27.06.2012
Verspiegelte Fischaugen ermöglichen 10-fache Lichtausbeute
Gemeinsame Pressemitteilung des Biotechnologischen Zentrums der TU Dresden und des Paul-Flechsig-Instituts für Gehirnforschung der Universität Leipzig vom 29.06.2012
Eine internationale Forschergruppe entschlüsselte den
Augenaufbau des Elefantenrüsselfischs, der im trüben
Schwarzwasser zentral- und westafrikanischer Seen und Flüsse
lebt. Zum ersten Mal konnten Wissenschaftler des
Biotechnologischen Zentrums der TU Dresden, des
Paul-Flechsig-Instituts für Gehirnforschung der Universität
Leipzig und 14 weiterer Institute hiermit eine in der Natur
vorkommende 10-fache Lichtverstärkung nachweisen. Hierzu
befinden sich kleine Parabolspiegel in der Netzhaut des
Fisches, die das schwache einfallende Licht fokussieren und
verstärken, bevor es von den Lichtsinneszellen detektiert wird.
Ihre Erkenntnisse über den Aufbau des Fischauges und die
dadurch verbesserte Objekterkennung könnten für die Forschung
im Bereich der Mikrochipentwicklung sowie der photonischen
Kristallforschung eine Rolle spielen. Die Studie „Photonic
Crystal Light Collectors in Fish Retina Improve Vision in
Turbid Water“ ist im amerikanischen Fachjournal Science
veröffentlicht worden (DOI: 10.1126/science.1218072).
Erforscht ist beim afrikanischen Elefantenrüsselfisch bereits
sein elektrisches Ortungsorgan in der langen Unterlippe, dessen
Aussehen er seinen Namen verdankt. Damit kann er im sehr
trüben Wasser seines Lebensraums den Umkreis von 15 Zentimetern
akkurat abtasten. Doch der Fisch muss dort auch sehr schnell
weiter entfernte, große Objekte wie seine Fressfeinde erkennen.
„Wir haben uns gefragt, wie das funktionieren kann, wie das
Auge und die Netzhaut dieses Fischs aufgebaut sein müssen, um
ihm eine angepasste Art des Sehens zu ermöglichen“, berichtet
der Biophysiker und Humboldt-Professor Jochen Guck vom
Biotechnologischen Zentrum der TU Dresden. Moritz Kreysing aus
Gucks Arbeitsgruppe in Cambridge untersuchte in seiner
Doktorarbeit die optischen Konsequenzen der außergewöhnlichen
Netzhaut-Spezialisierung und erläutert: „Der
Elefantenrüsselfisch fischt im Trüben; seine natürliche
Umgebung erreicht nur wenig Licht, und zwar hauptsächlich im
roten Wellenlängenbereich. Dieses Licht muss die Netzhaut
optimal ausnutzen können.“
In der menschlichen Netzhaut dienen spezielle
Lichtsinneszellen, die Stäbchen, dem Sehen bei geringer
Helligkeit. In zentralen Bereichen der Retina findet sich ein
weiterer Typ von Lichtsinneszellen (Zapfen), die die
Farbwahrnehmung bei Tage ermöglichen. Zapfen sind allerdings
nur bei ausreichender Beleuchtungsstärke aktiv, da sie nicht
sehr lichtempfindlich sind. Stäbchen, die ein Vielfaches
empfindlicher als Zapfen sind, ermöglichen Tieren vor allem
nachts eine gute Sicht. Verfügt die Netzhaut noch über eine
reflektorische Schicht wie bei einem Katzenauge, verdoppelt
sich ihre Lichtausbeute. Allerdings sind Stäbchen auf den
grünen Wellenlängenbereich spezialisiert. Licht in diesem
Wellenbereich kommt in der trüben Umgebung des
Elefantenrüsselfisches nur wenig an.
