31.03.2022
Neue Angriffspunkte für die Immuntherapie bei Darmkrebs identifiziert
Darmkrebs ist eine der häufigsten Krebsarten. Vor allem in fortgeschrittenen Krankheitsstadien stützt sich die Behandlung noch weitestgehend auf die traditionelle Chemotherapie. Eine neue Generation von Krebstherapien, die so genannten Immuntherapien, waren nur bei einer kleinen Untergruppe von Darmkrebsarten wirksam. Forschende der TU Dresden unter der Leitung von Prof. Sebastian Zeißig haben nun Proteine identifiziert, die vielversprechende Ziele für neue Immuntherapien gegen Darmkrebs darstellen könnten. Ihre Ergebnisse unterstreichen auch die zentrale Rolle von Darmbakterien bei der Entstehung der Krankheit. Die Studie wurde am 31. März 2022 in der Zeitschrift Immunity veröffentlicht.
Unser Körper kann Krebszellen auf natürliche Weise beseitigen. Jeden Tag kann unser Immunsystem mutierte Zellen in unserem Körper entdecken und sie zerstören. Hin und wieder finden Krebszellen jedoch einen Weg, sich vor dem Immunsystem zu verstecken. Die Zellen entwickeln molekulare Signale, die Immunzellen daran hindern, sie als Bedrohung zu erkennen. Neben anderen Strategien ermöglicht dies den Krebszellen, sich zu vermehren und zu Tumoren heranzuwachsen. Das Verständnis des molekularen Mechanismus hinter diesen Prozessen ermöglichte die Entwicklung neuer Krebsbehandlungen, der so genannten Immuntherapien. Diese Behandlungen können das Immunsystem des Patienten dazu bringen, sich gegen den Tumor zu richten und sein Wachstum zu bremsen, und so zumindest bei einem Teil der Patient:innen eine dauerhafte Kontrolle des Tumors ermöglichen.
Leider sind die derzeitigen Immuntherapien nicht bei allen Krebsarten wirksam. Die meisten Fälle von Darmkrebs, einer der am häufigsten diagnostizierten Krebsarten, sprechen auf diese Behandlungen nicht an. Nun hat ein Forschungsteam der TU Dresden einen neuen Mechanismus beschrieben, über den sich Darmkrebszellen vor dem Immunsystem verstecken können. Ihre Ergebnisse stellen möglicherweise einen ersten Schritt zur Entwicklung neuer Immuntherapien dar, die bei der Behandlung von Darmkrebs wirksam sein könnten.
Wie Darmkrebs das Immunsystem austrickst
Die Hemmung der Immunzellen wird durch spezielle Signale auf der Oberfläche der Krebszellen ermöglicht. „Diese Signale sind als Checkpoint-Proteine bekannt", sagt Prof. Sebastian Zeißig vom Universitätsklinikum Dresden und dem Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden, der das Forschungsteam leitete. Bei den derzeitigen Immuntherapien werden Medikamente, so genannte Checkpoint-Inhibitoren, eingesetzt, die sich gegen eine kleine Anzahl bekannter Checkpoint-Proteine richten. Leider spricht auf diesen Ansatz nur eine kleine Untergruppe von Darmkrebsfällen an. „Dies warf die Frage auf, ob es andere Checkpoint-Proteine gibt, die vielversprechendere Ziele für eine Immuntherapie bei Darmkrebs darstellen könnten", sagt Dr. Kenneth Peuker, Autor der Studie.
Forschende analysierten Darmkrebsproben und suchten nach Proteinen, die in den Tumorzellen, nicht aber im gesunden Gewebe vorkommen. Zwei Proteine weckten ihr Interesse. B7H3 und B7H4 waren in großer Zahl in Darmkrebszellen vorhanden, während sie im gesunden Gewebe fast nicht nachweisbar waren.
„Wir beschlossen, B7H3 und B7H4 in Darmkrebszellen zu blockieren", sagt Dr. Peuker. „Das Ergebnis war verblüffend. Tumorgewebe, in dem diese Signale ausgeschaltet waren, wuchs deutlich langsamer oder schrumpfte sogar. Wir konnten beobachten, dass die Immunzellen nun in das Krebsgewebe eindringen konnten und begannen, die Tumorzellen zu kontrollieren." Weitere Tests bestätigten, dass die Proteine B7H3 und B7H4 tatsächlich als Checkpoint-Proteine funktionieren. „Durch die Blockierung dieser Signale konnte das Immunsystem plötzlich Tumorzellen angreifen", fügt Prof. Zeißig hinzu.
Das Team stellte fest, dass B7H3 und B7H4 nicht nur in den primären Darmkrebstumoren, sondern auch in den Metastasen in der Leber vorhanden waren. Das Ausschalten dieser Proteine verlangsamte das Wachstum der Primärtumore, aber auch der Lebermetastasen. Sie beobachteten, dass einige der behandelten Mäuse trotz ihrer metastasierenden Tumore langfristig überlebten.
