Jun 14, 2012
Ein Drittel aller Erwachsenen in Deutschland leidet an einer psychischen Störung
Der Frage nach den häufigsten psychischen Erkrankungen in
Deutschland ging ein Psychologenteam der TU Dresden unter
Leitung von Professor Hans-Ulrich Wittchen im Rahmen eines
umfassenden Forschungsprojektes des Robert Koch-Institutes
(RKI) nach. Gemeinsam mit den anderen Studienergebnissen des
neuen Gesundheitsuntersuchungssurveys für Erwachsene wurden am
14. Juni 2012 in Berlin die ersten Ergebnisse
veröffentlicht.
Die Dresdner Psychologen, die im vergangenen Jahr in einer
ähnlichen europaweiten Studie das Belastungsausmaß psychischer
Störungen analysiert haben, konnten nun für Deutschland
aktuelle Daten aus dem Zeitraum 2010/2011 vorlegen.
Die wichtigsten Hauptergebnisse sind:
- Ein Drittel der deutschen Bevölkerung im Alter von 18 bis 80 Jahren ist pro Jahr von psychischen Störungen betroffen. Die 12-Monats-Prävalenz ist bei den 18- bis 35-Jährigen mit 45 Prozent am höchsten. Damit ist das Ausmaß des Problems verglichen mit Studienergebnissen aus dem Jahr 1998 unverändert groß und liegt nur etwas niedriger als in der europaweiten Schätzung.
- Die häufigsten Erkrankungen bei Frauen sind Angststörungen (Panikstörung, Generalisierte Angststörung, Phobien) sowie depressive und somatoforme Erkrankungen.
- Die häufigsten Erkrankungen bei Männern sind neben Suchterkrankungen (vor allem Alkoholsucht) Angst- und depressive Störungen.
- Nach wie vor leiden Frauen etwas häufiger an psychischen
Störungen als Männer, allerdings wird der Unterschied immer
geringer.
- Psychische Störungen beginnen überwiegend bereits vor dem 18. Lebensjahr und schränken unbehandelt die Lebensqualität über Zeiträume bis zu Jahrzehnten deutlich ein. Bei mehr als einem Drittel der Betroffenen münden die psychischen Störungen, wenn sie nicht frühzeitig behandelt werden, in einen langjährigen chronischen Verlauf mit vielfältigen Komplikationen.
- Psychische Störungen sind mit einem überaus hohen Risiko an Fehltagen und Krankschreibungen verbunden. Jeder dritte Betroffene hatte in der Befragung angegeben, in den vergangenen vier Wochen 3 bis 4 Tage auf Grund der psychischen Störung krankgeschrieben gewesen zu sein.
- Bei gleichzeitigem Auftreten verschiedener psychischer Störungen erhöhen sich die Fehltage auf durchschnittlich 11,6 pro Monat.
- Trotz des hohen Leidens- und Behinderungsausmaßes ist die „Behandlungsrate“ erschreckend gering. Nur 30,5 Prozent aller Betroffenen haben wegen ihrer Erkrankung jemals Kontakt mit dem Versorgungssystem gehabt. Da in diese Schätzung auch einmalige Arztbesuche und Kontakte zu nicht auf psychische Erkrankungen spezialisierte Hausärzte eingehen, werden offensichtlich nur wenige Betroffene adäquat behandelt.
- Wenn eine Intervention erfolgt, erfolgt diese im Mittel erst viele Jahre nach dem Krankheitsbeginn und zumeist erst dann, wenn die Grunderkrankung durch vielfältige Zusatzerkrankungen kompliziert bzw. chronifiziert ist.
- Die Zahlen deuten an, dass Früherkennung und adäquate
Frühinterventionen die Ausnahme sind. Insbesondere die Gruppe
der 18- bis 35-Jährigen ist durch eine schlechte
Behandlungsquote charakterisiert.
Die aktuell vorliegenden Daten geben beim jetzigen
Auswertungsstand nur einen groben Überblick über die
Größenordnung und das Belastungsausmaß sowie die Versorgung an.
Die TUD und RKI werden in den nächsten Jahren schrittweise
vertiefende Analysen vorlegen und ggf. durch Nachuntersuchungen
erweitern.
Informationen zum Deutschen Gesundheitsuntersuchungssurvey
(DEGS) stehen hier zum Download bereit.
Informationen für Journalisten:
Prof. Hans-Ulrich Wittchen
Tel. +49 351 463-36985