15.03.2018
Aktuelle Studie zur Wohnsitzauflage als Mittel deutscher Integrationspolitik am Beispiel Sachsen
Der Freistaat Sachsen plant, anerkannten Flüchtlingen zukünftig einen Wohnort innerhalb des Bundeslandes zuzuweisen. Doch ob eine Wohnortauflage integrationsförderlich sein kann, ist umstritten. Befürworter unterstreichen, dass eine Wohnsitzauflage das Entstehen von sozialen Brennpunkten verhindere. Kritiker sprechen dagegen von einem Bürokratiemonster, das zudem Arbeitsmarktintegration erschwere. Vor diesem Hintergrund diskutiert eine aktuelle Studie des Mercator Forums für Migration und Demokratie (MIDEM) die Vor- und Nachteile verschiedener Formen einer Wohnsitzauflage. Dabei nimmt sie auch vergleichbare Beispiele aus anderen Bundesländern und dem europäischen Ausland in den Blick und setzt sich mit der Einführung einer Wohnsitzauflage in Sachsen auseinander. MIDEM ist ein Projekt der Technischen Universität Dresden in Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen, gefördert durch die Stiftung Mercator.
Zusammenfassung der Studie
Auch der Freistaat Sachsen hat nunmehr beschlossen, anerkannten Flüchtlingen zukünftig einen Wohnort innerhalb des Bundeslandes zuzuweisen. Durch die Wohnsitzauflage sollen Flüchtlinge gleichmäßiger verteilt und der Zuzug in die Städte Leipzig, Dresden und Chemnitz eingeschränkt werden. Dies soll die Versorgung mit angemessenem Wohnraum und die Planbarkeit von Integrationsmaßnahmen sicherstellen. Zudem wird die Ansiedlung von Flüchtlingen mancherorts als Lösung für die Folgen des demographischen Wandels in den ländlichen Gebieten betrachtet.
Vor dem Hintergrund der Situation im Freistaat diskutiert die Studie, die heute (15. März 2018) in einer Pressekonferenz vorgestellt wurde, die Vor- und Nachteile verschiedener Formen einer Wohnsitzauflage. Sie hebt hervor, dass ein Matching am ehesten die Bedarfe der Flüchtlinge ebenso wie die Integrationspotentiale der sächsischen Kommunen berücksichtigen könne. Beim Matching werden die Merkmale und Bedürfnisse der Flüchtlinge, wie Familiengröße, Bildung- und Ausbildung, Unterstützungs- und Betreuungsbedarf mit der Angebotsstruktur in den Kommunen, wie Größe der verfügbaren Wohnungen, spezifischer Fachkräftebedarf, Gesundheitsversorgung, in Einklang gebracht. Die Studie betont ferner, dass die Einführung einer Wohnsitzauflage nicht als singuläres Instrument verstanden werden sollte. Sie sollte vielmehr von flankierenden Maßnahmen und gezielten Investitionen in die öffentliche Infrastruktur begleitet werden. Die Unterstützung der Kommunen bei der Entwicklung von Integrationskonzepten ist ebenso notwendig, wie Ausgaben in den Bereichen Bildung und Betreuung, öffentlicher Nahverkehr und Gesundheitsversorgung, die ebenso der bereits ansässigen Bevölkerung zugutekämen.
Eine integrationspolitische Wirkung können Wohnsitzauflagen allenfalls dann entfalten, wenn sie differenziert und flexibel die einzelnen Bedarfe berücksichtigen und über den notwendigen Rückhalt bei kommunalen und zivilgesellschaftlichen Akteuren verfügen. Unter diesen Umständen können sie eine wirksame Maßnahme in einem Integrationsprozess darstellen, der als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden muss.
Hintergrund
Als Reaktion auf den Anstieg der Zahl Schutzsuchender beschloss der Deutsche Bundestag die Möglichkeit, im Rahmen des Integrationsgesetzes von 2016 die freie Wohnortwahl von anerkannten Flüchtlingen einschränken zu können. Damit soll die „nachhaltige Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland“ gefördert werden. Entsprechend § 12a Aufenthaltsgesetz sind viele anerkannte Flüchtlinge für drei Jahre verpflichtet, in dem Bundesland zu wohnen, dem sie im Rahmen des Asylverfahrens zugeteilt wurden (gesetzliche Wohnsitzpflicht). Zusätzlich können die Bundesländer die Niederlassungsfreiheit weiter beschränken, indem sie eigene Regelungen erlassen (behördliche Wohnsitzpflicht). Entweder können sie die landesinterne Wohnsitznahme von anerkannten Flüchtlingen umfassend durch einen Verteilungsschlüssel steuern (positive Wohnsitzauflage) oder lediglich Zuzugsverbote für einzelne Orte aussprechen (negative Wohnsitzauflage).
Deutschland nutzte bereits in der Vergangenheit sowohl Zuzugssperren als auch Verteilungsmechanismen, um die Ansiedlung von Migrantinnen und Migranten zu beeinflussen. Auch andere europäische Staaten haben Erfahrungen mit vergleichbaren Instrumenten. So beschränk(t)en unter anderem Dänemark, Schweden und die Niederlande die freie Wohnsitzwahl einzelner Gruppen. In Deutschland nutzen derzeit sieben Bundesländer die Neuregelung des Aufenthaltsrechts. Als bislang einziges Bundesland erließ Niedersachsen negative Wohnsitzauflagen und verhängte Zuzugssperren für drei Städte. Die meisten Länder, die die Wohnsitznahme durch einen Verteilschlüssel steuern, beziehen integrationspolitische Kennzahlen – wie zum Beispiel die Zahl der Erwerbslosen – bei der Berechnung nicht mit ein.
Die Vollversion der Studie ist ab dem 15.03.2018 unter https://forum-midem.de/publikationen/ verfügbar. Die Studie wurde von Nona Renner, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei MIDEM, verfasst.
Informationen für Journalisten:
Ines Brunner
TU Dresden, Projektmanagerin MIDEM
Tel.: +49 (0) 351 463-37313