25.06.2019
Am Puls der Zeit: Der einstige Klub »Spirale«
Studentenkultur: Der einstige Klub »Spirale« war etwas Besonderes
Mathias Bäumel
Es ist vielleicht vier, fünf Jahre her, dass ein Herr aus der Lausitz eine E-Mail an das Absolventenreferat der TU Dresden schrieb mit einer interessanten Bitte. Er habe vor vielen Jahren im Studentenklub »Spirale« auf der Nöthnitzer Str. 40 seine Hochzeit gefeiert und nun stünde ein rundes Hochzeitsjubiläum an. Das wolle er am liebsten in der »Spirale« begehen, habe aber gehört, dass es dieses Gebäude gar nicht mehr gäbe. Ob man ihm ein Ausweichetablissement empfehlen könne, das möglichst nahe am Ort der ehemaligen »Spirale« liege. Die Kollegen empfahlen dem Jubilar den schräg gegenüberliegenden Griechen »Irodion Pallas« und verwiesen darauf, dass auf dem Grundstück des ehemaligen »Spirale«-Gebäudes heutzutage ein Max-Planck-Institut stünde. Wie sich der Hochzeitsjubilar entschieden hat, ist nicht bekannt, aber dass dieser Studentenclub bei vielen seiner früheren Besucher auch bis heute in guter Erinnerung geblieben ist, darf man wohl schlussfolgern.
Die »Spirale« war jedoch nicht nur Ort jugendlicher Feiergeselligkeit, sondern spielte auch für die Musikszene Dresdens eine nicht unbedeutende Rolle. Denkwürdig war beispielsweise das ausverkaufte Duo-Konzert von Hans-Karsten Raecke und Baby Sommer am 3. Oktober 1978. Raecke, der etwa ein reichliches Jahr darauf in den Westen ging, galt bis dahin als eine avantgardistische Ausnahmeerscheinung in der DDR-Musikszene. Der studierte Komponist gehörte zu den Wenigen, die schon damals das Bauen neuer Instrumente, das Improvisieren, das Komponieren und das Interpretieren als ganzheitlichen Arbeitsprozess verstanden. Seit 1975 hatte er selbst etwa siebzig neue Blas- und Saiteninstrumente entwickelt und für viele von ihnen extra Kompositionen geschaffen, die die jeweilige Spezifik des jeweiligen Eigenbau-Ins-trumentes herausstellten.
Im Duo mit Sommer spielte Raecke seit etwa 1977, und die Zusammenarbeit Raeckes mit dem etwas jüngeren, vom Freejazz herkommenden Perkussionisten beeinflusste und prägte Sommers eigene Musik. Der Schlagzeuger begann damals, mit anderen, zum Teil auch selbstgebauten Instrumenten zu experimentieren (z. B. Pauken, Hörnern, Orgelpfeifen), um über mehr Ausdrucksmöglichkeiten zu verfügen. Baby Sommer heute dazu: » Die Zusammenarbeit mit Hans-Karsten Raecke fiel in die Zeit meiner eigen Entdeckerlust auf dem Gebiet der Erweiterung meines Instrumentariums. Raecke gab mir mit seinen Instrumentenerfindungen reichlich Anlass, mein eigenes konventionelles Jazzinstrumentarium zu überdenken und durch den Gebrauch von selbstgebauten Instrumenten zu ergänzen. Raecke traf wohl in mir, dem improvisierenden Jazzmusiker, einen kongenialen Partner für seine künstlerischen Ambitionen. In nahezu allen Parametern musikalischer Ausübung stellte unser Duo eine Ausnahme dar.« Genau das konnten schon die Besucher des Konzertes am 3. Oktober 1978 in der »Spirale« miterleben. Es war eine atemberaubende, abenteuerliche, teils auch humorvolle Musik, für die es erst zögerlichen, dann jedoch fulminanten Beifall gab.
Dass ein Studentenklub – die »Spirale« – direkt am Puls der Zeit, also an vorderer »Front« der Musikentwicklung war, dass er das Podium für solch folgenreichen innovatorischen Ereignisse bot, sollte als Besonderheit hervorgehoben werden. Und dass darüber hinaus die Räumlichkeiten der »Spirale« für einige Jahre eine wichtige Heimstatt des zeitgenössischen Jazz in Dresden war, muss ergänzt werden.
