24.02.2020
Tag des Schachtelsatzes – zwischen Eleganz und Groteske
Die Geister scheiden sich am Phänomen des Schachtelsatzes. Der 25. Februar ist Tag des Schachtelsatzes und Anlass, mit Professor Alexander Lasch vom Institut für Germanistik der TU Dresden die Funktion des Schachtelsatzes zu durchdenken und ihm die einfache Sprache gegenüberzustellen.
Was haben Thomas Mann, Kleist und Vergil gemeinsam? Die Herren verlangen dem gequälten Leser ein Übermaß an Konzentration ab, wenn er versucht, dem verflochtenen Gedankenstrom eines einzelnen Satzes zu folgen.
In der Krux des Schachtelsatzes liegt jedoch zugleich sein Potenzial: „Der Schachtelsatz – fachsprachlich: die Hypotaxe – ist eine Spezialität für deutschsprachige Hochkultur und kann als Denk- und Strukturierungshilfe komplexer Gedanken dienen, die simultan entstehen. Das heißt, wer sich komplex und mit verschränkten syntaktischen Mustern ausdrückt, gilt auch als besonders gebildet. Damit steht die Distinktion im Raum“, führt Lasch aus. Früher diente eine möglichst komplizierte und geradezu umständliche Ausdrucksweise dazu, sich von der Norm zu unterscheiden. Dagegen besteht die heutige Eleganz des allgemeinen Sprachstils in der Prägnanz und Chronologie der Gedanken. Zugunsten der Deutlichkeit bauen wir die Hypotaxen ab. Das hebt die Herausforderung der Kommunikation auf eine neue Stufe: Die Komplexität unserer Inhalte bleibt, während gleichzeitig die Kommunikationsstrukturen vereinfacht werden. Solche Vereinfachungen sind seit jeher Teil der Geschichte und spiegeln sich in ganzen Gattungen wider, wie der Bibelübersetzung, der Fabel oder dem Kirchenlied.
Doch es geht auch anders, sprich einfach! In der Verso gGmbH, die Alexander Lasch als Mentor begleitet, konzipieren Linguisten der TU Dresden seit 2019 eine einfache Sprache. Sie ermöglicht der Zielgruppe den eigenständigen Zugang zu relevanten Informationen. Entwickelt ist das Format für Personen mit Lernbeeinträchtigung (Lese-/Rechtschreibschwäche, Analphabetismus), Personen mit Migrationserfahrung oder Personen mit kognitiven bzw. physischen Einschränkungen (Seh- oder Hörschwäche, Alterseinschränkungen, Aufmerksamkeitsschwächen). Verso verfolgt einen partizipativen Ansatz, um anhand der Interessenlage zielgruppenorientierte Inhalte bereitzustellen.
Dazu werden Fragen an eine Institution erfasst und die daraufhin entstandenen Texte vor der Veröffentlichung von den Nutzern auf ihre Verständlichkeit geprüft. Im ersten barrierefreien Teil der Universitätswebseite (https://tu-dresden.de/gsw/barrierefrei), der im Januar online ging, ist beispielsweise die Übersicht der Mensen recht weit oben angesiedelt – Essen ist schlichtweg wichtig. Die Multimedialität unterstützt das Projekt: Neben Texten in einfacher Sprache kommen Videos mit ausgebildeten Sprechern, Gebärdensprache und Audiodeskriptionen zum Einsatz. Zusätzlich erläutert ein Glossar unvermeidbare Fachwörter.
Verso geht es um einen empirisch abgesicherten Empfehlungsrahmen, der die Verständlichkeit von Texten verbessert. Die Gruppe verzichtet willentlich auf konstruierte Normierungen der „Leichten Sprache“ wie die Subjekt-Prädikat-Objekt-Reihenfolge, denn „Menschen, die die deutsche Sprache lernen oder kognitiv beeinträchtigt sind, bilden ihre Sätze normal – demzufolge können sie sie auch relativ gut verstehen“, sagt Lasch. Neben syntaktischen Überlegungen spielt aber auch die Typografie – das Schriftbild – eine Rolle: Liest ein Nutzer in leichter Sprache beispielsweise vom Haupt·Bahn·Hof, wird er (vor dem Gebäude stehend) das Wort Hauptbahnhof nicht identifizieren können. Da falsche Zielnormen demgemäß den Lernaufwand erhöhten, solle sich die einfache Sprache an der Normalsprache orientieren, konstatiert Lasch. Einfache Sprache sei dann als transitorische Varietät – als Etappenziel auf dem Weg zum normalen Sprachegebrauch – zu verstehen. „Andernfalls schaffen wir Texte, die am Sprachgebrauch vorbeigehen und erkennbar vom Standard abweichen. Damit haben wir ein Stigmatisierungspotenzial für die Leute, die solche Texte benutzen.“
Tatsächlich wurde aus Befragungen der Zielgruppen deutlich, dass sie keine plakativ gestaltete leichte Sprache in der Öffentlichkeit nutzen möchten. Aus geringer Sprachkompetenz würde häufig darauf geschlossen, dass der Intellekt nicht ausreiche. „Diese Haltung ist landläufig. Kognitive Fähigkeiten müssen nicht mit Lese-/ Rechtschreibkompetenz zusammenhängen, unsere Gesellschaft wertet aber danach.“ Eine qualitativ hochwertige einfache Sprache, die in die Normalsprache hineindiffundiert, kann dieser Stigmatisierung entgegenwirken.
Das Ziel der einfachen Sprache ist keinesfalls die Verwässerung von Inhalten, sondern eine Schnittstellenkommunikation, ein Interdiskurs. Anstelle einer simplen Übersetzung liefert beispielsweise Verso ein eigenes Format, das die Eigenständigkeit der Zielgruppe bestmöglich fördern soll. Gerade im universitären Rahmen öffnet einfache Sprache den Dialog mit der breiten Gesellschaft und macht die Institution transparent, um gesellschaftliche Resonanz einzufangen. Gleichzeitig präsentiert sich die Einrichtung dadurch als aktiver, lebendiger, vielseitiger und nicht zuletzt spannender Ort. In diesem Sinne ist die Bereitstellung der TUD-Webseite ein Bestandteil der Diversity Strategie aus dem Zukunftskonzept der Universität.
Und der Schachtelsatz? Grotesk und monströs wirkt er vor allem in unserer Alltagssprache. Sein Zuhause bleibt die Expertenkommunikation und die Fachsprache – hier hat er seine Berechtigung. Liebhaber schätzen ihn natürlich besonders in der versierten Prosa, die aber inzwischen auch in einfacher Sprache auftaucht und unseren gesellschaftlichen Austausch entsprechend bereichert.
Informationen für Journalisten:
Prof. Alexander Lasch
Tel.: 0351 463-36175