17.12.2024
Antibiotikaresistenz: Schwachstelle im Mechanismus entdeckt
Bakterien, die gegen mehrere Antibiotika immun sind, sind eine große Herausforderung für die moderne Medizin. Forschende des B CUBE - Center for Molecular Bioengineering an der TU Dresden und des Institut Pasteur in Paris haben nun eine Schwachstelle in dem bakteriellen Mechanismus identifiziert, der eine Antibiotika-Resistenz verursacht. Ihre Ergebnisse, die im Journal Science Advances veröffentlicht wurden, könnten dabei helfen, die Wirksamkeit bekannter Antibiotika zu erhöhen.
Seit der Entdeckung des Penicillins im Jahr 1928 haben Antibiotika die Medizin revolutioniert und uns ermöglicht, bakterielle Infektionen leicht zu bekämpfen. Mit der Erfindung von Antibiotika sind wir jedoch auch in ein endloses Wettrüsten mit Bakterien eingetreten. Sie passen sich schnell an Medikamente an, wodurch viele bestehende Behandlungen unwirksam werden. Solche antibiotikaresistenten Bakterien, oft als „Superbugs“ bezeichnet, stellen eine kritische Bedrohung für Personen mit chronischen Krankheiten und geschwächtem Immunsystem dar.
„Anstatt neue Antibiotika zu entwickeln, wollten wir genau verstehen, wie Bakterien ihre Resistenzen anpassen“, sagt Prof. Michael Schlierf, Forschungsgruppenleiter am B CUBE, TU Dresden, und Leiter der Studie. Dabei fanden sie heraus, warum es für einige Bakterien länger dauert, eine Antibiotika-Resistenz zu erlangen, während andere sich sehr schnell anpassen. Diese Erkenntnis eröffnet neue Möglichkeiten zur Entwicklung von Gegenstrategien.
Genetischer Werkzeugkasten im Einsatz
„Unsere Arbeit konzentriert sich auf das Integron-System, eine Art genetischen Werkzeugkasten. Bakterien nutzen es, um sich an ihre Umgebung anzupassen, indem sie Gene austauschen, einschließlich solcher für Antibiotika-Resistenzen“, sagt Prof. Didier Mazel, Forschungsgruppenleiter am Institut Pasteur in Paris, deren Gruppe mit der Arbeitsgruppe Schlierf zusammenarbeitete.
Durch die Zusammenführung ihrer Expertise in Biophysik und Mikrobiologie konnten die Gruppen von Schlierf und Mazel erklären, warum es für einige Bakterien länger dauert, eine Antibiotika-Resistenz zu erlangen, während andere sich sehr schnell anpassen. Die Ergebnisse öffnen die Tür für die Entwicklung ergänzender Behandlungen, die uns im Kampf gegen die sogenannten Superbugs helfen könnten.
Das Integron-System ist wie ein Werkzeugkasten. Es ermöglicht Bakterien, Resistenzgene zu speichern und mit ihren Tochterzellen und Nachbarzellen auszutauschen. Es funktioniert über einen molekularen „Cut-and-Paste“-Mechanismus, der von speziellen Proteinen, sogenannten Rekombinasen, angetrieben wird. Das Integron-System wurde in der Vergangenheit viel erforscht. Dabei wurde klar: Einige Bakterien gewinnen sehr schnell neue Resistenzen, für andere dauert es erheblich länger.
In der aktuellen Untersuchung stellte sich heraus, dass die Vielfalt der DNA-Sequenzen der Grund für diesen Unterschied ist. „Die Sequenzen innerhalb des Integron-Systems sind von speziellen DNA-Haarnadelstrukturen flankiert. Sie werden so genannt, weil sie genau so aussehen, wie kleine U-förmige Stifte, die aus der DNA herausragen. Die Rekombinasen sind darauf ausgelegt, an diese Haarnadelstrukturen zu binden und einen Komplex zu bilden, der dann ein Fragment der DNA ausschneidet und ein anderes einfügt“, erklärt Prof. Mazel.
Die Schlierf-Gruppe untersuchte, wie stark ein Rekombinasen-Protein an die verschiedenen DNA-Haarnadelstrukturen bindet. Sie fanden heraus, dass die Komplexe mit der stärksten Bindung zwischen dem Protein und der DNA auch diejenigen sind, die am effizientesten Resistenzgene aufnehmen.
Die Kraft nutzen
Mit einer fortschrittlichen Mikroskopietechnik, der „optischen Pinzette“, maß die Schlierf Gruppe die winzigen Kräfte, die benötigt werden, um die verschiedenen Protein-DNA-Komplexe auseinanderzuziehen. „Mit der optischen Pinzette nutzen wir Licht, um einen einzelnen DNA-Strang von beiden Seiten zu greifen und auseinanderzuziehen. Stellen Sie sich vor, Sie ziehen an einer Schnur, um einen Knoten zu lösen“, sagt Dr. Ekaterina Vorobevskaia, eine Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe Schlierf, die das Projekt durchführte.
Die Gruppe sah einen klaren Zusammenhang zwischen der Kraft, die benötigt wurde, um einen Protein-DNA-Komplex zu zerlegen, und der Effizienz des Cut-and-Paste-Mechanismus. „Wenn man einen Komplex hat, der stark an die DNA gebunden ist, kann er seine Aufgabe sehr gut erfüllen – die DNA schneiden, und schnell ein neues Resistenzgen einzufügen. Wenn Sie hingegen einen Protein-DNA-Komplex haben, der eher schwach gebunden ist und immer wieder auseinanderfällt, muss er immer wieder neu zusammengesetzt werden. Deshalb erlangen einige Bakterien schneller eine Antibiotika-Resistenz als andere“, fügt Dr. Vorobevskaia hinzu.
Die Schwachstelle ausnutzen
„Das Integron-System wird seit Jahrzehnten von Mikrobiolog:innen untersucht. Was wir jetzt hinzufügen, sind biophysikalische Daten, die das Verhalten dieses Systems mithilfe der Physik erklären“, sagt Prof. Schlierf und fügt hinzu: „Vielleicht ist diese Anfälligkeit gegenüber Kräften ein allgemeineres Phänomen für unterschiedliche Effizienzen in der Biologie“.
Die Forschenden glauben, dass die Schwachstelle im System genutzt werden kann, um ergänzende Behandlungen zu entwickeln, die die instabilen DNA-Protein-Komplexe ausnutzen oder erzeugen. Sie könnten bestehende Antibiotikabehandlungen begleiten und ihnen einen zusätzlichen Zeitvorteil gegenüber Bakterien verschaffen.
Originale Veröffentlichung:
Ekaterina Vorobevskaia, Céline Loot, Didier Mazel, Michael Schlierf: The recombination efficiency of the bacterial integron depends on the mechanical stability of the synaptic complex. Science Advances (Dezember 2024)
Link: https://doi.org/10.1126/sciadv.adp8756
Über das B CUBE - Center for Molecular Bioengineering
Das B CUBE - Center for Molecular Bioengineering wurde 2008 als Zentrum für Innovationskompetenz (ZIK) durch die Initiative „Unternehmen Region“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gegründet. Es ist Teil des Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB). Die Forschungstätigkeit des B CUBE konzentriert sich auf die Untersuchung lebender Strukturen auf molekularer Ebene und die Übersetzung der daraus resultierenden Erkenntnisse in innovative Methoden, Materialien und Technologien.
Web: http://www.tud.de/bcube
Bildmaterial: https://tud.link/fgvmeg