Die damalige Interessengemeinschaft (IG) Jazz, die um diese Zeit noch keine eigene Konzerträume hatte, veranstaltete hier nämlich manche ihrer Konzerte. Da gab es beispielsweise Auftritte des tschechischen Celula Septetts mit Laco Deczi (1. November 1978), der Gruppe Freygang (15. März 1979), des Prager Swing Quartetts (1. März 1979), des Zerbe-Sachse-Duos (24. April 1979), des Friwi Sternberg Quartetts (17. April 1979) und viele Jam Sessions mit Dresdner Musikern.
Im Zusammenhang mit der Arbeit an den wiederaufzubauenden Kellerräumen unter der damaligen Ruine des Kurländer Palais und dem darauffolgenden Einzug in die »Tonne« im März 1981 beendete die IG Jazz ihre Veranstaltungstätigkeit in der »Spirale«, widmete sich 1980 zugleich größeren Konzerten in der Schauburg, teils auch im Rundkino. Der Studentenklub selbst kümmerte sich dennoch weiter um Jazzkonzerte.
Eine von vielen Rockensembles, die im damaligen Studentenclub Spirale auftraten, war die Gruppe Liedschatten. Die war aus der 1980 gegründeten regionalen Kultband Condor entstanden. Hatte sich Condor noch mit Blues- und Südstaatenrock und der Musik der Gruppe Renft profiliert, was den kulturpolitischen Vorgaben nicht gerade entsprach, so spürte man dann bei Liedschatten auch den Einfluss von Punk und New Wave à la Nina Hagen heraus; Liedschatten trat nun – auch in der Spirale am 13. November 1981 – mit einer Sängerin, Marion Anders, auf. So markierte das Spirale-Konzert von Liedschatten im Kleinen einen Umbruch, der die gesamte DDR-Rockmusik im Größeren betraf, den Schritt von »alter« Rockmusik zu neuerer, von New Wave und Neuer Deutschen Welle beeinflussten.
Die »Spirale« war besonders bekannt für die Veranstaltungsreihe »Prominente um Mitternacht«, in der DDR-weit bekannte Prominente auftraten, zum Beispiel am 17. November 1979 Armin Mueller-Stahl als Schau- und Violinenspieler.
Der Autor dankt Simon Bretschneider für zahlreiche Informationen.
Der Studentenklub »Spirale«
Als der damalige Studentenklub Bergstraße (auf der Spitze zwischen Fritz-Foerster-Platz, Bergstraße und Hochschulstraße) den Neubauten an der Hochschulstraße weichen musste und gleichzeitig wegen der gestiegenen Studentenzahlen die Mensa Mommsenstraße an ihre Kapazitätsgrenzen stieß, erschlug man 1977 zwei Fliegen mit
einer Klappe: die HO-Gaststätte »Glück Auf« an der Nöthnitzer Straße 40 wurde in eine Zusatzmensa umgebaut und gleichzeitig erhielten der Studentenklub und einige kulturelle Gruppen an der TU darin eine Bleibe. So zumindest erinnert sich Hannelore Stephan, die von 1977 bis 1980 dort Klubleiterin war. Den Namen »Spirale« erhielt der Studentenklub Stephan zufolge wenig später, angeblich »weil mitten in der früheren Gaststätte ein Ofen war, den man, egal wohin man wollte, immer erst umkurven musste.«
Als Ergänzungsmensa wurde das Gebäude nur bis zur Einweihung der Mensa Bergstraße Anfang Januar 1981 benötigt, danach stand es vollständig dem Studentenklub »Spirale« zur Verfügung. Doch die »Spirale« fungierte nicht nur
als Klub mit eigenem Saal. »Von der Spirale aus bespielten wir auch alle großen
Spielstätten, also die Mensa Mommsenstraße und auch Hörsäle«, so Hannelore
Stephan. Eine Weile lang nutzte auch der Jugendklub Dresden-Plauen einmal
pro Woche das »Spirale«-Gebäude für seine Veranstaltungen mit.
Im März 1995 beschloss der Senat der Max-Planck-Gesellschaft den Bau des Institutes
für Chemische Physik fester Stoffe (MPI CPfS) auf diesem Gelände. Danach begann der Abriss des »Spirale«-Gebäudes und an dieser Stelle der Neubau des Instituts. Offiziell eingeweiht wurde das MPI CPfS am 2. November 2001.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 12/2019 vom 25. Juni 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.