22.01.2024
Menschliches Handeln im "unbekannten Unbekannten": Wie das menschliche Gehirn mit neuen Situationen umgeht
Die Medizinische Fakultät startet ein wegweisendes Forschungsprojekt zur Untersuchung von "unbekannt Unbekannten" (UU). Im Fokus steht die Entschlüsselung der Funktionsweise des menschlichen Gehirns in neuen und einzigartigen Situationen. Zu solchen Situationen gehörten in der Vergangenheit z. B. die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl oder der Ausbruch der Corona-Pandemie. Das Projekt verspricht nicht nur ein tieferes Verständnis des menschlichen Verhaltens, sondern eröffnet auch vielversprechende Perspektiven für zukünftige Anwendungen – d. h. wie sich in unvorhergesehenen Situationen menschliches Handeln besser vorhersagen und regulieren lässt.
In einer Welt, die sich ständig verändert, treten Unvorhersehbarkeiten und Unbekanntes auf. Forscher:innen der Hochschulmedizin Dresden widmen sich dem Phänomen des "Unbekannten Unbekannten" und untersuchen, wie das menschliche Gehirn in völlig neuen und unbekannten Situationen funktioniert. Entscheidungen in Unsicherheit treten sehr häufig auf, jedoch gibt es hier ein Verhaltensrepertoire, auf das man zurückgreifen kann, um die Situation zu meistern. Ein UU tritt auf, wenn eine Situation so neu und einzigartig ist, dass bisherige Erfahrungen keine Richtlinien für Handlungen bieten. Menschen haben zwar klare Ziele vor Augen, aber die vollständige Unsicherheit darüber, wie diese Ziele erreicht werden können, führt zu einer Art Orientierungslosigkeit. Bisherige wissenschaftliche Überlegungen, wie menschliches Verhalten gesteuert wird, deuten darauf hin, dass Handlungen in solchen Situationen kaum möglich sind. Dieser Forschungskonsens steht jedoch im Widerspruch zur Realität, die zeigt, dass Menschen trotz fehlender Erfahrung handlungsfähig bleiben.
Das interdisziplinäre Forschungsprojekt kombiniert innovative Ansätze aus der virtuellen Realität (VR), Elektroenzephalografie (EEG) und Hirnstimulationsverfahren, um die Mechanismen des menschlichen Gehirns in UU-Situationen zu entschlüsseln. Die Forscher:innen möchten verstehen, wie das Gehirn es schafft, trotz fehlender Vergleichserfahrung in solchen Situationen zurechtzukommen.
Professor Christian Beste, Leitung des Bereiches Kognitive Neurophysiologie und des Universitäts Neuropsychologie Centrums (UNC), betont die Pionierarbeit dieses Projekts: "Es gibt bisher keine theoretischen Grundlagen dafür, warum Menschen in UU-Situationen handeln, wie sie handeln. Die Ergebnisse könnten nicht nur zu einem tieferen Verständnis des menschlichen Verhaltens führen, sondern auch Grundlagen für andere Wissenschaftsbereiche, wie künstliche Intelligenz (KI), schaffen. Momentan ist KI nicht wirklich intelligent, weil im Wesentlichen nur auf bestehende Lösungsrepertoires zurückgegriffen wird. Dies ist in Situationen des UU nicht möglich."
Die Forschungsergebnisse könnten eine neue Ebene der Konzeptualisierung menschlichen Verhaltens bedeuten und als Grundlage für Anwendungen in verschiedenen Bereichen dienen, einschließlich virtueller Realität. Eine bessere Vorhersagbarkeit menschlichen Handelns in UU-Situationen könnte auch zu sichererem Handeln in Situationen führen, welche gesundheitsrelevant sind (vgl. COVID-19 Pandemie).
Die Dekanin der Medizinischen Fakultät, Prof. Esther Troost betont: "Unsere Forschungsarbeit geht in aller Regel über die traditionellen Grenzen hinaus – das ist unser Anspruch, und die Untersuchung zu 'Unbekannten Unbekannten' ist ein bemerkenswerter Schritt in unbekannte Territorien. Dieser Forschungsansatz verspricht nicht nur ein tieferes Verständnis des menschlichen Verhaltens, sondern eröffnet auch neue Optionen für zukünftige Anwendungen in der Medizin."
Das Projekt wird als Hochrisikoprojekt von der Volkswagenstiftung im Rahmen der Förderlinie "Exploration" finanziert. Das Förderangebot richtet sich an herausragende Wissenschaftler:innen aller Disziplinen mit Ideen zu visionären Vorhaben an Forschungseinrichtungen und Universitäten in Deutschland (Pioniervorhaben – Explorationen des unbekannten Unbekannten | VolkswagenStiftung).
Kontakt:
Professor Dr. Christian Beste
Kinder- und Jugendpsychiatrie
Tel.: +49 (0)351 - 458 7072
Über die Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden
Die Dresdner Universitätsmedizin, bestehend aus der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus und dem gleichnamigen Universitätsklinikum, hat sich auf die Forschung in den Bereichen Onkologie, Metabolismus sowie neurologische und psychiatrische Erkrankungen spezialisiert. Innerhalb dieser Schwerpunkte sind die Themen Degeneration und Regeneration, Bildgebung und Technologieentwicklung, Immunologie und Entzündungen sowie Prävention und Versorgungsforschung von besonderem Interesse. Internationalität ist eine Voraussetzung für Spitzenforschung – das Universitätsklinikum Dresden lebt dieses Konzept mit Mitarbeitern aus 82 Nationen und zahlreichen Kooperationen mit Forschern und Teams aus aller Welt.