„Der Elefantenrüsselfisch ist evolutionär sehr gut an seinen
trüben Lebensraum angepasst“, sagt Prof. Andreas Reichenbach
vom Paul-Flechsig-Institut der Universität Leipzig. „Das
konnten wir im internationalen Verbund fachübergreifend und
detailliert nachweisen.“ Die Retina des Fischs ist mit
Parabolspiegeln ausgekleidet, in deren Brennpunkt sich die
Zapfen befinden. Durch diese Spiegel wird das eindringende
Licht gebündelt und so auf die wenig lichtempfindlichen Zapfen
projiziert, um ihre Lichtausbeute in den Tiefen des trüben
Wassers zu optimieren. Die weitaus empfindlicheren Stäbchen
befinden sich abgeschattet hinter diesen Spiegeln und können
auch noch bei moderaten Lichtintensitäten zum Sehen beitragen,
ohne zu übersättigen.
Durch diese optimale Anordnung kann der Fisch - im Gegensatz
zum Menschen - fast immer Zapfen und Stäbchen
gleichzeitig nutzen. Außerdem sind die Zapfen des
Elefantenrüsselfisches innerhalb der Parabolspiegel reine
Rot-Rezeptoren. Das ist eine optimale Anpassung an die
Tatsache, dass in trübem Gewässer langwelliges, also rotes
Licht besser nach unten dringt als Licht anderer
Wellenlängen.
Prof. Reichenbach fasziniert die maximale Ausnutzung der
verschiedenen Lichtsinneszelltypen: „Wir konnten erstmalig
nachweisen, dass es in einer Netzhaut Strukturen gibt, die
einfallendes Licht um das 10-fache verstärken können.“
Tatsächlich konnten die Verhaltensforscher in den Partnerlabors
auch direkt nachweisen, dass der Elefantenrüsselfisch unter den
experimentell nachgeahmten Bedingungen seiner Umgebung - mit
stark „verrauschten“, schwachen Lichtreizen - auf große,
bewegte Objekte zuverlässiger reagiert als beispielsweise der
Goldfisch, dem die beschriebene Netzhautspezialisierung
fehlt.
Die in der Studie gewonnenen Erkenntnisse könnten nicht nur für
die biologische Sehforschung, sondern auch bei der Entwicklung
von Sensoren in Mikrochips von Interesse sein, kann sich Prof.
Guck vorstellen: „Anwendungen bei Detektionssystemen unter
extremen Bedingungen könnten genauso von dem Wissen um den
Aufbau dieses Fischauges profitieren wie die photonische
Kristallforschung.“
Publikation:
Moritz Kreysing (1,2,x), Roland Pusch (3,x), Dorothee Haverkate
(4,x), Meik Landsberger (3,x), Jacob Engelmann (3,5,x), Janina
Ruiter (6), Carlos Mora-Ferrer (7), Elke Ulbricht (6,8), Jens
Grosche (6), Kristian Franze (1,6,8), Stefan Streif (9), Sarah
Schumacher (3), Felix Makarov (10), Johannes Kacza (11), Jochen
Guck (1,12), Hartwig Wolburg (13), Jim Bowmaker (14), Gerhard
von der Emde (3), Stefan Schuster (4), Hans-Joachim Wagner
(15), Andreas Reichenbach (6,*) and Mike Francke (1,6,16):
Photonic Crystal Light Collectors in Fish Retina Improve Vision
in Turbid Water. Science, DOI: 10.1126/science.1218072
x these authors contributed equally
From the
1 Cavendish Laboratory, Department of Physics, University of
Cambridge, Cambridge, UK.
2 Systems Biophysics, Department of Physics, Ludwig-Maximilians
University, Munich, Germany.
3 Institute of Zoology, University of Bonn, Bonn,
Germany.
4 University of Bayreuth, Department of Animal Physiology,
Bayreuth, Germany.
5 Department of Biology, University of Bielefeld, Bielefeld,
Germany.
6 Paul-Flechsig-Institute for Brain Research, University of
Leipzig, Leipzig, Germany.
