09.11.2011
Regeneration nach schweren Gehirnverletzungen
Nach schweren Gehirnverletzungen bei Zebrafischen werden
 verlorengegangene Nervenzellen durch vorhandene neuronale
 Stammzellen so effizient ersetzt, dass sich sogar größere
 Gehirnregionen komplett von selbst wiederherstellen. Obwohl
 eine erstaunliche Regenerationsfähigkeit des Gehirns bei
 Fischen schon seit 50 Jahren vermutet wurde, blieben die
 Herkunft der neugebildeten Nervenzellen und die steuernden
 Mechanismen bisher ungeklärt. Nun ist es erstmals Dresdner
 Regenerationsforschern des DFG-Forschungszentrums für
 Regenerative Therapien Dresden (CRTD) und dem
 Biotechnologischen Zentrum der TU Dresden (BIOTEC) gelungen,
 die Quelle der wiederhergestellten Nervenzellen zu
 identifizieren. In Langzeitversuchen überlebten die
 neugebildeten Nervenzellen mehr als drei Monate und wurden
 dauerhaft in das geschädigte Gehirn eingebaut. Die
 Wissenschaftler zeigten auch auf, dass im Zebrafischgehirn,
 anders als bei Säugetieren, keine Narbenbildung nach
 Verletzungen stattfindet, welche beim Menschen die
 Selbstheilung des Gehirns verhindert (Development 2011, DOI
 10.1242/dev.072587).
Schwerwiegende Verletzungen des menschlichen Gehirns
 beispielsweise durch Traumata führen zu einer massiven
 Zerstörung von Nervenzellen. Der damit einhergehende Verlust
 der Gehirnfunktion ist dauerhaft, da eine Neubildung von
 Nervenzellen in geschädigten Gehirnarealen praktisch nicht
 stattfindet. Im Gegensatz dazu besitzen andere Wirbeltiere wie
 Salamander und Fische die Fähigkeit, große Regionen ihres
 zentralen Nervensystems, zum Beispiel die Netzhaut, das
 Rückenmark und das Gehirn, auch nach schwerwiegenden
 Verletzungen wieder zu erneuern. Obwohl diese erstaunliche
 Selbstheilungsfähigkeit schon seit den frühen sechziger Jahren
 an Fischen untersucht wurde, konnte bisher nicht geklärt
 werden, woher die neugebildeten Nervenzellen stammen, die die
 verlorenen Zellen ersetzen.
„Die bisherigen Forschungen konnten keinen Nachweis für die Nervenzellneubildung aus neuralen Stammzellen nach Verletzungen des Nervensystems bei erwachsenen Zebrafischen erbringen“, berichtet Prof. Dr. rer. nat. Michael Brand, Direktor des DFG- Forschungszentrums für Regenerative Therapien Dresden sowie des Biotechnologischen Zentrums der TU Dresden. Mit seiner Arbeitsgruppe hat er ein neues Modell entwickelt, das das erste Mal wissenschaftlich detailliert nachweist, woher originär die neu nachgebildeten Nervenzellen stammen, die die Regeneration des erwachsenen Zebrafischgehirns ermöglichen. Dafür wurden neuronale Stammzellen und von diesen abstammende neugebildete Nervenzellen genetisch mit Hilfe des sogenannten Cre/loxP-System dauerhaft markiert und dadurch sichtbar gemacht.
Normalerweise teilen sich beim Zebrafisch die neuronalen
 Vorläufer- oder Stammzellen im Außenbereich des Gehirns. Bei
 diesem Prozess entstehen neue Nervenzellen, die ausschließlich
 in diesem Randbereich eingebaut werden. Mit einer Kanüle
 verletzen die Dresdner nun die Mitte des Zebrafischgehirns.
