16.11.2021
Historische Texte mit »neuen Augen« lesen
Prof. Dennis Pausch veröffentlicht Buch über die Kunst der Beleidigung in der Antike
Beate Diederichs
Der Sonderforschungsbereich (SFB) 1285 »Invektivität« steuert allmählich auf die Zielgerade zu. Dies gilt natürlich auch für die dreizehn Teilprojekte. Für das latinistische Teilprojekt B berichtet dessen Leiter Dennis Pausch, Professor am Institut für Klassische Philologie, womit er und sein Team sich beschäftigt haben, welche Erkenntnisse sie gewonnen haben und warum am Ende ein Buch steht, das trotz der zeitlichen Ferne des Forschungsgegenstands sehr aktuell ist und auf große Resonanz stieß.
Was haben Cicero, Catull und Horaz gemeinsam? Viele wissen: Es handelt sich um Autoren aus dem antiken Rom, die im ersten Jahrhundert vor und im ersten Jahrhundert nach Christus gelebt und gewirkt haben, wobei Cicero Prosa schrieb, Catull und Horaz dichteten. Nicht so vielen Menschen dagegen ist bekannt: Diese Römer beleidigten ihre politischen Widersacher, schmähten sie, beschimpften sie – und das in kunstvoller Form. In linguistischer Fachsprache: Sie verfassten Invektiven. So fügt sich die Interpretation ihrer Werke gut in das Thema des Sonderforschungsbereiches 1285 »Invektivität« ein, der 2017 startete und im kommenden Sommer endet. Das Ende betrifft auch die dreizehn Teilprojekte, wie das latinistische Projekt B »Invektive Inszenierungen. Verbale Herabsetzungen in der römischen Gesellschaft des ersten Jahrhunderts vor Christus zwischen literarischer Tradition und fingierter Mündlichkeit«. Das Team bestand über die Jahre unter anderem aus dem Leiter Dennis Pausch, Professor für lateinische Philologie, und den wissenschaftlichen Mitarbeitern Ken Heuring, Philipp Geit-ner und Christoph Schwameis. Dennis Pausch umreißt in seinen eigenen Worten den Forschungsgegenstand und weist besonders auf Cicero hin, denjenigen Autor aus der römischen Antike, der das umfangreichste Textkorpus hinterlassen hat: »Wir haben uns in unserem Teilprojekt zunächst einmal mit Invektiven im klassischen Sinne beschäftigt, also mit den Reden, die nach den Regeln der antiken Rhetorik das Gegenteil einer laudatio sind, also einer Lobrede, und dazu dienen, das Gegenüber herabzusetzen und in eine schwächere Position zu bringen. Angesichts des Überlieferungsbefundes ist man dabei vor allem auf Cicero angewiesen, so dass dessen Reden gegen Verres, gegen Piso oder gegen Marc Anton im Mittelpunkt des Projekts stehen.« Verres, Piso und Marc Anton waren einflussreiche römische Politiker und Gegner Ciceros. Die Philologen analysierten neben der gesellschaftlichen Funktion stets immer auch die sprachliche und literarische Form der Schriften. Innerhalb des SFB ergaben sich dabei auch interessante Blicke über den Tellerrand. »Es war und ist uns besonders wichtig, die Möglichkeiten zu nutzen, die ein interdisziplinärer Forschungsverbund bietet, um die antiken Texte mit vergleichbaren Phänomenen aus anderen Epochen und Kulturen zu vergleichen und so besser verstehen zu können«, formuliert es Dennis Pausch. Ken Heuring beschäftigte sich detailliert mit einem Werk Ciceros, seiner zweiten Philippischen Rede gegen Marc Anton, einem Paradebeispiel der Schmähliteratur, das auch in der Schule gern gelesen wird und in der Cicero unter anderem den Alkoholkonsum seines Widersachers aufs Korn nimmt. Heuring untersuchte hier vor allem den Zusammenhang zwischen Sprache und Emotionen und verfasste auch seine Dissertation dazu. »Außerdem haben wir als Projektteam eine internationale Tagung zu Ciceronian Invectives, den ciceronischen Schmähschriften, organisiert. Deren Ergebnisse werden nächstes Jahr als Sammelband erscheinen«, fügt Dennis Pausch hinzu.
Nach den reichlich vier Jahren Arbeit im Sonderforschungsbereich hat der Professor einen erweiterten Blick auf die antiken Texte gewonnen, mit denen er sich ja eigentlich schon länger befasst. »Ich lese die Texte nun gewissermaßen mit neuen Augen«, sagt Dennis Pausch und zeigt dies an einem Beispiel: Beim Thema »herabsetzende Kommunikation« gibt es – wie bei anderen Themen auch – grundsätzlich verschiedene Perspektiven, so die des »Täters«, des »Opfers« oder des »Publikums«. »Da wir aus der Antike meist nur die Texte selbst überliefert haben, neigen wir oft dazu, die Sichtweise des Sprechers zu übernehmen. Hier kann der Vergleich mit vergleichbaren Konstellationen aus Zeiten, in denen der Kontext besser rekonstruierbar ist, weiterhelfen. Umgekehrt kann man natürlich auch gut verfolgen, wie sich bestimmte Muster der Invektive von der Antike bis in unsere Zeit hinein verfolgen lassen.«
Diese Aktualität des Gegenstands – trotz des zeitlichen Abstands – erklärt sicher auch, warum das Buch, in dem Dennis Pausch seine Erkenntnisse zusammenfasste, auf große Resonanz stieß. Anfang Oktober war er damit in einer Kultursendung des Hessischen Rundfunks zu Gast. Außerdem veröffentlichten mehrere auflagenstarke Zeitungen Rezensionen dazu. Das Werk ist im Mai bei C. H. Beck erschienen und heißt »Virtuose Niedertracht – die Kunst der Beleidigung in der Antike«. Im Buch weitet Pausch den Blickwinkel von Cicero auf alle Formen der »virtuosen Niedertracht« im antiken Rom aus. »Nach einer historischen und methodischen Einordnung präsentiere ich eine Auswahl besonders einschlägiger Stellen aus der lateinischen Literatur und versuche, diese nach Form und Inhalt einzuordnen und dabei so zu erklären, dass man sie auch ohne vertiefte Vorkenntnisse in ihrer Absicht und Wirkung nachvollziehen kann«, fasst er zusammen. Die große Resonanz beschränkt sich nicht nur auf die Rezensionen, sondern auch auf den Verkauf, was Dennis Pausch sehr freut. Die erste Auflage ist bald vergriffen, der Verlag bereitet bereits die zweite vor. Seiner Meinung nach bezieht sich die Aktualität auch darauf, dass Beleidigungen auf vielen Ebenen, nicht zuletzt in den sozialen Medien, derzeit eine große Rolle spielen. »Andererseits ist das traditionelle Bild der Antike oft von einer gewissen humanistischen Verklärung geprägt, so dass die durchaus kunstvollen, aber auch sehr drastischen und verletzenden Schmähungen eines Cicero, Catull oder Horaz erst einmal einen gewissen Überraschungseffekt mitbringen« – diesen Eindruck hat der Professor in vielen Jahren literarischer Arbeit gewonnen. Auf den zweiten Blick jedoch wirkten nach seiner Aussage damals ähnliche zwischenmenschliche Gesetzmäßigkeiten, wie sie es heute tun: »Wir sehen viele Parallelen – nicht nur in der Art und Weise, wie Herabsetzungen sprachlich präsentiert werden und emotional wirken, sondern auch, wie eine Gesellschaft damit umgeht.«
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 18/2021 vom 16. November 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.