7 Institute of Zoology, Neurobiology, University Mainz, Mainz,
Germany.
8 Department of Physiology, Development and Neuroscience,
University of Cambridge. Cambridge, UK.
9 Institute for Automation Engineering, Systems Theory and
Automatic Control Lab, University of Magdeburg, Germany.
10 Pavlov Institute of Physiology, St. Petersburg,
Russia.
11 Institute of Anatomy, Histology and Embryology, Faculty of
Veterinary Medicine, University of Leipzig, Leipzig,
Germany.
12 Technische Universität Dresden, Biotechnology Center,
Dresden, Germany.
13 Institute of Pathology and Neuropathology, University of
Tübingen, Tübingen, Germany.
14 Institute of Ophthalmology, London, UK.
15 Institute of Anatomy, University of Tübingen, Tübingen,
Germany.
16 Translational Centre for Regenerative Medicine, University
of Leipzig, Leipzig, Germany.
*Corresponding author: Andreas Reichenbach,
Paul-Flechsig-Institute for Brain Research, University of
Leipzig, Leipzig, Germany
Foto: Lichtbündelung in der Netzhaut
des Elefantenrüsselfischs: Die lichtempfindlichen Zapfen
befinden sich im Fokus eines Parabolspiegels.
(Foto: Moritz Kreysing, Cavendish Laboratory, Department of
Physics, University of Cambridge, Cambridge, UK)
Informationen für Journalisten:
Birte Urban-Eicheler
Pressesprecherin Biotechnologisches Zentrum der TU Dresden
(BIOTEC)
Tel.: 0351 458-82065
Prof. Jochen Guck
Humboldtprofessur und Professur für Zellulare Maschinen am
Biotechnologischen Zentrum der TUD
Prof. Andreas Reichenbach
Wissenschaftlicher Leiter des Paul-Flechsig-Instituts für
Gehirnforschung an der Universität Leipzig
Das BIOTEChnologische Zentrum (BIOTEC) wurde 2000 als
zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Technischen
Universität Dresden mit dem Ziel gegründet, modernste
Forschungsansätze in der Molekular- und Zellbiologie mit den in
Dresden traditionell starken Ingenieurswissenschaften zu
verbinden. Innerhalb der TU Dresden nimmt das BIOTEC eine
zentrale Position in Forschung und Lehre mit dem Schwerpunkt
„Molecular Bioengineering und Regenerative Medizin“ ein. Es
trägt damit entscheidend zur Profilierung der TU Dresden im
Bereich moderner Biotechnologie und Biomedizin bei. Die
Forschungsschwerpunkte der internationalen Arbeitsgruppen
bilden die Genomik, die Proteomik, die Biophysik, zelluläre
Maschinen, die Molekulargenetik, die Gewebezüchtung und die
Bioinformatik.
Das Paul-Flechsig-Institut (PFI) ist ein
Forschungsinstitut der Medizinischen Fakultät der Universität
Leipzig im Bereich der Neurowissenschaften. Es besteht seit
1974 und geht auf die Gründung des "hirnanatomischen
Laboratoriums" durch Paul Flechsig im Jahre 1883 zurück.
Gegenwärtig ist das Institut ein tragender Baustein im
profilbildenden Forschungsbereich „Gehirn, Kognition und
Sprache“ (PfB 4) der Universität Leipzig und trägt damit
entscheidend zur weiteren Entwicklung der
neurowissenschaftlichen Kompetenz am Standort bei. Die
Interdisziplinarität der Forschung spiegelt sich u.a. in der
zentralen Rolle des Instituts im DFG-Graduiertenkolleg
„Interdisziplinäre Ansätze in den zellulären
Neurowissenschaften“ (GRK 1097) wieder. Die
Forschungsschwerpunkte des Instituts beinhalten zelluläre und
molekulare Aspekte neurodegenerativer Erkrankungen und glialer
Reaktionen in Hirn und Netzhaut.