Oct 06, 2020
Johann Andreas Schubert – ein technischer Allrounder
Am 6. Oktober jährt sich der Todestag von einem der bedeutendsten Wissenschaftler in der Geschichte der TU Dresden (Teil 1)
Dr. Matthias Lienert, Direktor Universitätsarchiv
Mit dem Leben von Johann Andreas Schubert und den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen haben sich Generationen von Historikern und Heimatforschern beschäftigt. Bereits 1968 erschien von Arthur Weichold, dem ehemaligen langjährigen Chefredakteur der Wissenschaftlichen Zeitschrift der TU Dresden, eine Biographie über Schubert, 1985 folgte aus gleicher Feder ein Buch über Wilhelm Gotthelf Lohrmann, dem Förderer und Kollegen Schuberts. Anlässlich seines 125. Todestages 1995 war Schubert als Lehrer und Ingenieur in einer Sonderausstellung des Verkehrsmuseums gewürdigt worden, die mit einem vom Museum und der TU Dresden (Institut für Geschichte der Technik und der Technikwissenschaften/Kustodie) erarbeiteten Begleitheft ergänzt wurde, das einen differenzierteren Blick auf dieses außergewöhnliche Leben erlaubt.
Mit Johann Andreas Schubert starb am 6. Oktober 1870 vor nunmehr 150 Jahren eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, die die TU Dresden in ihren Anfängen als 1828 gegründete Technische Bildungsanstalt geprägt hatten. Bereits ein reichliches Jahr vorher endete 1869 das Leben des Carl Gustav Carus, einer traditionell noch bekannteren Ikone der Universitätsgeschichte, die für den großen Bereich der Medizin steht. Der im Jahre der Französischen Revolution 1789 geborene Arzt, Maler und Philosoph gehörte als Vertreter der Romantik einer anderen Generation an. Er hatte noch mit Goethe verkehrt und war über 19 Jahre älter als der 1808 in Wernesgrün geborene Johann Andreas Schubert. Ob der talentierte Maschinenbauer und Konstrukteur Schubert und der berühmte Arzt jemals in Gedankenaustausch getreten sind, ist sehr fraglich, obwohl die berufliche Wirkungsstätte von Carus, die im Kurländer Palais untergebrachte Kgl. Chirurgisch Medicinische Akademie, nur wenige Gehminuten von der Bildungsanstalt auf der Brühlschen Terrasse entfernt lag. Aber Carus hatte bereits 1827 die Akademie verlassen, um künftig als Leibarzt des sächsischen Königs tätig zu sein. Einige Lehrer, wie der von Carus geschätzte Naturwissenschaftler und Mediziner August Ficinus, unterrichteten an beiden Einrichtungen gleichzeitig.
Ein schicksalhafter Zufall
Während Carus als einziges Kind eines gut situierten Färbereipächters und Meisters aufwuchs, war Schubert als achtes von neun Kindern in eine verarmte Bauernfamilie hineingeboren worden. Die Eltern konnten den mit Abgaben belasteten Bauernhof nicht halten, sodass der Vater als Fuhrmann im Tagelohn und die Mutter mit Gelegenheitsarbeiten in der Landwirtschaft ihre Existenz mehr schlecht als recht sichern konnten. Die Kinder mussten frühzeitig hart arbeiten. So half der noch nicht zehnjährige Johann Andreas seinem neun Jahre älteren Bruder beim Transport von zu Bündeln verschnürten, aus Holzspänen gefertigten Rußbutten, den damals gebräuchlichen Behältern zur Aufnahme von Ruß, der beim Hausbrand und bei gewerblicher Fertigung im Übermaß anfiel. Gemeinsam mit seinem Bruder bewegte er solche Ladungen mit einer Schubkarre über Land und bot die Rußbutten feil.
