen gern dorthin, wo nie zuvor ein Wissenschaftler gewesen ist. Und der Erfolg gibt ihnen recht: Seit der Neugründung vor 29 Jahren hat sich das Leo-Team eine internationale Spitzenposition in der Forschung an organischen Solarzellen, Leuchtdioden und Elektronikelementen erarbeitet. Seither hat das IAPP 106 Patente erfolgreich angemeldet, 113 Doktoren hervorgebracht und sieben Firmen ausgegründet – darunter weltweit vielbeachtete wie die Oled-Technologiefirma Novaled und die Solarzellenfabrik Heliatek. Auch 99 Preise haben die Wissenschaftler in dieser Zeit errungen. »Da haben wir allerdings ein bisschen geschummelt«, verrät Prof. Leo mit einem verschmitzten Lächeln. »Rund die Hälfte der Preise haben wir selber geschaffen und ausgelobt.«
Der kleine Statistik-Trick schmälert die außergewöhnlichen Leistungen, die das IAPP und seine Vorgängerinstitute vollbracht haben, indes um kein My: »Das IAPP ist vorbildgebend«, lobte Uni-Rektor Hans Müller-Steinhagen die Teams um die Professoren Karl Leo, Xinliang Feng, Stefan Mannsfeld und Sebastian Reineke bei der Jubiläumsfeier. »Hier wird nicht nur Forschung im Elfenbeinturm betrieben, sondern auch immer gefragt: Was können wir aus unseren Erkenntnissen machen?«
Gemacht haben die Forscher daraus eben auch recht erfolgreiche Unternehmungen: So entstand 1999 die Firma »Creaphys«, um Organikstoff-Verdampfer und andere Geräte zu verkaufen, die die IAPP-Physiker für ihre Forschungsprojekte ohnehin schon entwickelt hat-ten. 2001 folgte Novaled, 2003 Lexsolar, die Solar-Schulbaukästen konzipieren. 2006 kam Heliatek hinzu und 2017 Senorics, die vor wenigen Wochen mit organischen Biersensoren Innovationspreise des deutschen Sensorverbandes AMA errangen. Jüngstes Beispiel ist »Sweep-Me!«, die seit 2018 spezielle Anlagen-Steuerungsprogramme vermarkten. Nur eine Gründung ging letztlich pleite: Für die wissenschaftliche Simulationssoftware von »Sim4Tec« (2007) fanden sich weltweit nicht genug Kunden. Dafür bereitet die Institutsspitze derzeit schon wieder drei neue Ausgründungen vor. Insofern könne man das Institut als »seriellen Entrepreneur« bezeichnen, also als jemanden, der immer wieder mit neuen Ideen kommt und daraus ein Unternehmen macht, meint IAPP-Physiker Jan Blochwitz-Nimoth, der seinerzeit an der erfolgreichen Novaled-Gründung beteiligt war.
Das IAPP hat eine lange Tradition mit wirtschaftsnaher Forschung: Am 1. April 1908 als »Wissenschaftlich Photographisches Institut« gegründet, gehörte es zum wissenschaftlichen Rückgrat der damals starken Dresdner Kameraindustrie. Schon in den 1980er-Jahren rückte die organische Elektronik in den Fokus. Damals versuchten die Dresdner Photophysiker, DDR-Kamerachips mit organischen Farbfiltern zu bedampfen. Nach der Neugründung 1991 als »Institut für angewandte Photophysik« rückten diese Forschungen mehr und mehr in den Mittelpunkt. Vor allem der Experte Karl Leo, der 1993 nach Sachsen kam, führte die Dresdner Organikelektronik-Forschung in die internationale Spitzenliga. Die Erfolge des Instituts führten 2017 schließlich auch zur Aufwertung zum Forschungszentrum und zu einem eigenen Neubau an der Nöthnitzer Straße. Zwar sind auch andere Uni-Einrichtungen wie etwa der Mobilfunk-Lehrstuhl von Prof. Gerhard Fettweis oder das Leichtbau-Institut ILK sehr gründungsaktiv. Doch eben diese Denkweise und der Pragmatismus dieser Leuchtturm-Institute sollte sich an der TU noch breiter durchsetzen, wünscht sich Müller-Steinhagen. »Noch stehen wir da etwas hinter den Münchner Unis«, räumte der Rektor ein. »Aber hier in Dresden entwickelt sich etwas. Wir sind auf der Überholspur.«