 „Dabei werden rund 20 Prozent des Vorderhirns geschädigt“,
 erläutert Dr. rer. nat. Volker Kroehne die Versuchsreihen der
 Forschungsgruppe. Diese Verletzung würde ein Säugetier nicht
 überleben. Kroehne führt weiter aus: „Der Fisch kann die
 zerstörten Areale durch einen auf neuronalen Stammzellen
 basierenden Mechanismus wiederherstellen. Diese neuronalen
 Vorläuferzellen, sogenannte radiale Gliazellen, beschleunigen
 ihre Zellteilung und erhöhen damit die Produktion von neuen
 Nervenzellen, die dann in die Mitte des Gehirns wandern und die
 verlorenen Zellen im Verletzungsgebiet ersetzen.“ 
 Langzeitstudien von mehr als einem Jahr zeigten, dass die
 regenerierten Nervenzellen permanent im Fischgehirn verbleiben
 und wahrscheinlich dauerhaft in das neuronale Netzwerk
 eingebaut werden. Interessanterweise unterscheidet sich der neu
 entdeckte stammzellbasierte Regenerationsmechanismus
 grundlegend von dem des Herzens und des Skeletts bei Fischen:
 Dort entstehen neue Herzmuskel- und Skelettzellen nämlich
 ausschließlich aus vorhandenen ausgereiften Zellen, die sich in
 undifferenzierte Entwicklungsstufen zurückbilden und danach mit
 der Zellteilung beginnen (Dedifferenzierung).
Ein Hauptproblem bei Verletzungen im erwachsenen
 menschlichen Gehirn ist die Bildung von Narbengewebe, das unter
 anderem durch Ablagerungen von sternförmigen Gliazellen
 (Astrozyten) entsteht. Genau diese Verwandten der menschlichen
 Gliazelle, die radialen Gliazellen, erzeugen im Zebrafisch kein
 Narbengewebe, sondern neue Nervenzellen. Mit histologischen
 Methoden haben die Dresdner Regenerationsforscher ebenfalls
 nachgewiesen, dass im geschädigten Gehirn von Zebrafischen
 keine Narbenbildung stattfindet.
Die Gehirne von Mensch und Zebrafisch unterscheiden sich zwar oberflächlich betrachtet hinsichtlich Größe und Aussehen, sind aber neuroanatomisch und genetisch eng verwandt, bedingt durch ihre gemeinsame evolutionäre Abstammung. Es ist daher von grundlegender Bedeutung, die Regenerationsfähigkeit der Zebrafische zu verstehen. In den Gehirnen von erwachsenen Fischen entstehen lebenslang neue Nervenzellen, die dauerhaft verlorene Nervenzellen ersetzen können. Das Wissen um die Mechanismen der Regeneration bei Fischen könnte in Zukunft dazu beitragen, neue therapeutische Ansätze zur Förderung der Heilung des menschlichen Gehirns, bei Krankheiten und nach Verletzungen zu entwickeln.
Publikation:
 Volker Kroehne, Dorian Freudenreich, Stefan Hans, Jan Kaslin
 and Michael Brand (2011): Regeneration of the adult zebrafish
 brain from neurogenic radial glia-type progenitors. Development
 138, 4831-4841. DOI 10.1242/dev.072587
 DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden und
 Biotechnologisches Zentrum der TU Dresden.
Fotobeschreibung:
 Regeneration des Zebrafischgehirns: Die Körper der neuronalen
 Stammzellen (radiale Gliazellen, grün) befinden sich am äußeren
 Rand des Gehirns. Aus diesen Vorläuferzellen entstehen viele
 neuen Nervenzellen (gelb), die in der geschädigten linken
 Hirnhälfte tief in das Verletzungsgebiet in der Mitte
 einwandern. Der Stichkanal ist 21 Tage nach der Verletzung noch
 deutlich durch die Ansammlung von Blutzellen (blau) erkennbar.
 In der rechten gesunden Hirnhälfte hingegen befinden sich die
 neugebildeten Nervenzellen (gelb) ausschließlich am Rande des
 Gehirns. Die fadenartigen grünen Strukturen innerhalb des
 Gehirns sind die langen Fortsätze der radialen Gliazellen.
 ©CRTD/Kroehne
Kontakt für Journalisten:
 Birte Urban-Eicheler
 Pressesprecherin DFG-Forschungszentrum für Regenerative
 Therapien Dresden und Biotechnologisches Zentrum der TU
 Dresden
 Tel.: +49 351 463-40347
Prof. Dr. rer. nat. Michael Brand
 Direktor des DFG-Forschungszentrums für Regenerative Therapien
 Dresden und Biotechnologischen Zentrums der TU Dresden