15.02.2022
Lebensmittel sind zu schade für den Müll
Stefanie Nünchert engagiert sich im Projekt »Zur Tonne« und das Green Office der TUD unterstützt sie dabei
Beate Diederichs
Das Green Office der TUD dient als Anlaufstelle für alle, die etwas in puncto ökologische Nachhaltigkeit tun möchten. Zu diesen gehört Stefanie Nünchert, ehrenamtliche Betreuerin des Projekts »Zur Tonne«. Es soll die Menschen dafür sensibilisieren, welche Menge an Lebensmitteln täglich weggeworfen wird, und dazu anregen, Lebensmittel wertzuschätzen. Über Onlineseminare möchte Stefanie Nünchert auch die Studierenden der TUD für das Thema interessieren. Die Enddreißigerin kämpft seit rund sechs Jahren unermüdlich gegen Lebensmittelverschwendung.
Diese Zahl ist gigantisch: Pro Sekunde landen in Deutschland mehr als 300 Kilogramm Lebensmittel im Müll, die noch genießbar wären. In welchem Ausmaß hier Lebensmittel verschwendet werden und was man dagegen tun kann, ist das Thema, das Stefanie Nünchert umtreibt. »Bei meiner Arbeit bei der Tafel Dresden e. V. erlebte ich vor Kurzem, wie viel Essen bei Supermärkten sprichwörtlich in die Tonne fliegt. So hatte ein Markt Paletten mit Zitronen bekommen, von denen jeweils nur einzelne schlecht geworden waren. Es wäre aber zu aufwändig gewesen, die Paletten von der Plastikfolie zu befreien, in der sie eingeschweißt waren, die verdorbenen Früchte herauszunehmen und alles wieder neu zu verpacken oder umzuschichten. Hätte nicht ein Großhändler die Paletten zu uns gebracht, wären sie kurzerhand als Ganzes in den Müll gekommen, mit allen Zitronen, die ja zum Preis eines hohen ökologischen Fußabdrucks hergestellt und antransportiert worden waren«, berichtet die 38-Jährige. Dass die Plastikverpackungen gleich zusammen mit den Lebensmitteln entsorgt werden, ist kein Einzelfall. »In den Kompost- und Biogasanlagen, wo organische Abfälle verwertet werden, lässt sich das Plastik nur schwer von den organischen Materialien trennen«, sagt Stefanie Nünchert. Später landen die daraus entstehenden Mikroplastikpartikel oft auf dem Feld und damit in der menschlichen Nahrungskette. Die studierte Betriebswirtin Nünchert, die auch eine Ausbildung als Schneiderin abgeschlossen hat, engagiert sich schon länger gegen Lebensmittelverschwendung. Doch ihre Schlüsselerlebnisse bei der Tafel Dresden e. V. und beim Containern, also beim Retten noch genießbarer Lebensmittel aus Supermarktbehältern, brachten sie dazu, noch intensiver ins Thema einzusteigen: »Mittlerweile befasse ich mich seit rund zehn Jahren mit Ernährung und seit sechs Jahren mit der Theorie und Praxis der Lebensmittelverschwendung.«
Die Initiative »Zukunftsstadt Dresden« bot Stefanie Nünchert den Rahmen, ihre Erfahrungen in einem Projekt wirken zu lassen. Sie nahm an mehreren Workshops der Stadt teil, in denen vermittelt wurde, wie aus einer Idee ein konkretes Projekt entstehen kann. Mit diesem Handwerkszeug gerüstet, entwickelte sie »Zur Tonne« entscheidend mit. Von 2018 bis zum März 2021 lief es, gefördert von der Stadt Dresden. Stefanie Nünchert und ihre Mitstreiterinnen Maria Funke und Rosa Nguyen hatten darin Teilzeitstellen inne. »Seit dem Ende der Förderung betreue ich das Projekt neben meiner Arbeit als Köchin in einer Kita ehrenamtlich und allein«, sagt Stefanie Nünchert. Trägerverein ist nach wie vor die Tafel Dresden e. V. »Mit dem Projekt setzen wir uns – oder setze ich mich – gegen Lebensmittelverschwendung und für mehr Wertschätzung von Lebensmitteln ein. Das ist nach wie vor aktuell, auch wenn wir momentan aus bekannten Gründen nicht das ganze Programm anbieten können.« Zu Beginn des Projekts zeigten die Mitarbeiterinnen beispielsweise bei offenen Abenden in Stadtteilhäusern oder Restaurants und in Familienzentren, was man aus geretteten Lebensmitteln alles herstellen und wie gut das schmecken kann. Später kamen Workshops und eine Videoreihe hinzu. »Natürlich passten wir die Angebote stets der Zielgruppe an: Bei jüngeren Schülerinnen und Schülern zum Beispiel demonstrierten wir, wie viel Energie und Arbeit im Pausenbrot steckt und dass es doof ist, wenn man es einfach wegwirft. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeiteten wir globaler, tiefgründiger und theoretischer. Zum Beispiel thematisierten wir, warum tierische Produkte so billig sind und wie ein Supermarkt aufgebaut ist, so dass er die Kundschaft hin zu bestimmten Lebensmitteln lenkt, um sie zu verführen, mehr zu kaufen.« Für alle Interessierten nutzbar ist eine Rezeptdatenbank auf der Homepage des Projekts, wo man auch erfährt, wie man Teile von Gemüse verarbeitet, die man sonst oft wegwirft. »Bei Möhren kann man zum Beispiel das Kraut durchaus essen. Es ist sehr würzig. Wir bereiten daraus ein saisonales und regionales Möhrengrünpesto mit Sonnenblumenkernen und Rapsöl zu, das sehr gut schmeckt.«
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 3/2022 vom 15. Februar 2022 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.