30.04.2019
Kunstgenuss für alle
»Audio Guides«: TUD-Studenten und ihr Professor suchen nach neuen Wegen, Museumskunst verständlich zu machen
Anne Vetter
Es kann so einfach sein, barrierefrei in Museen mittels Audio-Guides zu kommunizieren. Ein einzigartiges Projekt an der TUD Dresden bezieht dabei die Zielgruppe von Anfang an mit ein und sorgt so für echte Teilhabe. Doch wie funktioniert das?
Museen sind eine tolle Sache. Sie bringen ihren Besuchern vergangene Epochen, einmalige Kunstwerke und Erfindungen nahe. Oder sie setzen sich mit Entwicklungen der Gegenwart auseinander. Als Gast braucht man Zeit und Ruhe, um die Werke, die Geschichte auf sich wirken zu lassen und die Erklärungen bzw. Texte zu den Ausstellungsstücken zu lesen.
Damit sind wir schon bei den Hürden: Familien mit Kindern geraten ins Schwitzen, weil sie während des Rezipierens mit halbem Auge bei den Kleinen sein müssen, die die schönsten Stücke mit allen Sinnen erforschen wollen. Währenddessen die größeren Kinder eine Erklärung der Texte erwarten, aber nach drei mühevoll und sinngemäß übersetzten Beschreibungen abwinken. Doch es sind beileibe nicht nur die Kinder, die viele Ausstellungen mit Sicherheit interessant fänden, sie aber nicht verstehen und deshalb gar nicht erst besuchen. Da sind zum Beispiel Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen, funktionale Analphabeten, die keine längeren Texte erfassen können, oder Migranten, deren Deutschkenntnisse für kunstgeschichtliche oder kulturhistorische Abhandlungen nicht ausreichen.
»Wir müssen den Museumsraum öffnen«, ist Alexander Lasch, Professor für Germanistische Linguistik und Sprachgeschichte an der TU Dresden, überzeugt. »Es gibt zu viele gesellschaftliche Konventionen, die Teile der Gesellschaft an der Kunstrezeption hindern.«
Mit den Studenten seines mittlerweile zum zweiten Mal veranstalteten Seminars »Verständnisorientierte und barrierefreie Kommunikation« sucht er nach Wegen, Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigung ins Museum zu holen. »Partizipative Forschung«, nennt Lasch diesen Ansatz. Kinder und Jugendliche sollen gemeinsam mit den Studenten und den Kunstvermittlern der Museen eigene Zugänge zur Kunstrezeption erarbeiten. Als Partner konnte Lasch das Christliche Sozialwerk Dresden, die Medieninformatik, das Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und für das aktuelle Sommersemester die Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen gGmbH mit der Albrechtsburg in Meißen gewinnen.
»Um herauszufinden, welche Kunstwerke warum von Interesse sind, führen wir die Kinder und Jugendlichen durchs Museum und beobachten, wie sie die Kunst rezipieren«, erläutert er das Vorgehen. Die Gespräche werden aufgezeichnet und transkribiert, die interessanten Kunstwerke herausgefiltert. In »Handarbeit« erstellen die Studenten aus den Aufnahmen eine inhaltliche Zusammenfassung und verfassen auf dieser Grundlage neue Objekttexte in leichter Sprache, die sie zum Schluss einsprechen. Mit Hilfe von QR-Codes am Ausstellungsobjekt können die Museumsbesucher diese Audiodateien über eine mobile Webseite abrufen.
Die Herangehensweise, die Zielgruppe barrierefreier Kommunikation direkt in die Entwicklung von Inhalten einzubeziehen, ist in der deutschen Museumslandschaft bisher einzigartig. Der Mehrwert, der durch partizipative Forschung entsteht, ist groß. »Wir könnten diesen Ansatz noch viel weiter denken, um die Besucherinnen und Besucher personalisierter durch die Ausstellungen zu führen«, sagt Lasch. »Nicht mehr unterteilen in Führungen für Kinder, Erwachsene oder Senioren, sondern eher überlegen: weiblich, 17 Jahre, in Syrien geboren. Welches Objekt könnte für diese Person interessant sein?« Eine Gefahr der Stereotypisierung sieht Lasch dabei nicht. »Ich kann mir eher Querverweise vorstellen. Nach dem Motto: Dafür interessieren sich andere, wenn sie dieses Objekt betrachten. Damit könnten wir Gesprächsanlässe schaffen.« Das passiere momentan viel zu selten, hat er beobachtet. Auch für gestresste Eltern hat Lasch gute Ideen parat: »Wenn wir merken, dass ein Objekt oder eine Objektgruppe besonders zum Anfassen einlädt, warum nicht eine Replik daneben stellen, die nach Herzenslust erlebt werden kann?« Die Kunst in den Museen sei schließlich nicht für die Kuratoren, sondern das Publikum da.
Das Projekt »Barrierefreie Kommunikation« ist Teil der Kooperationen und Forschung mit dem Martinsclub Bremen, dem Deutschen Historischen Museum Berlin und den Partnern von DRESDEN-concept. Es bietet insbesondere Lehramtsstudenten die Möglichkeit, das vielzitierte Thema Inklusion praxisnah zu erleben und selbst zu gestalten. Dennoch ist die Fortführung ungewiss: »Wenn wir Inklusion tatsächlich ernst nehmen, brauchen wir mehr Zeit und mehr Leute«, betont Lasch.
Was ist »Leichte Sprache«?
»Leichte Sprache« ist das Ergebnis einer Bewegung, die sich europaweit dafür eingesetzt hat, dass Menschen mit Beeinträchtigung am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Sie wurde ausgehend von Skandinavien und dem anglo-amerikanischen Raum von den Betroffenen selbst initiiert. In Deutschland setzt sich das »Netzwerk für leichte Sprache« für die Interessenvertretung von Menschen mit Beeinträchtigungen ein. Dieses Netzwerk hat aus laien-linguistischer Perspektive Kriterien für einen leicht verständlichen Text aufgestellt. Es gibt etwas mehr als 100 Regeln zum Aufbau von Texten und dem Gebrauch von Wörtern und Satzlängen. »Diese gut gemeinten Normen reiben sich allerdings recht häufig am Sprachgebrauch«, haben die wissenschaftlichen Untersuchungen von Prof. Alexander Lasch gezeigt. »Dadurch entsteht der Eindruck, dass Texte in leichter Sprache standardfern sind, also nicht unseren gebräuchlichen Regeln entsprechen. Das sorgt erneut für Stigmatisierung, was ja ausdrücklich nicht das Ziel ist.« Gemeinsam mit den Partnern vom Martinsclub Bremen und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel arbeitet Lasch deshalb daran, linguistische Empfehlungen aufzustellen, die empirisch gestützt sind. Das Ziel: eine leichte und verständliche Sprache, die dieselben Verbindlichkeitskriterien erfüllt, aber am Standard orientiert ist und so Stigmatisierung verhindert.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 08/2019 vom 30. April 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.