19.04.2021
Supraleitung mit “Zeitgeist” – Wenn Materialien Vergangenheit und Zukunft unterscheiden können
Physiker der TU Dresden haben einen spontan zeitlich stabilen magnetischen Zustand mit verletzter Zeitumkehr-Symmetrie in der Materialklasse der eisenbasierten Supraleiter entdeckt. Aufgrund dieser einzigartigen Eigenschaft eignen sich diese Materialen besonders für die Anwendung in Quanten-Computern. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit wurden in dieser Woche in der Fachzeitschrift Nature Physics veröffentlicht.
Was gestern war und was morgen sein wird, sind im Leben eines Menschen zwei unterschiedliche und größtenteils auch unabhängige Ereignisse. Vergangenheit und Zukunft des menschlichen Lebens verlaufen nicht symmetrisch und sind daher nicht umkehrbar. Anders verhält es sich in der Physik. Die fundamentalen Kräfte der Natur in Elementarteilchen, Atomen und Molekülen sind symmetrisch hinsichtlich ihre zeitlichen Entwicklung: Vorwärts oder Rückwärts macht keinen Unterschied, es handelt sich dabei um die sogenannte Zeitumkehr-Symmetrie.
Diese Symmetrie galt lange auch für Supraleiter. Supraleiter sind eine Materialklasse, die bei tiefen Temperaturen verlustfrei elektrische Ströme leitet. Sie werden unter anderem in Magnetresonanztomographen (MRT) beim Radiologen eingesetzt. Etwa 99% aller bisher bekannten supraleitenden Materialien sind „zeitumkehr-symmetrisch“. Seit einigen Jahren jedoch entdecken Physikerteams neue Supraleiter, die sich nicht zeitumkehr-symmetrisch verhalten.
Um diese Beobachtung erklären zu können, musste der seit über 75 Jahren bekannte Mechanismus der Supraleitung in wichtigen Teilen neu durchdacht werden. Nur diese neuartigen Supraleiter können spontan zeitlich stabile Magnetfelder in ihrem Inneren aufbauen, die sie für Anwendungen in Quanten-Computern interessant machen.
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Dr. Vadim Grinenko und Prof. Hans-Henning Klauss von der TU Dresden entdeckte nun erstmals diesen neuartigen magnetischen Zustand mit verletzter Zeitumkehr-Symmetrie in der Materialklasse der eisenbasierten Supraleiter. Diese Materialen erweisen sich als vielseitige intermetallische Verbindungen, die technologisch vergleichsweise einfach herzustellen sind und deshalb ein hohes Anwendungspotenzial haben.
+Zitat von HHK: (Diese Ergebnisse zeigen, daß die vor ca. 12 Jahren entdeckten eisenbasierten Supraleiter weiterhin neue Impulse für die Grundlagenforschung und die Anwendung von Supraleitern liefert.)
Originalveröffentlichung:
V. Grinenko , R. Sarkar, K. Kihou, C. H. Lee, I. Morozov, S. Aswartham, B. Büchner, P. Chekhonin, W. Skrotzki, K. Nenkov, R. Hühne, K. Nielsch, S. -L. Drechsler, V. L. Vadimov, M. A. Silaev, P. A. Volkov, I. Eremin, H. Luetkens, and H.-H. Klauss, ‘Superconductivity with broken time-reversal symmetry inside a superconducting s-wave state’ Nature Physics, 10.1038/s41567-020-0886-9. URL: https://www.nature.com/articles/s41567-020-0886-9