Aug 31, 2012
Weltweit erstes individuelles Unterkieferimplantat entwickelt
Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe unter aktiver
Beteiligung von Ingenieurwissenschaftlern der Fakultät
Maschinenwesen der TU Dresden hat nach dreijähriger Arbeit das
weltweit erste komplexe Verfahren entwickelt, das die
Herstellung eines individuellen Unterkieferimplantates
ermöglicht. Im März 2012 konnte der erste Patient mit dem neu
entwickelten Implantat in der Klinik für Mund-, Kiefer- und
Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Dresden erfolgreich
versorgt werden.
Bisher wurden Knochendefekte im Mund-, Kiefer- und
Gesichtsbereich mit konfektionierten Rekonstruktionsplatten
behandelt. Dies führte in etwa 45 Prozent der Fälle nach kurzer
Zeit zu funktionellen und ästhetischen Komplikationen. Weil die
Standardplatten nicht passgenau auf dem Restknochen angebracht
werden konnten, wurde die darüber liegende Schleimhaut nach
einer Operation stark strapaziert. Häufig entstanden
Entzündungen und die Platten lockerten sich. Zusätzlich kam es
zum Bruch der Rekonstruktionsplatte, weil Implantat und Knochen
unterschiedliche Festigkeiten aufwiesen. Die Folgen waren
umfangreiche funktionelle und ästhetisch-physiognomische
Defizite.
Einer Forschungsgruppe aus Ingenieuren der Fakultät
Maschinenwesen und Medizinern des Universitätsklinikums Carl
Gustav Carus der TU Dresden aus den Bereichen der Klinik für
Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (OÄ Dr. Dr. Jutta
Markwardt) und der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik
(Prof. Bernd Reitemeier) sowie Ingenieuren der Hofmann &
Engel Produktentwicklung GmbH ist es nun erstmals gelungen, ein
individuelles Unterkieferimplantat aus Titan zu entwickeln.
„Weil das neue Unterkieferimplantat die gleiche Festigkeit und
Geometrie wie die angrenzenden Knochen aufweist, bricht das
Material nicht mehr an den Verbindungsstellen, was dem
Patienten ästhetische Defizite nach der Operation und weitere
medizinische Eingriffe erspart. Zudem erfolgt die Befestigung
am Restkiefer nun gewebeschonend. Das garantiert eine optimale
Heilung“, so Professor Ralph Stelzer, Inhaber der Professur für
Konstruktionstechnik/CAD an der Fakultät Maschinenwesen der TU
Dresden.
Um die Biokompatibilität zu gewährleisten, verwendete die
interdisziplinäre Forschungsgruppe reines Titan. Dies wird in
einem komplexen Fertigungsverfahren erst aufgeschmolzen und
dann schichtweise aufgebaut. Die äußere Schale des Implantats
entspricht dann mit einer Wandstärke von nur 0,3 Millimetern
der Festigkeit des entfernten Kieferknochens. Damit das
Titanimplantat nicht zu schwer oder temperaturempfindlich wird,
ist es als Schalenkonstruktion gefertigt. Im Moment arbeiten
die Forscher der Fakultät Maschinenwesen daran, den Innenraum
des Implantates mit einer filigranen Struktur zu füllen, die
das Knochenwachstum anregen soll.
Vom Computermodell zum individuellen Implantat
Als Ausgangspunkt für die Konstruktion dienen Daten aus dem
CT eines erkrankten Patienten. Die individuelle
Datenaufbereitung erfolgt als virtuelles 3D-Modell mit einer in
der Arbeitsgruppe Reverse Engineering der TU Dresden dafür
eigens entwickelten Software. Auf Grundlage des digitalen
Modells wird das Unterkieferimplantat individuell konstruiert,
angepasst und bei der Firma Hoffmann & Engel gefertigt.
„Die Schwierigkeit bestand darin, die unterschiedlichen
Disziplinen von der medizinischen Diagnostik, über die
Konstruktion, Fertigung, bis zur OP-Planung und
Patientenversorgung informationstechnisch und logistisch
miteinander zu verknüpfen. Diese interdisziplinäre
Zusammenarbeit ermöglicht es nun erstmals, ein jedem Patienten
einzeln angepasstes Implantat in etwa 32 Arbeitsstunden
herzustellen“, so die Leiterin des ingenieurwissenschaftlichen
Teilprojektes, Dr.-Ing. Christine Schöne. Die Softwarelösung,
die im Rahmen des Projektes entstanden ist, wird aktuell auch
für andere Problemstellungen der OP-Planung angepasst wie z.B.
bei Zahnimplantationen.
Das Forschungsprojekt „Funktionsoptimierte Strukturen von
individuellen Implantaten zur Behandlung von Knochendefekten“
wurde mit rund zwei Millionen Euro von der Sächsischen
Aufbaubank gefördert. Davon erhielt das Teilprojekt der
Ingenieurwissenschaftler zur „Erarbeitung effektiver Methoden
und Softwarelösungen zur aufwandsarmen Modellierung von
individuellen Implantatstrukturen“ 470 000 Euro Fördersumme.
Das Teilprojekt lief vom 01.04. 2009 bis 30.06.2012.
Informationen für Journalisten:
Prof. Ralph Stelzer,
Dr.-Ing. habil. Christine Schöne,
Professur für Konstruktionstechnik/CAD,
Fakultät Maschinenwesen, TU Dresden,
Tel. 0351 463-33775, -32798,
,
OÄ Dr. Dr. Jutta Markwardt,
Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie,
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der TU Dresden
Tel. 0351 458-3382,
Bild: Virtuelles 3D-Modell eines
Unterkieferknochens mit eingepasstem Implantat. Die äußere
Schale des Implantates folgt der Kontur des entfernten
Kieferbereiches. Die Herstellung des Implantates erfolgt mit
dem schichtweise arbeitenden Verfahren „LaserCusing“.
(Quelle: TUD/KTC)