Lässt Algen in Rohren wachsen
Dagmar Möbius
Gunnar Mühlstädt wollte ursprünglich Medizin studieren. Doch beim Zivildienst im Krankenhaus stellte er fest, dass er lieber kein Arzt werden möchte. Gesundheit und Gesundes liegen dem Diplom-Ingenieur für Maschinenbau aber nach wie vor am Herzen. Warum er heute mit seinem Team Algen in Wassergewächshäusern produziert, hat er Kontakt-online erzählt.
Das Thema Medizinstudium hatte sich für Gunnar Mühlstädt erledigt, als er während seines Zivildienstes feststellte, sich die Inhalte von ellenlangen Beipackzetteln nicht merken zu können. Technisches interessierte den gebürtigen Rochlitzer von Kindesbeinen an. So kam er 1998 an die TU Dresden, um bis 2004 Maschinenbau mit der Spezialisierung Technische Gebäudeausrüstung zu studieren. In seiner Diplom-Arbeit beschäftigte sich der heute 45-Jährige mit prädiktiven Heizungsregelungen. „Heute würde man KI dazu sagen. Damals interessierte sich aber noch niemand für Smart Home“, erzählt Gunnar Mühlstadt.
Von transparenten Rohren mit Algen fasziniert
Deshalb arbeitete der Diplom-Ingenieur für Maschinenbau mit Subspezialisierung Automatisierungstechnik ab 2006 für die Schweizer Georg Fischer AG. Ein Zweig des internationalen Industrieunternehmens (GF Piping Systems) bietet Rohrleitungssysteme für den sicheren und umweltgerechten Transport von Flüssigkeiten. Der Job beim Weltmarktführer brachte ihn zu seinem heutigen Herzensthema: „Ich sah transparente Rohre mit Algen und war fasziniert.“ Doch Gunnar Mühlstädt wusste damals nicht viel von Algen und begann sich damit zu beschäftigen.
Mission enkeltaugliche Zukunft
Schon lange hatten ihn Gedanken umgetrieben, was seine Rolle in der Welt sein könnte, was er weitergeben kann und wie er etwas Nachhaltiges tun kann. Nur Geld für einen Konzern zu verdienen, wollte er nicht. Aber essbare Algen? Mehr als 400.000 Arten dieser Urpflanzen existieren auf der Welt. Nur wenige sind gut erforscht. „Das ist meine, das ist unsere Zukunft“, war ihm klar, je mehr er darüber erfuhr. Das Ernährungssystem zukunfts- und enkeltauglich zu machen und für ausgewogene Nahrung zu sorgen, wurde Gunnar Mühlstädts Mission. „Aber man muss es richtig machen“, so sein Entschluss. Das hat er wohl, denn 2023 war er für den Sächsischen Gründerpreis nominiert. „Die Geschäftsidee des Gründerteams ist genial, sie passt in den aktuellen Trend vieler Kunden, sich gesund und nachhaltig zu ernähren“, lobte Jurymitglied Claudia Weber vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr.
„Immer noch am Rohr“
Im Jahr 2016 gründete der Diplom-Ingenieur sein Unternehmen. „MINT Engineering hat es bis Corona geschafft. Dann sprang unser Investor ab“, blickt der Start-up-Gründer zurück. 2021 musste die Firma Insolvenz anmelden. „Das geht vielen Tech-Start-ups so. Pilotprojekte sind generell sehr schwer zu finanzieren, das war keine leichte Zeit.“ Doch Gunnar Mühlstädt sieht immer nach vorn. „Mir geht’s um die Sache“, sagt er. „Aufgeben ist nicht meine Stärke.“ Im Jahr 2022 gründete er mit Investorenbeistand neu: die Puevit GmbH produziert in Dresden die effizientesten Photobioreaktoren zur Kultivierung von Mikroalgen. Die ersten drei Buchstaben des Firmennamens stehen für den Investor, seinen langjährigen Geschäftspartner Alfred Pürstinger, das vit für Vitalität.
Die gesunden Mikroalgen – speziell Sprirulina – wachsen in Rohren. Zwei Arten Algen sind bisher als Lebensmittel zugelassen. „Wir kultivieren sie auf einem hohen technischen Niveau und produzieren sie im Wassergewächshaus frisch. Ich bin also immer noch am Rohr“, lacht der Geschäftsführer.
Alle drei Tage wird geerntet
Im Firmenverbund Pürstinger sind insgesamt ca.150 Mitarbeitende verschiedener Disziplinen tätig. Jeder Tag im Algenwerk beginnt mit einem Meeting, bei dem die Tagesaufgaben besprochen werden. Die fünf Teammitglieder plus ab Oktober 2023 drei Praktikanten der TUD beschäftigen sich mit den Bioreaktoren, mit der Algenernte (alle drei Tage) oder mit der Herstellung von Extrakten. Parallel laufen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. „Die Algenproduktion ist sehr entwicklungslastig. Wir überlegen uns technische Lösungen und arbeiten dafür teilweise mit Lehrstühlen der TU Dresden zusammen.“ Interessierten zeigt der Geschäftsführer gern die Anlage.
Netzwerken und einfach machen
Als Quintessenz seines Maschinenbau-Studiums an der TUD lobt Gunnar Mühlstädt, Fähigkeiten entwickelt zu haben, die ihm heute täglich helfen: unter Zeitdruck Probleme zu lösen, sich zu organisieren, auf den Punkt zu kommen und Dinge zu hinterfragen. „Kann etwas sein? Clemens Feldmann, damals Oberassistent, heute Professor für Gebäudeenergietechnik und Wärmeversorgung an der TUD, hat uns vermittelt, wie man den gesunden Menschenverstand einsetzt.“ Auch mit Leon Urbas, Professor für Prozessleittechnik an der TUD, Felix Krujatz oder Markus Schubert und vielen anderen, im Marie-Curie-Netzwerk engagierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen europaweit, steht er in regelmäßiger Verbindung. „Netzwerken hat den Vorteil, dass wir den Forschenden oft auf kurzem Weg helfen können und umgekehrt helfen sie uns. Man kommt gut miteinander vorwärts, es passieren ja unvorhergesehene Sachen“, sagt Gunnar Mühlstädt. „Einfach machen“, ist seine Devise.
Etwas zurückgeben
So hat er es auch gehalten, als er kürzlich bei einem Markt der Möglichkeiten mit dem Deutschlandstipendium in Kontakt kam. Gunnar Mühlstädt unterstützt die Initiative. Welcher Stipendiat von seiner Förderung profitieren wird, weiß er zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht. Warum er sich engagiert, aber ganz genau: „Ich möchte etwas zurückgeben. Ich konnte kostenlos studieren und habe viel gelernt. Wenn junge Leute schon im Studium Kontakt zur Industrie bekommen, ist das gut. Die Finanzierung natürlich auch und die organisatorische Zusammenarbeit.“
Dass er Maschinenbau statt Medizin studiert hat, tut Gunnar Mühlstädt nicht leid. Seine heutige Tätigkeit verknüpft Ingenieurs-Können, Nachhaltigkeit und gesundes Leben. „Zudem habe ich eine Frau gefunden, die Ärztin ist“, schmunzelt er.
Kontakt:
PUEVIT GmbH
Gunnar Mühlstädt
Geschäftsführer
Am Torfmoor 1c
01109 Dresden