May 28, 2019
Raritäten und Nachlässe im Buchmuseum der SLUB
Zwei kleine, aber sehr feine Ausstellungen sind derzeit in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) zu sehen.
Anne Vetter
Bis zum 12. August sind in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek am Zelleschen Weg zwei eindrucksvolle Ausstellungen zu sehen: »Grenzenloses Sammeln – Raritäten aus fernen Ländern« zeigt einige der seltensten und wertvollsten Objekte aus ihrem Bestand, deren Ursprung von Mittelamerika bis Ostasien und von Skandinavien bis Nordafrika reicht und deren ältestes über 4000 Jahre alt ist. »Was bleibt – Nachlässe in der SLUB« präsentiert eine Auswahl der rund 500 Nachlässe von Künstlern, Literaten, Wissenschaftlern und Musikern aus der Handschriftensammlung.
Raritäten ferner Länder
Es ist bekannt, dass die sächsischen Herrscher von fremden Kulturen höchst fasziniert waren. Dank ihrer großen Sammelleidenschaft können im Dresdner Schloss und im Zwinger zahllose schöne, seltene und höchst kostbare Exponate bestaunt werden. Aber auch die SLUB ist in den vergangenen Jahren mit ihren Sonderausstellungen zunehmend in den Fokus der Kunstinteressierten gerückt. Nicht zuletzt der weltweit einzige im Original zu sehende Maya-Kodex hat zahlreiche Gäste ins Buchmuseum gezogen. Dass die Handschrift längst nicht das einzige Juwel des Hauses ist, zeigt die Mitte Mai eröffnete Ausstellung »Grenzenloses Sammeln – Raritäten aus fernen Ländern«.
Die sehr aktiven Bibliothekare der 1556 gegründeten Kurfürstlichen Bibliothek, später der Königlichen Öffentlichen Bibliothek, die später zur Landesbibliothek wurde, erwarben über die Jahrhunderte zahlreiche Schriftzeugnisse, deren Ursprung von Mittelamerika bis Ostasien und von Skandinavien bis Nordafrika reicht. Die seltensten und kostbarsten Exponate haben die Kuratoren Dr. Thomas Haffner und Karin Nitzschke jetzt in der Schatzkammer des Buchmuseums zusammengestellt. Es ist für die Besucher eine Zeitreise über 4000 Jahre Kulturgeschichte, die von Mesopotamien über das Osmanische Reich in den fernen Osten reicht, auf den afrikanischen Kontinent, nach Mittelamerika und bis in den hohen Norden Europas. Auf einer zentral platzierten und prächtig illustrierten Weltkarte von 1622 können die Besucher die Herkunft der Exponate auch bildlich nachvollziehen. Nicht das einzige Schmankerl, das sich die Kuratoren überlegt haben, um die Ausstellung noch anschaulicher zu gestalten. So können die ältesten Stücke, ein etwa 4000 Jahre alter Tonnagel aus dem heutigen Tello im Südirak, und ein sogenanntes Ostrakon, ein Tongefäß für kleinere Urkunden wie Quittungen und Verträge aus dem Nordägyptischen Theben, in einer Vitrine vor der Schatzkammer dank neuester Technik sogar von allen Seiten bestaunt werden. Mit Unterstützung des Landesamtes für Archäologie Sachsen wurden 3-D-Scans von den Stücken angefertigt. Im Makerspace der SLUB stellten Mitarbeiter daraus Gipsausdrucke her, die ebenfalls ausgestellt sind. »Es hat eine ganze Nacht gedauert, bis jede Schicht des 3-D-Modells in Gips übersetzt war«, erklärt Kurator Haffner. Mithilfe einer auf der Vitrine angebrachten Bildschirmfolie lassen sich die Exponate nun in digitaler Form per Touchscreen nach Herzenslust drehen und genauestens betrachten.
Auch in drei Handschriften, die ebenfalls in der Schatzkammer zu sehen sind, kann am Bildschirm ausführlich »geblättert« werden. Zum Beispiel im »Buch des Dede Korkut«. Die mehr als 1000 Jahre alten Erzählungen über einen weisen Ratgeber und Sänger aus dem islamischen Turkvolk der Oghusen gehören seit 2018 zum »immateriellen Kulturerbe der Menschheit«. In der Türkei und in Aserbaidschan werden sie als Nationalepos verehrt. Nur in Dresden und im Vatikan existieren die Geschichten auch in schriftlicher Überlieferung. Die beiden Handschriften entstanden auf dem Höhepunkt des osmanischen Reiches im 16. Jahrhundert. Das Dresdner Exemplar ist insofern noch einmal eine besondere Rarität, weil es zwölf Geschichten umfasst, während das vatikanische »nur« sechs beinhaltet. »Die Anmeldung bei der Unesco für die Erhebung in den Rang eines Welterbedokuments läuft«, erzählt Thomas Haffner. Neben der filigranen Handschrift des »Dede Korkut« können sich die Besucher auch ein wunderschön illustriertes äthiopisches Manuskript aus dem 17. Jahrhundert über »Leben, Wunder und Bildnis der heiligen Walatta Petros« anschauen und ein fantastisches »Tier aus dem Lande Bamba« in einem Sammelband des 17. und 18. Jahrhunderts bewundern.