Nach einer dieser anstrengenden Wanderschaften verirrte sich Johann Andreas im Herbst 1817 auf dem Nachhauseweg zu seinen Eltern und fand auch nach Tagen nicht mehr zurück. Die weitere Geschichte erinnert an Grimms Märchen. Wie im Traum bemerkte der übernächtigte Junge eine vorbeifahrende Kutsche und klammerte sich an ihr fest. Die Passagiere, Herr Ehrenfried von Rackel, seines Zeichens Polizeipräsident von Leipzig, und dessen Ehefrau Eleonore, bemerkten das Kind und ließen es im Coupé des Wagens Platz nehmen. Dem Ehepaar war der Junge offenbar gleich sympathisch und erinnerte es an den eigenen, in den Freiheitskriegen gegen Napoleon gefallenen Sohn, dem Johann Andreas zudem nach Meinung des gut situierten Ehepaars ähnlich sah. So beschloss es, den Jungen nach Zustimmung seiner leiblichen Eltern um Ostern 1818 bei sich aufzunehmen und ermöglichte ihm den Besuch der renommierten Thomasschule in Leipzig. Im Laufe des Jahres 1820 musste Johann Andreas nach zwei glücklichen Jahren zwei Schicksalsschläge hinnehmen, als im selben Jahr zuerst sein leiblicher und dann sein Pflegevater starben. Seine verwitwete Pflegemutter zog mit dem Jungen auf die Festung Königstein bei Pirna, wo ihr Vater Festungskommandant war. Hier besuchte er gemeinsam mit Soldatenkindern eine in der Kaserne eingerichtete Schule, deren Niveau aber nicht den Ansprüchen der Familie Rackel entsprach. Sie entschied sich für das angesehene Freimaurer-Institut in Dresden-Friedrichstadt, das Johann Andreas als Internatsschüler von Ostern 1821 bis Ostern 1824 besuchte und seine spätere Mitgliedschaft in einer angesehenen Dresdner Loge begründete. An dieser unter den damaligen Verhältnissen modernen Schule hatte Schubert sich ein gründliches Rüstzeug für seine spätere vielseitige Karriere erworben. Sein Zeichenlehrer empfahl ein Studium an der Kunstakademie, die ihn aber wegen fehlender freier Studienplätze an die angeschlossene Bauschule vermittelte, wo er von 1824 bis 1827 Architektur studierte und während der Ferien auch Baumeistern zur Hand ging, um die Praxis kennenzulernen.
Beruf und Berufung
Nach dem Studium arbeitete Schubert ein Jahr als Volontär bei Rudolf Sigismund Blochmann, dem Hofmechanikus und Mitbegründer der Technischen Bildungsanstalt. Dieser vereinigte in seiner Person ausgeprägte technisch-technologische Fähigkeiten mit unternehmerischem Talent, begründete in Dresden die erste deutsche Gasanstalt und war Inspektor des Mathematisch-Physikalischen Salons. Blochmann beeinflusste Schuberts Entwicklung nachhaltig, dessen ausgeprägtes mathematisches Talent ihm viele Türen zur sich dynamisch entwickelnden Technik öffnete. So wurde er gerade mal 20-jährig im Gründungsjahr der Technischen Bildungsanstalt 1828 deren Lehrkraft für Buchhaltung und Famulus von Professor Gotthelf August Fischer, den er schon bald vertrat. 1830 avancierte er zum Lehrer für Geometrie und Mechanik und nur zwei Jahre später wurde er Professor. Rasch hatte sich Schubert im Professorenkollegium und unter den »Zöglingen« der in einem Pavillon auf der Brühlschen Terrasse eher bescheiden untergebrachten Bildungsanstalt Anerkennung und das besondere Vertrauen und die Freundschaft des ersten Vorstehers, Wilhelm Gotthelf Lohrmann, erworben, der auch außerhalb Sachsens als Geodät und Astronom sich besonderer Anerkennung erfreute und als Oberinspektor des Kgl. Mathematisch Physikalischen Salons und Direktor der sächsischen Kameralvermessung erstklassig vernetzt war.
Innerhalb weniger Jahre erwarb sich Schubert zudem den Ruf eines technischen Allrounders, der die industrielle Revolution in Sachsen mit vorantrieb und mit der schließlich 1834 wesentlich von ihm initiierten Gründung des Dresdner Gewerbevereins einen bedeutenden Beitrag zur Organisation des sich entwickelnden Unternehmertums leistete. Im selben Jahr bereiste er auch im Auftrag des sächsischen Staates sowie mit Unterstützung eines Ingenieurs aus Plauen und ehemaligen Schülers das industriell fortgeschrittene England. Besonders beeindruckte sie Manchester, das Herz der damaligen englischen Industrie und Bahn-Infrastruktur. Ende Oktober 1834 waren beide nach der intensiven vierteljährlichen Studienreise um viele Erfahrungen reicher wieder in Dresden und das nur mit großem Glück. Wegen einer misslichen Passangelegenheit hatten sie das ursprünglich gebuchte Dampfboot, das während der Kanalquerung mit Mann und Maus untergegangen war, verpasst. Rund zehn Jahre später begleitete Carus als Leibarzt den sächsischen König nebst Gefolge auf einer Reise durch England und Schottland. Dabei reflektierte der Arzt die technischen Innovationen auf der Insel. Er sah dabei aber auch deutlich die tragischen sozialen Verwerfungen, die mit diesem rücksichtslosen Kapitalismus verbunden waren.
(Fortsetzung folgt)
Teil 2 des Beitrags wird im UJ 16 vom 20. Oktober 2020 veröffentlicht. Das ortsgeschichtliche Museum im vogtländischen Rothenkirchen zeigt eine Ausstellung zum 150. Todestag Schuberts unter anderem mit Exponaten aus der TUD-Kustodie.
Das Museum ist am 6., 17. und 18. Oktober sowie am 7. und 8. November 2020 jeweils von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Unter der Telefonnummer 037462 5937 können Sonderführungen abgesprochen werden.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 15/2020 vom 6. Oktober 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.