Mar 29, 2016
Computer lernen denken - „Human Brain Project“: 1. Neurocomputer der Ameisenhirn-Klasse geht online
Digitale Computer mögen Matheaufgaben viel schneller lösen können als wir, doch mit den besonderen analytischen Fähigkeiten der Neuronen und Synapsen im menschlichen Gehirn können sie bis heute nicht mithalten: Denken ist eben immer noch anspruchsvoller als „nur“ rechnen. Doch zumindest die Nachbildung von voll funktionsfähigen Tiergehirnen in Silizium rückt in greifbare Nähe: Am 30. März 2016 wollen Forscher der Technischen Universität Dresden (TUD) gemeinsam mit ihren Kollegen aus München, Lausanne, Heidelberg und Manchester solche neuronalen Rechner mit einer Online-Konferenz in Betrieb nehmen. Das hat TUD-Professor Christian Mayr angekündigt, dessen Professur für „Hochparallele VLSI-Systeme und Neuromikroelektronik“ am internationalen „Human Brain Project“ („Projekt menschliches Gehirn“) wesentlich beteiligt ist.
Künstliche Neuronen aus Silizium
Jeder Neurocomputer, der im Zuge dieses „Human Brain Projects“ (HBP) konzipiert wurde, vernetzt derzeit jeweils rund 200.000 künstlich in Silizium nachgebildete Nervenzellen. Damit entspricht er etwa der Leistungskraft eines Ameisen-Gehirns. Stationiert sind diese Neurocomputer der „Ameisengehirn“-Klasse in Heidelberg und Dresden. Sie stehen ab April auf Antrag Wissenschaftlern aus aller Welt für besondere Forschungen zur Verfügung. Die HBP-Forscher bieten diese neue Rechenleistung über ein Internet-Portal zur Verfügung. Sie sind damit die ersten, die „Gehirn-Cloud-Computing“ anbieten.
Interessant können die gehirnähnlichen Rechnerwolken zum Beispiel für Neurobiologen sein, die die Funktionsweise natürlicher Gehirne untersuchen. Auch eignen sich solche Systeme, um neuartige Computerkonzepte zu testen, die nicht nach der heute üblichen „Von-Neumann-Architektur“ aufgebaut sind. Wenn Neurocomputer künftig in Serie gefertigt werden, könnte sich das Anwendungsspektrum noch deutlich erweitern: Für die blitzartige Analyse komplizierter Verkehrslagen zum Beispiel, für die schnelle Bilderkennung an den Toren von Fußballstadien oder für die Lernforschung. Eben überall dort, wo weniger die unübertroffen schnell rechnenden klassischen Digitalrechner gefragt sind, sondern hochparallele Aufgaben wie eine rasche Lage-Analyse und extreme Informationsverdichtung zu lösen sind.
Den Neurocomputer „NMPM1“ hat der taiwanesische Auftrags-Chipproduzent UMC nach den Plänen der „Human Brain Project“-Forscher in einer klassischen Mikroelektronik-Technologie hergestellt, auf einer Silizium-Scheibe (Wafer). Statt klassischer Prozessoren befinden sich auf diesem Wafer aber rund 200.000 künstliche Neuronen und etwa 50 Millionen Synapsen (Anregungs-Verbindungen). Die TUD-Forscher kümmerten sich im Projektverbund vor allem darum, dass der Neurocomputer mit der Außenwelt auch kommunizieren kann.
Bisher keine Hinweise auf Eigenleben
Für Christian Mayr ist das aber erst der Anfang: Sein Forschungsteam verfolgt mehrere Technologiepfade hin zu einem Neurocomputer, der letztlich an die 100 Milliarden künstliche Neuronen vernetzt und damit so komplex wäre wie ein menschliches Gehirn. „Ich glaube, dass wir in überschaubarer Zukunft einen Rechner mit menschenähnlichen Fähigkeiten konstruieren können“, sagt der 38-jährige Professor. Die Menschheit müsse sich aber keine Sorgen machen, von den künstlichen Intelligenzen abgeschafft zu werden. „Wir hoffen zwar, dass solche Systeme außerordentliche Lernfähigkeiten entwickeln. Aber bis jetzt haben wir mit unseren Neurocomputern keine Hinweise darauf gefunden, dass sie etwas Überraschendes tun oder gar ein Eigenleben entwickeln.“
Informationen für Journalisten:
Prof. Christian Mayr
Professur für Hochparallele VLSI-Systeme und Neuromikroelektronik an der Technischen Universität Dresden
Telefon: 0351 463-42392
hpsn.et.tu-dresden.de