Jan 19, 2021
Riechtraining nach Corona ist sinnvoll
Etwa 60 Prozent der Corona-Erkrankten haben mit Riechverlusten zu kämpfen
UJ war im Gespräch mit Prof. Thomas Hummel vom Interdisziplinären Institut für Riechen und Schmecken am Universitätsklinikum Dresden.
UJ: Herr Professor Hummel, in der Medizin ist bekannt, dass etwa ein Viertel der über 50-Jährigen, etwa ein Drittel der über 70-Jährigen und jeder Zweite über 80 Jahre nicht mehr so gut riechen kann. Warum ist das nicht nur eine normale Alterserscheinung?
Prof. Hummel: Riechverluste sind weit verbreitet. Je älter wir werden, desto schlechter riechen wir. Mehr als die Hälfte der über 80-Jährigen riecht nichts mehr oder deutlich schlechter. Viele finden das allerdings gar nicht so schlimm, vor allem wenn sie mit Gleichaltrigen zusammen sind. Erst wenn sie Jüngeren begegnen, fällt der Unterschied auf. Riecht man verdorbene Nahrung oder ein Feuer nicht mehr, kann es gefährlich werden.
Einbußen des Geruchssinns können allerdings Vorboten für neurodegenerative Erkrankungen sein. Bei Parkinson- Patienten macht sich die Riechstörung vier bis zehn Jahre vor den typischen Krankheitssymptomen bemerkbar. Bei der Alzheimer-Demenz ist es ähnlich. Unerklärliche Riechverluste können nicht nur ein Zeichen einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung sein oder nach Schädel-Hirn-Verletzungen auftreten – sie stellen auch ein Risiko für Depressionen dar und können auf kognitive Störungen hinweisen. Als unspezifische Symptome sollten sie auf jeden Fall ernst genommen werden und HNO-fachärztlich und/oder neurologisch abgeklärt werden.
Der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn gilt auch als Frühsymptom einer Infektion mit dem neuen Corona-Virus …
Ja, Corona-Infektionen machen sich teilweise durch Riechverluste bemerkbar. Düfte werden normalerweise über das olfaktorische System, also von vorn, wahrgenommen. Hinzu kommen Eindrücke, die im hinteren Nasen- Rachenraum entstehen, zum Beispiel beim Trinken. So entsteht der Feingeschmack. Oft wird das mit Schmecken verwechselt, also mit der Wahrnehmung von Süßem oder Salzigem. Der Geschmackssinn ist bei den meisten Corona-Infizierten nicht beeinträchtigt. Es kann jedoch wegen des fehlenden Feingeschmacks sein, dass sie das Essen als fade empfinden. Wer hier eine plötzliche Veränderung erkennt, sollte sich bemühen, einen Corona-Test zu bekommen, auch wenn er sonst keine Symptome aufweist.
Bei wie vielen mit SARS-CoV-2-Infizierten bleibt die Symptomatik nach der Genesung bestehen?
Dazu gibt es noch nicht wirklich gute Zahlen. Wir wissen, dass rund 60 Prozent der Corona-Erkrankten von Riechverlusten betroffen sind. Nach ein bis zwei Monaten bessert sich das bei etwa 80 bis 95 Prozent dieser Betroffenen. Möglich ist, dass feine Aromen nicht erkannt werden. Ein Beispiel wäre, dass Kinder nicht mehr an ihrem Körpergeruch erkannt werden. Leichte Riechverluste können andauern. Bei fünf bis 15 Prozent der Patienten mit Riechverlust bleibt dieser über Monate oder gar Jahre bestehen – eine komplette Heilung ist in den Fällen selten. Angesichts von rund 1,8 Millionen Infizierten, von denen wir inzwischen bundesweit ausgehen, bedeuten 60 Prozent mit Riechverlust 1,1 Millionen Menschen, davon mindestens 54 000 (= fünf Prozent), deren Riechverlust länger besteht.
Sie haben mit der französischen Parfüm- Expertin Marie Urban Le Febvre ein Geruchstraining entwickelt. Wie kam es dazu und wie funktioniert das?
Riechtrainings existieren schon länger. Im Jahr 2008 gab es dazu erste Veröffentlichungen. Über 40 wissenschaftliche Studien haben seither gezeigt, dass Riechtrainings sinnvoll sein können. Wir verwenden monomolekulare Düfte: Rose, Gewürznelke, Zitrone und Eukalyptus. Diese verderben nicht. Das Riechtraining erfordert Geduld. Zweimal täglich und mehrere Monate lang wird etwa 30 Sekunden an jedem Duft geschnüffelt, morgens und abends.
Frau Urban arbeitet in Berlin. Sie kontaktierte mich im Sommer 2020, nachdem zwei ihrer Freunde erkrankt waren. Parfümeure, die beruflich eine gute Nase haben müssen, trifft ein Riechverlust natürlich besonders hart. Die Düfte in ihrem Trainingskit sind etwas eleganter, sie stimulieren tiefer. Zudem setzt sie als zusätzlichen Duft Birkenharz ein, der Verbranntes simuliert.
Empfiehlt es sich, das Riechtraining in eigener Regie zu beginnen?
Post-Corona-Trainings schaden sicher nicht. Eine fachärztliche Abklärung der Symptome ist wie bereits gesagt sinnvoll, gern auch bei uns in der Riechambulanz am Uniklinikum. Es gibt aber noch andere therapeutische Möglichkeiten. Patient:innen, die zu uns kommen, werden in Studien aufgenommen. Momentan untersuchen wir beispielsweise die Wirkung von Omega-3-Fettsäure und beobachten Langzeitverläufe nach Infektionen mit dem neuen Coronavirus. Bei uns ist es auch möglich, den Riechverlust zu messen. Das ist interessant und hilfreich für Betroffene, weil die Ergebnisse oft nicht mit dem subjektivem Riechverlust übereinstimmen.
Übernehmen die Krankenkassen die Kosten für das Geruchstraining?
Nein. Unsere Studienteilnehmer:innen bekommen im Rahmen von Studien die Düfte von uns ausgehändigt. Die fünfteiligen Trainingskits von der Parfümeurin werden für etwa 60 Euro vertrieben.
Über die Website des von Ihnen geleiteten Interdisziplinären Instituts für Riechen und Schmecken an der Universitäts-HNO-Klinik Dresden können Interessierte (auch Gesunde) einen kurzen Online-Fragebogen ausfüllen, der auch einen Riechtest enthält. Wie wird das genutzt und wie helfen Ihnen die Daten für Ihre Forschungen?
Bisher haben rund 400 Personen den Fragenbogen komplett ausgefüllt und den Selbsttest durchgeführt. Das dauert nicht lange und ist völlig anonym möglich. Wenn die Patient:innen dann mit der Auswertung zu uns kommen, können wir die Ergebnisse mit unseren klinischen Studien kombinieren. Das ist für unsere medizinischen Forschungen mit internationalen Partnern sehr nützlich.
Schon gewusst? | |
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• Die Riechzellen am oberen Ende der Nasenhöhle erneuern sich alle vier bis sechs Wochen. |
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Die Fragen stellte Dagmar Möbius.
Anmeldung zur Riechsprechstunde am UKD: Tel.: (0351) 458-2118 (AB mit Rückruf)
Kurz-Link zum Interdisziplinären Institut für Riechen und Schmecken am Universitätsklinikum Dresden: ogy.de/s6fw
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 01/2021 vom 19. Januar 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.