06.09.2012
Min-Protein-Wellen erkennen geometrische Figuren künstlicher Membranstrukturen
Wissenschaftler aus Dresden, Boston und Saarbrücken haben in
einer gemeinsamen Studie herausgefunden, wie spezielle Proteine
des Darmbakteriums Escherichia Coli die Form der Zelle erkennen
können. Diese Arbeit kann helfen, den Zellteilungsmechanismus
in Escherichia Coli besser zu verstehen.
In Escherichia coli wird die Zellteilung wesentlich von den
sogenannten FtsZ-Proteinen durchgeführt. Bevor es zur Teilung
kommt, sammeln sich diese in der Zellmitte und bilden den
Z-Ring, der die Mutterzelle in zwei Hälften teilt und die
beiden zukünftigen Tochterzellen abschnürt. Aber woher wissen
diese speziellen Strukturproteine, dass sie sich während
Zellteilung in der Mitte ansiedeln sollen? Ihre Lokalisierung
wird durch eine weitere Familie von Proteinen reguliert, durch
die sogenannten Min-Proteine. Diese oszillieren zwischen den
beiden Enden des stäbchenförmigen Bakteriums hin- und her und
konzentrieren sich dabei an den beiden Polkappen der Zelle,
wohingegen die Zellmitte weitestgehend frei bleibt. Da die
Min-Proteine FtsZ-Proteine blockieren, kann sich der Z-Ring nur
in der Mitte der Mutterzelle ausbilden.
Um das räumliche und zeitliche Verhalten der Min-Proteine
genauer zu studieren, haben Wissenschaftler des
Biotechnologischen Zentrum der Technischen Universität Dresden
(BIOTEC) der Arbeitsgruppe von Professorin Petra Schwille eine
künstliche Membranumgebung geschaffen, mit der die Proteine
wechselwirken können. Unter Zugabe von Energie in Form von
Adenosintriphosphat (ATP), dem Energieträger aller biologischen
Zellen, bildeten die Min-Proteine ebene Wellen aus, die sich
über den künstlichen Membranteppich ausbreiten. In einer
Kooperation mit dem Institut für Integrative Nanowissenschaften
des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung
Dresden wurde das Ausbreitungsverhalten der Min-Protein-Wellen
eingehender studiert, indem die künstlichen Membranen durch
Gold-Mikrostrukturen in spezifische geometrische Formen
gebracht wurden.
„Bei unseren Messungen mit Min-Proteinen auf geometrisch
geformten Membranen konnten wir beobachten, dass sich die
ausbreitenden Wellen an der vorgegebenen Struktur ausrichten
und offenbar somit die Geometrie quasi spüren können“,
erläutert Jakob Schweizer, der mit diesem Thema im Fachbereich
Physik an der TU Dresden promoviert. “So haben wir zum Beispiel
beobachtet, dass in rechteckigen Membranstrukturen die Wellen
immer entlang der Diagonalen verlaufen, und in gekrümmten
Formen können wir die Wellen sogar um die Ecke lenken.“ Die
Arbeit, die diese Woche im Journal Proceedings of the National
Academy of Sciences USA veröffentlicht wurde, ist die
erfolgreiche Fortführung des Projekts von Dr. Martin Loose, Dr.
Walter Seipp-Preisträger der TU Dresden 2011, der
gegenwärtig an der Harvard Medical School forscht.
Bei den Min-Protein-Wellen handelt es sich wie bei vielen
chemischen Wellen um ein Reaktions-Diffusions-System. Deren
theoretische Erforschung hat in Dresden lange Tradition.
Co-Autor Prof. Karsten Kruse von der Universität Saarbrücken
hat sich bereits am Max-Planck-Institut für Physik Komplexer
Systeme mit solchen Phänomenen beschäftigt. Die von seiner
Arbeitsgruppe durchgeführten numerischen Simulationen der
Min-Protein-Wellen in den geometrischen Membranstrukturen
konnten nicht nur die experimentellen Arbeiten der Dresdner
Wissenschaftler korrekt vorhersagen, sondern damit auch
theoretische Modelle aus der früheren Studie bestätigen.
Weil die Messungen nicht in der biologischen Zelle, sondern in
einer künstlichen Membranumgebung durchgeführt wurden, ist
diese Arbeit dem Bereich Synthetische Biologie zuzuordnen, der
in den letzten Jahren immer mehr Bedeutung für die biologische
Grundlagenforschung erlangt hat. „Diese Studie zeigt, dass die
Ansätze der synthetischen Biologie vielversprechend sind“, sagt
Professorin Petra Schwille. “Es ist in der Tat möglich,
zelluläre Prozesse im Reagenzglas nachzubilden und dabei auch
noch grundlegende Phänomene zu entdecken, die uns bei der
Beobachtung sehr viel komplexerer biologischer Zellen
verschlossen bleiben.“ Petra Schwille, bisher Professorin am
BIOTEC, ist seit Mai Direktorin am Max-Planck-Institut für
Biochemie in Martinsried. Mit ihren Mitarbeitern setzt sie dort
die Erforschung der Min-Proteine und der synthetischen
Biologie fort.
Die Studie ist zu finden: www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1206953109
Foto: In dem Escherichia coli
oszillieren Min-Proteine zwischen den beiden Enden des
stäbchenförmigen Bakteriums. Auf künstlichen Membranen in
Goldmikrostrukturen (Abbildung) folgen sie der
Ausrichtung.
Foto: Jakob Schweizer, Biotechnologisches Zentrum der TU
Dresden
Informationen für Journalisten:
Birte Urban-Eicheler
Pressesprecherin Biotechnologisches Zentrum der TU Dresden
(BIOTEC)
Tel.: 0351 458-82065
Prof. Petra Schwille
Department of Cellular and Molecular Biophysics
Max-Planck-Institut für Biochemie
82152 Martinsried
Tel.: 089 85782901
Prof. Karsten Kruse
Theoretische Physik
Universität des Saarlandes
Tel.: 0681 302-2763