29.06.2021
Wie Umwelteinflüsse das Gehirn jung halten könnten
Reizvolle Lebensumstände halten den „Hippocampus“ – die im Gehirn liegende Schaltzentrale des Gedächtnisses – gewissermaßen jung. Ursache dafür sind molekulare Mechanismen, die die Gensteuerung betreffen. Diese aktuellen Befunde aus Studien an Mäusen liefern Hinweise dafür, warum ein aktives, abwechslungsreiches Leben helfen kann, die geistige Fitness im Alter zu bewahren. Forschende des DZNE und des Zentrums für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) an der TU Dresden berichten darüber im Fachjournal „Nature Communications“.
Die menschliche DNA – und das gilt ebenso für Mäuse – enthält Tausende von Genen. Entscheidend für die Funktion einer Zelle und dafür, ob sie gesund ist oder nicht, ist allerdings nicht nur der genetische Bauplan, sondern vor allem, welche Gene überhaupt an- beziehungsweise ausgeschaltet werden können. Altern, Lebensumstände und Verhalten beeinflussen bekanntermaßen diese Fähigkeit zur Genaktivierung. Das Phänomen – „Epigenetik“ genannt – stand im Fokus der aktuellen Studie. Forschende um Dr. Sara Zocher und Prof. Gerd Kempermann untersuchten dazu Mäuse, die in unterschiedlichen Umgebungen aufgewachsen waren. Eine Tiergruppe erlebte von Jugend an eine „reizreiche“ Umwelt mit Spielsachen und Tunnelröhren. Den Mäusen einer zweiten Gruppe standen derlei Beschäftigungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung.
Anhänge der DNA
Bei Untersuchungen des Erbguts stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest: Bei jenen Mäusen, die in der reizvollen Umgebung aufwuchsen, änderten sich bestimmte chemische Markierungen der DNA nur relativ wenig mit dem Alter. Bei Mäusen aus der reizarmen Umgebung waren diese Veränderungen – im Vergleich zwischen jungen und älteren Tieren – viel deutlicher ausgeprägt. „Wir haben sogenannte Methyl-Gruppen erfasst, die sozusagen an der DNA kleben“, erläutert Gerd Kempermann, Sprecher des DZNE-Standorts Dresden, DZNE-Forschungsgruppenleiter und zugleich Wissenschaftler am CRTD. „Diese chemischen Anhänge verändern nicht die Erbinformation selbst. Vielmehr beeinflussen sie, ob einzelne Gene aktiviert werden können oder nicht.“
Plastische Gehirne
Solche „epigenetischen Markierungen“ nehmen mit dem Alter tendenziell ab, doch bei den Tieren mit reizreichen Lebensumständen war der Rückgang an Methyl-Gruppen vergleichsweise gering. Bei alten Mäusen aus einer abwechslungsreichen Umwelt war die Genaktivität also gewissermaßen jung geblieben. Das betraf insbesondere eine Reihe von Genen, die für die Neubildung von Nervenzellen und zellulären Verbindungen im Hippocampus von Bedeutung sind. „Diese Tiere behielten epigenetisch gesehen einen jüngeren Hippocampus“, so Kempermann. Die Gehirne dieser Mäuse waren daher formbarer – Fachleute sprechen von größerer „Neuroplastizität“ –, als bei gleichaltrigen Artgenossen, die sich in einer reizarmen Umwelt entwickelt hatten.
Im Zuge der aktuellen Studie wurden keine Verhaltensexperimente durchgeführt. Aus vielen anderen Untersuchungen wisse man jedoch, dass Mäuse, die in einer reizreichen Umwelt aufgewachsen sind, bei Gedächtnistests besser abschneiden als solche aus reizarmer Umgebung, so Kempermann. „Die Vermutung liegt nahe, dass diese geistige Fitness auf die Stabilisierung der Methylierungsmuster zurückgeht, die wir nun festgestellt haben“, sagt der Neurowissenschaftler. „Die Frage ist natürlich, inwiefern unsere Beobachtungen auch auf Menschen zutreffen. Hier ist die Situation wahrscheinlich komplizierter. Es geht ja darum, wie Lebensumstände das Verhalten beeinflussen und die Reaktion eines Menschen auf äußere Reize ist weitaus komplexer als bei Mäusen. Wir haben aber gute Gründe anzunehmen, dass die epigenetischen Grundprinzipien beim Menschen die gleichen sind wie bei Mäusen.“
Originalveröffentlichung
Environmental enrichment preserves a young DNA methylation landscape in the aged mouse hippocampus, Zocher et al., Nature Communications (Juni 2021)
DOI: 10.1038/s41467-021-23993-1
URL: https://doi.org/10.1038/s41467-021-23993-1 & https://rdcu.be/cm3nD
Über das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Das DZNE ist eine Forschungseinrichtung, die sich mit sämtlichen Aspekten neurodegenerativer Erkrankungen (wie beispielsweise Alzheimer, Parkinson und ALS) befasst, um neue Ansätze der Prävention, Therapie und Patientenversorgung zu entwickeln. Durch seine zehn Standorte bündelt es bundesweite Expertise innerhalb einer Forschungsorganisation. Das DZNE kooperiert eng mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen im In- und Ausland. Es wird öffentlich gefördert und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft.
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Am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden widmen sich Spitzenforscher:innen aus mehr als 30 Ländern neuen Therapieansätzen. Sie entschlüsseln die Prinzipien der Zell- und Geweberegeneration und ergründen deren Nutzung für Diagnose, Behandlung und Heilung von Krankheiten. Das CRTD verknüpft Labor und Klinik, vernetzt Wissenschaftler:innen mit Ärzt:innen, nutzt Fachwissen in Stammzellforschung, Entwicklungsbiologie, Genom-Editing und Geweberegeneration, um letztlich die Heilung von Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson, hämatologischen Krankheiten wie Leukämie, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes sowie Augen- und Knochenerkrankungen zu erreichen.
Seit 2016 ist das CRTD eines von drei Instituten der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB) der TU Dresden. CMCB trägt entscheidend zur Profilierung der TU Dresden im Bereich Gesundheitswissenschaften, Biomedizin und Bioengineering bei.
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Technische Universität Dresden
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