In einer Zeit, in der nur wenige Menschen weite Reisen unternehmen konnten, waren solche Dokumente und Gegenstände aus fernen Ländern eine Möglichkeit, die Sehnsucht nach dem Exotischen zu stillen. Und egal, ob der fein ausgearbeitete Miniatur-Koran aus dem 12. Jahrhundert oder die wunderschönen japanischen und chinesischen Illustrationen und Handschriften aus dem 17. Jahrhundert oder der auf Buchsbaumtäfelchen geschnitzte Runenkalender – sie alle üben diese Faszination auf die Besucher bis heute aus. Insbesondere vor dem Hintergrund der Debatte um die Recht- oder Unrechtmäßigkeit des Erwerbs von Sammlungsstücken war es den Kuratoren jedoch wichtig, die Herkunft der Exponate so weit wie möglich zu ermitteln. Die ebenfalls gezeigten Recherchen runden das Bild der Ausstellung insofern ab, als sich die »eigene« Geschichte mit der »fremden« Geschichte verbindet und sich dadurch vielfältige Anknüpfungspunkte bieten.
Nachlässe: Was bleibt?
Die ersten Verknüpfungen werden in der ebenfalls am 10. Mai eröffneten Ausstellung »Was bleibt?! – Nachlässe in der SLUB« sichtbar. Unter anderem zeigt die SLUB Teile des umfangreichen Nachlasses der Künstler- und Gelehrtenfamilie Schnorr von Carolsfeld. Eines der bekannten Familienmitglieder war Franz von Carolsfeld, von 1887 bis 1907 Oberbibliothekar an eben jener Königlich Öffentlichen Bibliothek, die auch zahlreiche der in der Schatzkammer ausgestellten Raritäten sammelte und kaufte.
Insgesamt beherbergt die Handschriftensammlung der SLUB rund 500 Nachlässe überwiegend sächsischer Künstler, Literaten, Wissenschaftler und Musiker. Da bereits im 17. Jahrhundert mit der Sammlung begonnen worden war, lässt sich anhand der Nachlässe ein gutes Stück Dresdner Kulturgeschichte erzählen. Teil der Ausstellung ist deshalb unter anderem auch zu zeigen, wie Nachlässe an die SLUB gelangen und wie sie erschlossen werden. »Ich sehe meine Aufgabe aber nicht nur darin, die zu unserem Haus passenden Nachlässe zu sammeln, sondern auch Menschen, die mit anderen interessanten Sammlungen kommen, an die richtigen Stellen weiterzuvermitteln«, erklärt Kurator Thomas Stern, Referats-leiter Handschriften und Seltene Drucke an der SLUB, der die Nachlässe und die Autographensammlung betreut.
Zur bedeutendsten Sammlung der SLUB gehört der Nachlass des Kritikers und Übersetzers August Wilhelm von Schlegel (1767–1845), der zusammen mit seinem Bruder Friedrich Schlegel, dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte und den Schriftstellern Ludwig Tieck und Novalis die romantische Schule prägte. Der Nachlass kam 1873 in den Besitz der Landesbibliothek und ist damit der zweit-älteste des Hauses. Wie so vieles, was schon vor 1945 im Besitz der Bibliothek war, ist es auch hier ein kleines Wunder, dass er noch erhalten ist. Denn bis Februar 1945 war die Sächsische Landesbibliothek im Japanischen Palais untergebracht, das nicht nur ausgebrannt war, sondern auch zum Teil unter Wasser stand. Die im Nachlass von Schlegel aufbewahrten Briefwechsel konnten zwar gerettet werden, doch mussten sie Seite für Seite an Wäscheleinen getrocknet werden.
Die Ausstellung bietet aber auch einen Blick in die jüngere Geschichte Dresdens. So können die Besucher Ausschnitte des Nachlasses des berühmten Fotografen Christian Borchert (1942-2000) betrachten, der früh bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Bekanntheit erlangten insbesondere seine Familienporträts, in denen er Szenen aus dem DDR-Alltag festgehalten hatte. Kurator Thomas Stern zeigt nun u.a. Briefe, in denen es um den stets aus politischen Gründen verschobenen Abdruck der Fotos ging. Auch im »nebenan« ausgestellten Nachlass des Dresdner Malers Ernst Hassebrauk (1905–1978) kann die Entstehung eines bekannten Buches nachvollzogen werden. Das »Dresdner Bilderbuch« steht exemplarisch für sein Werk, aber auch für die Verbindung zu einem weiteren wichtigen Nachlass, dem des Kunsthistorikers Fritz Löffler (1899–1988), der dafür die Texte verfasst hatte. Löffler ist wohl den meisten Dresdnern ein Begriff. Er arbeitete bei den Städtischen Kunstsammlungen, den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und dem Landesamt für Denkmalpflege Sachsen und pflegte enge Kontakte zu Dresdner Künstlern. Sein großer Einsatz für den Erhalt von Kulturdenkmälern, wie dem (vergeblichen) Kampf um die Sophienkirche, war der DDR-Obrigkeit ein Dorn im Auge. Auf der zum Ausruhen einladenden Hörbank der Ausstellung können ihm die Besucher u.a. bei Gesprächen mit »Dottore« lauschen – dem Dresdner Kinderarzt Wolfgang Lehmann, der auch als Maler und Grafiker sehr bekannt war. Filmaufnahmen von Ernst Hirsch aus den Jahren 1946 bis 1984, die Fritz Löffler an verschiedenen Dresdner Orten zeigen, laden zu einer kleinen Zeitreise ein.
Natürlich ist in der Ausstellung nur ein kleiner Teil aus den Nachlässen sichtbar. Alles andere würde den Rahmen sprengen, zumal vieles auch digital verfügbar ist. »Mir war es bei der Zusammenstellung der Ausstellungsstücke wichtig, die Verbindungen zwischen den verschiedenen Menschen zu zeigen«, sagt Thomas Stern. »Das Sammeln ist ja kein Selbstzweck, sondern zeigt einen Teil unserer Geschichte.«
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 10/2019 vom 28. Mai 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.