25.09.2009
Mit Teilchenphysik zum Doktorhut
Mit einem Symposium wird am 28. September 2009 in Berlin offiziell ein neues Graduiertenkolleg der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eröffnet, in dem Arbeitsgruppen der TU Dresden mit Wissenschaftlern der Humboldt-Universität zu Berlin und des DESY in Zeuthen (Brandenburg) kooperieren. Das Kolleg "Masse, Spektrum, Symmetrie: Teilchenphysik in der Ära des Large Hadron Colliders" wurde zum 1. April 2009 eingerichtet und soll vorerst bis Ende Oktober 2013 laufen. Es wird von der DFG mit insgesamt 2,5 Millionen Euro gefördert.
"Mit der Inbetriebnahme des LHC, dem neuen Large Hadron Collider am CERN in Genf, stehen wir am Beginn einer neuen Ära", betont Professor Michael Kobel, Leiter des Instituts für Kern- und Teilchenphysik der TU Dresden und stellvertretender Sprecher des Kollegs. Stärkere Integration und Austausch der verschiedenen Arbeitsfelder der Elementarteilchenphysik untereinander sind mehr denn je gefragt. Durch die im vergangenen Jahr erfolgten Berufungen von Prof. Dominik Stöckinger, Prof. Kai Zuber und Jun.-Prof. Arno Straessner bietet das Dresdner Institut nun ein kohärentes Spektrum, das von der theoretischen Ausarbeitung von Modellen und Vorhersagen über die Entwicklung von Nachweisgeräten und die Datenauswertung von Experimenten mit und ohne Teilchenbeschleuniger bis zur Anwendung der Kern- und Teilchenphysik im medizinischen Gebiet reicht. In Kooperation mit ergänzender Expertise der Humboldt-Universität zu Berlin und von DESY in Zeuthen ergibt sich ein für den Osten Deutschlands einmaliges Forschungspotenzial, das im Rahmen des Graduiertenkollegs für die Ausbildung von hervorragenden Doktoranden genutzt werden soll.
Der Start des Large Hadron Collider hat im vergangenen Jahr großes Aufsehen erregt, denn die Fachleute erwarten, dass der weltgrößte Beschleunigerring in den kommenden Jahren eine Vielzahl neuer Entdeckungen hervorbringen wird. "Das sogenannte Standardmodell gibt uns Teilchenphysikern eine präzise überprüfte Theorie, die mit Hilfe eleganter Symmetrien den Aufbau der uns umgebenden Materie aus fundamentalen Bausteinen und deren Wechselwirkungen beschreibt", erläutert Prof. Michael Kobel. "Der LHC wird den einzigen experimentell noch nicht bestätigten Teil dieser Theorie prüfen, nämlich wie Teilchen zu ihrer Masse kommen." Heißer Kandidat dafür ist das so genannte Higgs-Feld. Dem Standardmodell der Teilchenphysik zufolge füllt es das gesamte Universum aus und verleiht den Teilchen Masse, wenn sie sich durch dieses Feld bewegen. Mit Hilfe der riesigen Detektoren am LHC wollen die Forscher ihre Theorie belegen und das Higgs-Teilchen nachweisen.
Andere Forschungsthemen des Kollegs betreffen die Suche nach "supersymmetrischen" Teilchen wie zum Beispiel Neutralinos, welche die dunkle Materie im Universum erklären könnten. Diese trägt zwar fünfmal mehr Masse zum Kosmos bei als unsere normale Materie aus Atomen und Molekülen, ihre Natur ist aber völlig rätselhaft und hat sich bisher jeder Erforschung sowohl im Labor als auch in der kosmischen Strahlung entzogen. "Hier lässt sich eine direkte Brücke zur Astroteilchenphysik schlagen und weiter zu den theoretischen Forschungen", so Prof. Kobel. "Und es macht deutlich, dass die vom LHC ausgehenden Fragestellungen in den kommenden Jahren eine Herausforderung für alle experimentellen und theoretischen Arbeitsfelder der Elementarteilchenphysik darstellen werden."
Weiterer Bestandteil der Doktorandenausbildung ist die Neutrinophysik, die beispielsweise der Frage nachgeht, ob Neutrinos, die neutralen Partner der Elektronen, ihre eigenen Antiteilchen sind oder nicht, und welche Massen sie besitzen. Mit dem vom VKTA (Verein für Kernverfahrenstechnik und Analytik Rossendorf e.V.) betriebenen Niederniveaumesslabor Felsenkeller verfügt die TU Dresden über eine hervorragende Einrichtung. Kombiniert mit Deutschlands intensivster Neutronenstrahlquelle, die die TU Dresden am FZD (Forschungszentrum Dresden-Rossendorf) betreibt, ist dies eine weltweit einzigartige Kombination für Neutronaktivierungsstudien und Messungen zur Nuklearen Astrophysik und der Neutrinophysik.
In dem universitätsübergreifenden Graduiertenkolleg werden insgesamt 18 Doktorandenstellen und sechs Qualifizierungsstipendien finanziert, dazu kommen zwei Stellen für Postdoktoranden. Das Studienprogramm für die Kollegiaten umfasst neben Spezialvorlesungen und Seminaren im Curriculum der TU Dresden und der Humboldt-Universität zweimal jährlich stattfindende Blockveranstaltungen zu aktuellen Themen der Elementarteilchenphysik. Der erste dieser Kurse findet gleich im Anschluss an die feierliche Eröffnung statt.
Außerdem umfasst die Ausbildung Qualifizierungsmaßnahmen, in denen die Kollegiaten selbst aktiv werden: Sie nehmen an wissenschaftlichen Sommerschulen teil, stellen sich gegenseitig in einem Seminar ihre Forschungsprojekte vor und besuchen "Social skills"-Kurse. Geplant ist ebenfalls, dass die Kollegiaten in die Internationalen Schülerforschungstage "Hands on Particle Physics Masterclasses" eingebunden werden. Diese werden jährlich unter der Dresdner Gesamtleitung von Prof. Kobel an weltweit über 80 Instituten in 23 Ländern veranstaltet, darunter an der TU Dresden, der Humboldt-Universität zu Berlin und am DESY in Zeuthen. Die Doktoranden des Graduiertenkollegs sollen einführende Vorträge halten und bei der Betreuung der Schüler mitwirken. Sie erlangen dadurch die wichtige Qualifikation, ihr eigenes Forschungsgebiet interessierten Laien nahe zu bringen.
Autor: Uta Bilow
Informationen für Journalisten:
Prof. Dr. Michael Kobel,
Tel.: 0351 463-39880, -32956