Apr 07, 2009
Warum ist das Universum gerade so, wie es ist?
Die Elementarteilchenphysik hat mit den Grundregeln ihres „Standardmodells" unser Naturverständnis in den letzten Jahrzehnten entscheidend vorangebracht. Mit der Inbetriebnahme des neuen „Large Hadron Colliders“ (LHC), dem weltgrößten Teilchenbeschleuniger am Europäischen Laboratorium für Teilchenphysik CERN, steht die Menschheit jedoch am Beginn einer neuen Ära, von der gänzlich neue Entdeckungen zu erwarten sind, die über das Standardmodell hinausgehen.
Hier setzt das neue, universitätsübergreifende Graduiertenkolleg „Masse, Spektrum, Symmetrie – Teilchenphysik in der Ära des Large Hadron Colliders“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit Arbeitsgruppen in Dresden, Berlin und Zeuthen (Brandenburg) an. Gemeinsam beteiligen sich die Teilchenphysiker unter anderem am ATLAS-Experiment des LHC, und gemeinsam mit der nächsten Generation von Physikerinnen und Physikern wollen sie die spannende Zeit der langjährigen experimentellen und theoretischen Forschung am und rund um den LHC miterleben und mitgestalten. So werden 16 Doktorandenstellen und sechs Qualifizierungsstipendien in dem neuen Kolleg finanziert, das seine Arbeit im April 2009 aufgenommen hat und vorerst bis Ende Oktober 2013 laufen soll.
Prof. Michael Kobel, Leiter des Instituts für Kern- und Teilchenphysik der TU Dresden und stellvertretender Sprecher des Kollegs, schildert, wo in den nächsten Jahren die Schwerpunkte der Forschung liegen werden: „Mit dem Standardmodell verfügen wir über eine revolutionäre Theorie, die - außer der Gravitation – alle Kräfte und Wechselwirkungen in unserem Universum nicht nur beschreibt, sondern sogar ihre Ursache aufgedeckt hat: Elegante fundamentale Symmetrien der Natur. Zur Vervollständigung wird der LHC die einzig noch offene Frage des Standardmodells beantworten, nämlich wie Teilchen zu ihrer Masse kommen. Unsere Arbeitsgruppe in Dresden wird mit der Suche nach Higgs-Teilchen überprüfen, ob tatsächlich ein unsichtbares Medium, das Higgsfeld, die Massen verursacht. Dies würde uns einen weiteren Schritt näher an die Beantwortung der Frage bringen, warum das Universum gerade so ist, wie es ist; gerade so, dass Sterne, Planeten, und Leben entstehen konnten. Gelänge uns darüber hinaus der Nachweis der letzten noch nicht entdeckten Symmetrie, der so genannten Supersymmetrie, so könnte das leichteste der supersymmetrischen Teilchen die mystische Dunkle Materie im Universum erklären, und so eine direkte Brücke zur Astroteilchenphysik schlagen. Durch die in 2008 erfolgte Neubesetzung der Arbeitsgruppen von Prof. Stöckinger, Prof. Zuber und Jun. Prof. Straessner bietet unser Institut eine enge Zusammenarbeit von Theorie, Neutrino-Astroteilchenphysik und LHC-Physik und kann neu gewonnene Erkenntnisse sofort in der Lehre umsetzen. Die gemeinsame Beteiligung am Graduiertenkolleg mit Berlin und DESY erlaubt nun eine noch breitere Ausbildung der nächsten Generation von Teilchenphysikern.“
In der Region Sachsen stellt die TUD auf dem Gebiet der Elementarteilchenphysik einen wichtigen Anziehungspunkt für Studierende und Graduierte dar. Ein neu konzipierter Zyklus von insgesamt elf Vorlesungen auf dem Gebiet der Teilchen- und Strahlungsphysik verzeichnete im Sommersemester 2008 Rekordbeteiligungen. Ein Hauptseminar zu aktuellen Themen der Kern- und Teilchenphysik, ein Laborpraktikum und eine jährliche Exkursion zum CERN runden das Lehrangebot ab. Das Institut für Kern- und Teilchenphysik wird überdies vom Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen der TU Dresden (ZIH) unterstützt. Momentan stehen den Teilchenphysikern hier 128 Rechenprozessoren und mehrere Terabyte Plattenplatz zur Verfügung, um ihre Forschungsergebnisse auszuwerten.
Exzellente Diplom- und Masterstudierende des neuen Studienprogramms können nun einen schnelleren Zugang zur Promotion nutzen. Und die Promovierenden werden sich in der Theorie breite Kenntnisse aneignen, um auf mögliche Paradigmenwechsel in der Teilchenphysik, die aus der Entdeckung neuer Teilchen am LHC resultieren könnten, vorbereitet zu sein. Aber auch jenseits der Wissenschaft bieten sich den teilnehmenden Teilchenphysikern anschließend vielfältige, teilweise unkonventionelle Karrierewege an, zum Beispiel im Bereich der Unternehmensberatung, Informationstechnologie, bei Finanzdienstleistern und im Risikomanagement.
„In den kommenden Jahren wird sich zeigen, welche über das Standardmodell hinausreichenden Konzepte in der Natur realisiert sind“, sagt Prof. Kobel. „Die Kombination detaillierter Messungen am LHC, experimenteller Untersuchungen der Eigenschaften von Neutrinos und theoretischer Einbettung in neue Symmetrien wie der Supersymmetrie könnte neue fundamentale Erkenntnisse liefern, die von der Möglichkeit einer supersymmetrischen Vereinigung aller zwischen den Teilchen wirkenden Kräften bis zu kosmologischen Fragen wie etwa der Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie reichen“, ist der Teilchenphysiker überzeugt.
Autor: Martin Morgenstern
Weitere Informationen:
Prof. Michael Kobel
Tel.: 0351 463-39880
www.masse-spektrum-symmetrie.de