12.02.2019
Ein »Parcours« für Aal und Co.
Wie passen ein guter Lebensraum für Tiere und die Energiegewinnung mittels Wasserkraft zusammen?
Anne Vetter
Komplexe Traglastberechnungen für Staumauern, atemberaubende Brückenkonstruktionen über wilde Flüsse und offenes Meer, Schleusen und Wasserkraftprojekte – so etwa stellt man sich die Arbeit eines Ingenieurs für Wasserbau vor. Im Hubert-Engel-Labor der Bauingenieure standen in den vergangenen Monaten jedoch nicht die schwindelerregenden Bauten über Wasser im Forschungsinteresse. Die Wissenschaftler widmeten sich vielmehr dem Lebensgefühl der Bewohner im Wasser, die mit Bauten dieser Art – wenn auch in deutlich kleinerem Maßstab – zurechtkommen müssen. Denn unzählige Wehre und Staustufen verändern den Lauf fast aller Fließgewässer in Deutschland.
In der großen Wasserbauhalle testeten ein Jahr lang Aale, Bachforellen, Grundlinge, Elritzen, Schmerlen und Rotaugen in einem nachgebildeten Flusslauf, wie der Höhenunterschied von einem Meter möglichst fischverträglich überwunden werden kann. Dieses Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Wasserbau und technische Hydromechanik der TU Dresden mit Biologen vom Institut für Gewässerökologie und Fischereibiologie (IGF) Jena hatte das Ziel, Erkenntnisse über das Verhalten der Fische an solchen Passagen zu sammeln, um herauszufinden, inwieweit eine Durchgängigkeit zum Auf- und Abwandern für Fische und alle anderen Lebewesen in Flüssen trotz Energiegewinnung erhalten bzw. wieder hergestellt werden kann. Es ist Teil eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektverbunds zur Erschließung von Flussstandorten mit geringem Wasserkraftpotenzial.
Die Größe des Versuchsaufbaus ist deutschlandweit in nur wenigen Laboren möglich. Knapp ein Kubikmeter Wasser musste pro Sekunde fließen, um die tatsachlichen Strömungsverhältnisse in einem Fluss nachzubilden. »Es handelte sich um einen Versuch im technischen Maßstab – also mit realen Größen. Da man die Tiere nicht verkleinern kann, war eine exakte Bewertung der Fischdurchgängigkeit anders nicht möglich«, erläutert Prof. Jürgen Stamm, Leiter des Instituts für Wasserbau und Technische Hydromechanik. Die Lebensbedingungen der Fische, die in großen Behältern lebten, wurden streng überwacht. Ständig wurde frisches Wasser eingeleitet; Sauerstoffgehalt und Temperatur regelmäßig geprüft.
Mit diesem Versuch lassen sich belastbare Daten sammeln, welche Bedingungen Lebewesen in Fließgewässern vorfinden müssen, um künstliche Wanderhindernisse passieren zu können. »Bauingenieure bauen für den Menschen, gestalten damit aber das gesamte Umfeld. Zwangsläufig hat dies Einfluss auf alle anderen Lebewesen. Das Bewusstsein, dass mit den Folgen jeder Veränderung in der Natur auch für uns Menschen Veränderungen einhergehen und diese auch negativ sein können, rückt zunehmend in den Fokus. Bauingenieure bauen jetzt sozusagen auch für Tiere«, erklärt Prof. Stamm.
Die Tage, in denen Gewässer in Deutschland in einem sichtbar schlechten ökologischen und chemischen Zustand waren, liegen noch nicht allzu lange zurück. Vor allem mit dem Beschluss der Wasserrahmenrichtlinie im Jahr 2000 (Richtlinie 2000/60/EG) setzte ein Umdenken ein. Bis 2027 sollen alle Wasserkörper in einen guten ökologischen und chemischen Zustand versetzt werden. Trotz deutlicher Verbesserungen erfüllte 2018 allerdings keines der 16 deutschen Bundesländer diese Anforderungen.
Die Forscher in der großen Wasserbauhalle der TU Dresden beobachteten unterdessen, wie die zahlreichen Fische den »Parcours« mit der Querverbauung, einem Wasserwirbelkraftwerk mit einer langsam drehenden Turbine, meistern. Sie suchten nach einem fischverträglichen Wehr, das herkömmliche Fischtreppen ersetzen und gleichzeitig Strom erzeugen kann. Das Ergebnis der mehrmonatigen Versuchsreihe hat die Forscher jedoch nicht restlos überzeugt: Die Fische konnten die Querverbauung unter den untersuchten Betriebsbedingungen zwar ohne nennenswerte Beeinträchtigungen passieren, doch nur den Bachforellen gelang auch das stromaufwärts Schwimmen. Um Gewässer trotz baulicher Eingriffe möglichst naturnah zu gestalten, ist das Ergebnis für die Forscher nicht ausreichend. Ein Folgeprojekt ist deshalb schon in Planung. »Mithilfe einer automatisierten Sonde, die Turbinen von Wasserkraftwerken wie ein Fisch ›durchschwimmt‹, wollen wir vor Ort prüfen, ob die Bauten für die Fische schädlich sind oder nicht«, erklärt Prof. Stamm.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 03/2019 vom 12. Februar 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.