13.07.2021
»Der Sport hat immer noch Priorität«
Prof. Remmer Sassen: Den meisten deutschen Fußballvereinen fehlt es an strukturellen Nachhaltigkeitskonzepten.
Nachhaltigkeit spielt bei deutschen Top-Fußballvereinen noch keine große Rolle. Das hat eine Untersuchung des Dresdner BWL-Professors Remmer Sassen ergeben. Im Interview erklärt er, warum das so ist – und wie man den Fußball grüner machen könnte.
UJ: Prof. Sassen, während wir uns unterhalten, läuft die Gruppenphase der Euro 2020. Die Spiele finden in insgesamt elf Städten statt, Teams und Fans reisen bis nach Baku. Viele halten das für ökologischen Wahnsinn. Hätte den ein Nachhaltigkeitskonzept verhindert?
Prof. Sassen: Ich fürchte nicht. Der Profifußball ist ja darauf angewiesen, dass die Spieler reisen. Nicht nur bei so einem Turnier, auch im Liga-Betrieb. Nachhaltigkeit ist nicht die erste Prämisse, wenn das eine Team in Kopenhagen und das andere in Rom sitzt.
Die UEFA selbst sagt, dass die Nachhaltigkeit der EM dank CO2-Kompensationen garantiert ist.
Kompensationen sind sicher nur die zweitbeste Möglichkeit. Besser wäre es, Flugreisen zu minimieren, zum Beispiel durch eine bessere Logistik. Wenn man sagt, wir wollen das Turnier europaweit ausrichten, dann kann man immer noch versuchen, es so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Dafür sorgt das Nachhaltigkeitskonzept.
In Ihrer Untersuchung dazu haben Sie sich mit den Vereinen der Bundesliga beschäftigt. Nur sechs der 18 Erstligisten haben in der Saison 2019/20 einen Bericht mit Nachhaltigkeitsbezug veröffentlicht.
Genau, ich habe mir vor allem die Transparenz zum Thema Nachhaltigkeit angeschaut. Das ist ein guter Indikator dafür, wie ernst es die Vereine damit nehmen. Die Berichte sind sehr unterschiedlich, haben unterschiedliche Schwerpunkte. Es gibt Vorreiter wie Borussia Dortmund, die ein stimmiges Konzept für mehr Nachhaltigkeit haben. Die meisten berichten aber eher Einzelmaßnahmen, womöglich das, was sie ohnehin schon machen. Das sind bei Fußballvereinen vor allem soziale Aktivitäten, oftmals Jugendarbeit. Aus dieser Uneinheitlichkeit kann man schließen, dass es kein strukturiertes Nachhaltigkeitskonzept gibt. Es gibt Aktivitäten, es gibt Verantwortliche, aber der Sport ist das wichtigere Thema.
Und zwei Drittel der Vereine haben erst gar keinen Nachhaltigkeitsbericht.
Das liegt vor allem daran, dass bisher nur kapitalmarktorientierte Vereine wie der BVB gemäß der Corporate-Social-Responsibility-Richtlinie der EU dazu verpflichtet waren. Die wird aber ab 2023 ausgeweitet, so dass auch kleinere Vereine davon betroffen sein dürften.
Auch Dynamo Dresden?
Aktuell wohl noch nicht. Mit dem Aufstieg in die zweite Liga ist es aber nicht unwahrscheinlich, dass die Größenkriterien zukünftig überschritten werden und Dynamo früher oder später berichtspflichtig wird.
Vielleicht liest ja jemand von Dynamo dieses Interview und fragt sich, wie ein gutes Nachhaltigkeitskonzept aussieht. Was würden Sie empfehlen?
Das wichtigste ist, Verantwortlichkeiten zu schaffen und einen systematischen Prozess anzulegen. Eine Person oder eine Abteilung müssen für Nachhaltigkeit verantwortlich sein und sich überlegen, wie man den ganzen Verein mitnehmen kann. Das ist in erster Linie eine kommunikative Aufgabe.
Und welche Maßnahmen gibt es konkret vor dem Spiel und im Stadion?
Naheliegende Themen sind natürlich die Flugreisen: Wenn ich vom Ruhrgebiet nach Berlin muss, bin ich mit der Bahn genauso schnell. Wichtig ist auch die Mobilität der Fans: Wie kann ich den Nahverkehr so attraktiv machen, dass die Fans vom Auto auf den Zug umsteigen, um zum Spiel zu kommen? Im Stadion sollte man dann zum Beispiel ein Recyclingkonzept haben und wiederverwertbare Trinkbecher nutzen. Die konkreten Maßnahmen sind zwar von Verein zu Verein unterschiedlich. Es sollte aber ein Leitfaden festgelegt werden, um die Nachhaltigkeitsberichte zu vereinheitlichen und mehr Transparenz zu schaffen.
Abgesehen von der gesetzlichen Verpflichtung, die für einige Vereine bald kommt: Wie kann man sie motivieren, ein Nachhaltigkeitskonzept zu erstellen und darüber zu berichten?
Fußballvereine haben eine große Vorbildrolle. Sie erreichen viele Menschen und können sie durch ihr vorbildhaftes Verhalten beeinflussen. Aber die Fans fordern das auch ein, weil ihnen Klima und Nachhaltigkeit immer wichtiger werden.
Nehmen wir mal an, bald haben alle Erst- und Zweitligisten ein gutes Nachhaltigkeitsmanagement. Wann ist die Liga grün?
Jedenfalls nicht dieses oder nächstes Jahr. Nachhaltigkeit ist ein inkrementeller Prozess. Hinzu kommt: Entscheidungen, die ich heute treffe, wirken lange nach. Wenn ein Verein heute ein neues Stadion baut, dann ist das 20, 30, 40 Jahre in Betrieb. Wenn das nicht ökologisch ist, dann ist das Kind in den Brunnen gefallen. Wir wollen schließlich schon 2040 klimaneutral sein.
Sie sind Professor für BWL mit Schwerpunkt Umweltmanagement. Es ist also nicht verwunderlich, dass Sie sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Aber warum Fußball?
Ich bin sehr sport- und vor allem fußballinteressiert. Ich habe deshalb auch den Verein »Sports Governance« mitgegründet, wo wir uns mit Management im Sport beschäftigen. Nachhaltigkeit gehört da mittlerweile immer dazu. Das Thema hat eine sehr große Dynamik.
Und für welchen Fußballverein schlägt Ihr Herz?
Bayern München. Aber in erster Linie bin ich Fußballfan und habe auch Sympathien für andere Vereine wie St. Pauli, weil ich aus dem Norden komme und lange in Hamburg gelebt habe. Aber seit ich in Dresden bin, folge ich natürlich auch Dynamo.
Die Fragen stellte Luise Anter.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 13/2021 vom 13. Juli 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.