12.05.2021
Wirkstoffe effizient in Zellen schmuggeln
Ein neues, patentiertes Verfahren namens "Progressive Mechanoporation" ermöglicht es, die Membranen von Zellen kurzzeitig mechanisch aufzureißen und so Medikamente oder Gene in das Innere zu bringen. Auf diese Weise können Forscher:innen leichter als bisher neue Therapien testen.
Moderne Impfstoffe wie die gegen Sars-CoV-2 nutzen winzige Fettkügelchen, um genetische Informationen in Zellen zu bringen und so eine Immunabwehr gegen das gefährliche Virus aufzubauen. Ein Team von Wissenschaftler:innen aus Erlangen, Dresden und London hat nun eine ganze neue Methode entwickelt, mit deren Hilfe sich sehr effizient nicht nur Gene, sondern auch Wirkstoffe und andere Substanzen in Zellen transportieren lassen. Die Forscher:innen vom Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin (MPZPM) in Erlangen und von der Technischen Universität Dresden/The Institute of Cancer Research London haben die Methode "Progressive Mechanoporation" getauft und sie jetzt im Fachmagazin „Lab on a Chip“ veröffentlicht. Zudem haben sie ein Patent eingereicht.
Die Wissenschaftler:innen rund um Salvatore Girardo (Erlangen) und Jörg Mansfeld (Dresden/London) – insbesondere Ruchi Goswami und Alena Uvizil – haben einen speziellen Biochip aus einem Kunststoff gebaut, auf dem hintereinander immer enger werdende Kanäle, die mehr als zehnmal kleiner als ein menschliches Haar sind, angeordnet sind. Zellen, die durch diese Kanäle gepresst werden, strecken sich dabei immer stärker bis Löcher in der Plasmamembran entstehen. Durch diese Löcher können dann Moleküle in das Zellinnere gelangen. Haben die Zellen die Kanäle passiert, schließen sich die Löcher von alleine wieder. Die Forschende haben gezeigt, dass das sogar mit sehr großen Proteinen klappt. Als Proof-of-Concept haben sie Antikörper und CRISPR/Cas9 eingesetzt, die Genschere, deren Entdeckung im letzten Jahr zu einem Nobelpreis führte.
Potenziell ein neues Routineverfahren für Krankenhäuser
„Der große Vorteil unserer Methode: Wir können bis zu 10.000 Zellen pro Sekunde durch den Chip schicken“, erklärt Salvatore Girardo, der am MPZPM die Technologieentwicklungs- und Servicegruppe Lab-on-a-Chip leitet. Gleichzeitig ist das Verfahren sehr schonend, nur wenige Zellen werden im Vergleich zu anderen Techniken geschädigt.
Mit Hilfe der Methode können etwa Pharmahersteller künftig sehr effizient Wirkstoffe testen, um neue Medikamente zu entwickeln. Zudem lässt es sich gut automatisieren. Jörg Mansfeld, der am Biotechnologischen Zentrum der TU Dresden und am Institute of Cancer Research in London eine Forschungsgruppe leitet, ergänzt: „Ich kann mir vorstellen, dass in Zukunft Krankenhäuser mit der Progressiven Mechanoporation routinemäßig Zellen von Patienten untersuchen und sogar behandeln können.“
Originalveröffentlichung
Alena Uvizl, Ruchi Goswami, Shanil Durgeshkumar Gandhi, Martina Augsburg, Frank Buchholz, Jochen Guck, Jörg Mansfeld and Salvatore Girardo: Efficient and gentle delivery of molecules into cells with different elasticity via progressive mechanoporation. Lab on a Chip (May 2021)
doi: https://doi.org/10.1039/D0LC01224F
Informationen für Journalisten:
Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin
Lothar Kuhn
Tel: +49 9131 7133 825
Center for Molecular and Cellular Bioengineering, TU Dresden
Dr. Magdalena Gonciarz
Tel.: +49 351 458-82065
Über das Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin (MPZPM)
Das Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin ist ein gemeinsames Projekt der drei Kooperationspartner Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts (MPL), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und Universitätsklinikum Erlangen (UK). Ziel des neuen Forschungszentrums ist die Anwendung von fortschrittlichen Methoden der Experimentalphysik und Mathematik in der biomedizinischen Grundlagenforschung. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der interzellulären Mikroumgebung.
Über das Biotechnologische Zentrum (BIOTEC)
Das Biotechnologische Zentrum (BIOTEC) wurde 2000 als zentrale wissenschaftliche Einrichtung der TU Dresden mit dem Ziel gegründet, modernste Forschungsansätze in der Molekular- und Zellbiologie mit den in Dresden traditionell starken Ingenieurswissenschaften zu verbinden. Seit 2016 ist das BIOTEC eines von drei Instituten der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB) der TU Dresden. Das BIOTEC nimmt eine zentrale Position in Forschung und Lehre im Forschungsschwerpunkt Molecular Bioengineering ein und verbindet zellbiologische, biophysikalische und bioinformatische Ansätze miteinander. Es trägt damit entscheidend zur Profilierung der TU Dresden im Bereich Gesundheitswissenschaften, Biomedizin und Bioengineering bei.
www.tu-dresden.de/cmcb/biotec
http://www.tu-dresden.de/cmcb
Über das Institute of Cancer Research, London
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Das ICR hat eine herausragende Erfolgsgeschichte, die mehr als 100 Jahre zurückreicht. Es lieferte den ersten überzeugenden Beweis, dass DNA-Schäden die grundlegende Ursache für Krebs sind, und legte damit den Grundstein für die heute allgemein akzeptierte Vorstellung, dass Krebs eine genetische Erkrankung ist. Heute ist es weltweit führend bei der Identifizierung von krebsassoziierten Genen und der Entdeckung neuer zielgerichteter Medikamente für die personalisierte Krebsbehandlung.
Als College der University of London ist das ICR die führende akademische Einrichtung Großbritanniens in Bezug auf die Qualität der Forschung und bietet eine postgraduierte Hochschulausbildung von internationalem Rang. Es hat den Status einer Hilfsorganisation und ist auf die Unterstützung von Partnerorganisationen, Wohltätigkeitsorganisationen und der allgemeinen Öffentlichkeit angewiesen.
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