15.02.2022
Revolution des Bauens findet an der TUD statt
Halb so viel Beton, 70 Prozent weniger CO2 – das weltweit erste Carbonbeton-Haus macht es vor
Heiko Weckbrodt
Wenn die Arbeiter im Herbst 2022 der TUD das weltweit erste Carbonbeton- Haus zwischen Einsteinstraße und Fritz-Foerster-Platz übergeben, dann lösen sie damit wohl auch eine Revolution in der Bauwirtschaft aus. Denn der neue Leichtbaustoff, den sie für den »Cube-Twist« einsetzen, kann den Betonverbrauch auf Baustellen rund um den Erdball halbieren, die Kohlendioxid- Emissionen bei der Betonproduktion um 70 Prozent reduzieren, neuartige grazile Architekturansätze erlauben – und für Bauwerke sorgen, die eine halbe Ewigkeit halten.
»Wenn wir 2045 klimaneutral bauen wollen, ist der Carbonbeton auf dem Weg dorthin ein ganz wichtiger Mosaikstein «, ist Bauherr und Carbonbeton- Erfinder Prof. Manfred Curbach vom Institut für Massivbau überzeugt. Zudem erlaube das Material »neue, freiere Formen und kann dem Bauen einen neuen Schwung geben«, ergänzt Stararchitekt Gunter Henn.
Möglich werden die grazile Bauweise und die enormen Ressourcen-Ersparnisse vor allem durch den Verzicht auf Bewehrungsstahl im Beton. Stattdessen geben nun Netze und Stäbe aus Kohlenstofffasern dem Beton Halt. Die Vorteile dabei: Carbon ist viermal so fest wie gewöhnlicher Baustahl, hält Kräfte von bis zu 2000 Newton pro Quadratmillimeter aus. Und weil Kohlenstoff nicht rostet, fallen viele dicke Betonmäntel und Alkali-Zusätze weg, die klassischen Stahlbeton bisher vor Korrosionen schützen. Unterm Strich können Carbonbeton-Wände sehr viel dünner als mit Stahlbeton gebaut werden – und das spart Zement, Energie und andere Ressourcen.
Carbonbeton könne beispielsweise auch die wachsende Sandknappheit auf den Baustellen rund um den Erdball entschärfen, verweist Curbach auf ein noch zu wenig in der Öffentlichkeit beachtetes Problem: Zwar erscheinen dem Laien die globalen Sandvorräte in den Wüsten schier unerschöpflich. Doch beispielsweise die Sandkörner der Sahara sind nicht für Baustellen geeignet, weil zu rund und zu einheitlich. Mittlerweile hat sich um Arabien und im südchinesischen Meer schon ein neues »Berufsbild« aus dem Mangel entwickelt: Sandpiraten baggern über Nacht Sandvorräte weg und sind am nächsten Morgen mit dem begehrten Baumaterial verschwunden.
Mit dem »Cube-Twist« neben dem Uni-Campus wollen die Dresdner Bauingenieure nun handfest beweisen, wie viele dieser Probleme technologisch lösbar sind – und das zu moderaten Preisen: Der »Cube« genannte Kubustrakt zum Beispiel zeigt, wie sich mit Roboterhilfe rasch und preiswert Carbonbeton-Bauten errichten lassen. Im Moment sei Carbonbeton zwar noch etwas teurer als Stahlbeton, räumt Curbach ein. »Doch wenn wir auf höhere Stückzahlen kommen, läuft das auf eine Kostenparität hinaus. « Sprich: Carbonbeton soll bald genauso viel kosten wie gewöhnlicher Stahlbeton – bei überlegenen Eigenschaften. Die wiederum demonstriert der in sich verdrehte »Twist-Trakt«. Den haben die Arbeiter vor Ort auf der Baustelle gespritzt, um zu zeigen, welche faszinierend-luftigen Bauformen nun möglich sind.
Freilich mussten die Forscher in der Baustellenpraxis auch erkennen, dass die neue Art des Bauens speziell geschulte Bauarbeiter erfordert. »Die Berufsausbildung wird sich ändern«, prognostiziert Professor Curbach.
»So wie Berufsbilder wie Elektriker und Mechaniker zum Mechatroniker zusammengewachsen sind, so wird es in Zukunft sicher auch den Carbonbetonbauer als Beruf geben. Dann wird es als Selbstverständlichkeit gelten, dass die kleinste Maßeinheit auf dem Bau nicht mehr der Daumen, sondern der Millimeter ist.«
Trotz all dieser Lernprozesse sind Hentschke Bau, Bendl und all die anderen Partnerunternehmen inzwischen weit vorangekommen, das Carbonhaus hat seine avantgardistische Formen angenommen. Nach dem Richtfest beginnt jetzt der Innenausbau. Im September 2022 will die Uni das Gebäude übernehmen – als praktisches Anschauungsobjekt für die Möglichkeiten des neuen Carbonbetons, als Hingucker für Dresden-Besucher und als ein Ort für den wissenschaftlichen Meinungsaustausch.
Die nächsten Carbonbeton-Bauwerke sind schon in Arbeit oder stehen vor dem Abschluss: Wenn der Stadtrat zustimmt, könnte zum Beispiel die 49. Grundschule im Dresdner Süden die erste Carbonbeton-Turnhalle bekommen. Mehrere Autobahnbrücken in West- und Süddeutschland werden mit Carbonbeton saniert. Und ihre »Hyparschale « vom legendären Hallenbaumeister Ulrich Müther wollen die Magdeburger ebenfalls mit dem Leichtbaumaterial aus Dresden retten.
Angesichts von mittlerweile 130 Referenzobjekten in acht Ländern mit dem »Cube-Twist« als jüngstem Meilenstein sind die TUD-Bauingenieure auch optimistisch, dass sich ihr Carbonbeton schneller durchsetzen wird als manch andere disruptive Technologie. Womöglich in zehn oder 20 Jahren könne Carbonbeton zum »Selbstläufer« in der Bauwirtschaft geworden sein, schätzt Curbach. Ein paar Schritte auf dem Weg dorthin will der 65-jährige Professor vor dem Ruhestand auch noch selbst aktiv begleiten. So haben die TUD und ihre Partner im Verbundprojekt »C³ – Carbon Concrete Composite« inzwischen eine Möglichkeit gefunden, Carbonbeton-Gebäude nach den geschätzten 200 Jahren Standzeit zu recyceln.
Als nächstes wollen die Teams das andere Ende der Carbonbeton-Wertschöpfungskette ökologisch auf Vordermann bringen: »Im Moment wird Carbon meist noch aus Erdöl gewonnen«, ärgert sich Curbach. Erste Ansätze, die Kohlenstofffasern aus Bäumen zu gewinnen, gebe es bereits. Aber einen richtigen Knaller hat ein Münchner Kollege in der Schublade: Er bringt Blaualgen dazu, das Kohlendioxid in der Luft in Polyacrylnitril (PAN) zu verwandeln. Dieses Polymer könnte dann als Basisstoff für besonders umweltfreundliches Carbon dienen. Diese Technologie würde er zusammen mit den Münchnern im geplanten »Lab – Lausitz Art of Building« weiterentwickeln – wenn er denn für dieses Bau-Großforschungszentrum im Sommer vom Bund den Zuschlag bekommen sollte.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 3/2022 vom 15. Februar 2022 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.