19.05.2021
Forschung: Die Oberfläche macht's
Das außergewöhnliche Quantenmaterial Mangan-Bismut-Tellurid bietet die Chance für neuartige elektronische Bauelemente, die Informationen magnetisch kodieren und transportieren. Unter der Bezeichnung „Spintronik“ soll dies Informationstechnologien künftig nachhaltiger und energiesparender machen.
2019 gelang es dem Team um Anna Isaeva, damals Juniorprofessorin am Exzellenzcluster ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien, diese neue Art von Quantenmaterial erstmals herzustellen. Das in Dresden maßgeschneiderte Kristall Mangan-Bismut-Tellurid, kurz MnBi2Te4, braucht kein äußeres Magnetfeld, um bestimmte topologische Effekte wie beispielsweise den quantisierten anomalen Hall-Effekt zu zeigen. Der Ausnahmewerkstoff ist ein sogenannter „magnetischer topologischer Isolator“ – er bringt sein Magnetfeld selber mit. Damit ist er für praktische Anwendungen besser geeignet als seine Vorgänger. Wissenschaftler:innen weltweit analysieren seither unterschiedliche Facetten dieses neuartigen Materials.
Jetzt haben Forscher:innen des Würzburg-Dresdner Exzellenzclusters ct.qmat zwei neue Materialien – MnBi4Te7 und MnBi6Te10 – als magnetische topologische Isolatoren identifiziert und herausgefunden, welche ultradünne Atomschicht sich an der Oberfläche befinden muss, damit diese besonderen topologischen Effekte sichtbar werden. Die Ergebnisse ihrer Arbeit wurden im Journal Physical Review Letters veröffentlicht. An der Publikation sind neben Clustermitgliedern der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), der Technischen Universität Dresden (TUD) und dem Leibnitz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden (IFW) auch Gruppen des Forschungszentrums Jülich und der Universität Hiroshima (Japan) beteiligt.
Zunächst wurden in Dresden Kristalle mit unterschiedlichem Schichtaufbau im Labor-„Ofen“ gezüchtet. Anschließend untersuchten Würzburger Wissenschaftler:innen die Materialproben mittels Photoelektronenspektroskopie. Die theoretischenBerechnungen, mit denen bestimmte Schichtanordnungen von MnBi4Te7 und MnBi6Te10 analysiert wurden, stammen vom ct.qmat-Partnerinstitut IFW.
„Wir konnten experimentell detailliert nachweisen, wie sich die topologischen Oberflächenzustände in beiden Materialstrukturen verhalten. Dabei haben wir gravierende Unterschiede in den elektronischen Eigenschaften festgestellt. Eine verlustfreie Stromleitung ist nur für bestimmte Atomlagen an der Oberfläche möglich“, erklärt der Würzburger Nachwuchswissenschaftler und Leiter der Studie, Dr. Hendrik Bentmann. „Nun arbeiten wir daran, das Zusammenspiel von zwei grundlegenden Phänomenen der Festkörperphysik – Magnetismus und Topologie – in diesen Materialien noch besser zu verstehen und in komplexeren Strukturen zu steuern.“
Aktuell haben die Wissenschaftler:innen damit begonnen, das Material Atom für Atom so herzustellen, dass die richtige Atomlage sofort an der Oberfläche sitzt.
R. C. Vidal, H. Bentmann, J. I. Facio, T. Heider, P. Kagerer, C. I. Fornari, T. R. F. Peixoto, T. Figgemeier, S. Jung, C. Cacho, B. Büchner, J. van den Brink, C. M. Schneider, L. Plucinski, E. F. Schwier, K. Shimada, M. Richter, A. Isaeva, F. Reinert,
Orbital Complexity in Intrinsic Magnetic Topological Insulators MnBi4Te7 and MnBi6Te10,
Phys. Rev. Lett. 126, 176403 (2021) (arXiv)