Ausreißer-Bakterien blockieren Immunreaktionen
Das Team charakterisierte eine breite Kaskade von Ereignissen, die es dem Darmkrebs ermöglichen, seine Fähigkeit zur Blockierung von Immunzellen zu entwickeln. Sie konnten zeigen, dass die Durchbrechung der Darmbarriere ein entscheidender Schritt in diesem Prozess ist. Wenn die Darmbarriere an den Stellen der Tumorentwicklung durchbrochen wird, können Bakterien, die normalerweise im Darm vorhanden sind, plötzlich in das umliegende Gewebe eindringen. Dies gilt als wichtiges frühes Ereignis bei der Entstehung von Darmkrebs. Nun konnte das Team von Prof. Zeißig zeigen, dass diese bakteriellen Ausreißer den Darmkrebszellen als Auslöser dienen, um sich vor dem Immunsystem zu verstecken.
„Wir haben festgestellt, dass die im Gewebe vorhandenen Zellen die eindringenden Bakterien erkennen können. Dies wiederum setzt eine ganze Kaskade von Schritten in Gang. Die daraus resultierende molekulare Kommunikation zwischen den Zellen führt schließlich dazu, dass die Krebszellen B7H3 und B7H4 auf ihrer Oberfläche ausbilden und sich vor dem Immunsystem verstecken", sagt Dr. Peuker.
Das Team konnte zeigen, dass der Einsatz von Breitbandantibiotika zur Zerstörung der eingedrungenen Darmbakterien auch die Tumorgröße und das Ausmaß der Lebermetastasen verringerte. „Unsere Ergebnisse zeigen einen neuen wichtigen Zusammenhang zwischen der Darmflora und dem Tumorwachstum bei Darmkrebs. Diesem Aspekt möchten wir in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit widmen", sagt Prof. Zeißig.
Einen weiterer Schritt auf dem Weg zu neuen Immuntherapien
Die Ergebnisse der neuen Studie stammen überwiegend aus der Forschung an Mäusen, bieten jedoch einen vielversprechenden Ausblick auf künftige Krebstherapien für den Menschen. „Unsere Analysen menschlicher Proben haben gezeigt, dass B7H3 und B7H4 auch in menschlichen Darmkrebszellen vorkommen und dass ihr Vorhandensein mit reduziertem Überleben bei Darmkrebspatienten korreliert. Diese Proteine sind auch in gesundem Gewebe beim Menschen kaum nachweisbar, was darauf hindeutet, dass ihre gezielte Blockade sicher sein könnte", sagt Prof. Zeißig.
„Wir hoffen, dass unsere Arbeit als Grundlage für neue Studien dienen wird, die sich mit der Wirksamkeit von B7H3 und B7H4 bei menschlichem Darmkrebs befassen werden", fügt Prof. Zeißig hinzu.
Originalveröffentlichung
Kenneth Peuker, Anne Strigli, Daniele V. F. Tauriello, Alexander Hendricks, Witigo von Schönfels, Greta Burmeister, Mario Brosch, Alexander Herrmann, Sandra Krüger, Jessica Nitsche, Lea Južnić, Marc Marius Geissler, Andreas Hiergeist, André Gessner, Jakob Wirbel, Ruby Priyadarshini Ponnudurai, Antje Tunger, Rebekka Wehner, Daniel E. Stange, Jürgen Weitz, Daniela E. Aust, Gustavo B. Baretton, Marc Schmitz, Christoph Röcken, Jochen Hampe, Sebastian Hinz, Georg Zeller, Triantafyllos Chavakis, Clemens Schafmayer, Eduard Batlle, Sebastian Zeissig: Microbiota-dependent activation of the myeloid calcineurin-NFAT pathway inhibits B7H3- and B7H4-dependent anti-tumor immunity in colorectal cancer. Immunity (März 2022)
https://doi.org/10.1016/j.immuni.2022.03.008
Über das Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD)
Am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden widmen sich Spitzenforscher und -forscherinnen aus mehr als 30 Ländern neuen Therapieansätzen. Sie entschlüsseln die Prinzipien der Zell- und Geweberegeneration und ergründen deren Nutzung für Diagnose, Behandlung und Heilung von Krankheiten. Das CRTD verknüpft Labor und Klinik, vernetzt Wissenschaft und Klinik, nutzt Fachwissen in Stammzellforschung, Entwicklungs- und Regenerationsbiologie, um letztlich die Heilung von Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson, hämatologischen Krankheiten wie Leukämie, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes sowie Augen- und Knochenerkrankungen zu erreichen.
Das CRTD wurde 2006 als Forschungszentrum der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gegründet und bis 2018 als DFG-Forschungszentrum, als auch Exzellenzcluster gefördert. Seit 2019 wird das CRTD mit Mitteln der TU Dresden und des Freistaates Sachsen finanziert.
Das CRTD ist eines von drei Instituten der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB) der TU Dresden.
Web: www.tu-dresden.de/cmcb/crtd
Web: www.tu-dresden.de/cmcb
Zusätzliche Materialien:
Website der Forschungsgruppe von Prof. Dr. med. Sebastian Zeißig: https://tud.link/4sdb
Bildmaterial: https://tud.link/uus6
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