27.04.2021
Wenn die Luft zum Leben fehlt
Das European Resuscitation Council (ERC) hat vor wenigen Tagen seine überarbeiteten Leitlinien zur Reanimation veröffentlicht. Der einzige deutsche Vertreter der Autorengruppe für Neugeborenenempfehlungen kommt aus Dresden.
Alle fünf Jahre überarbeitet das European Resusciation Council (ERC) seine Reanmiationsleitlinien. Die für Herbst 2020 geplante Veröffentlichung musste coronabedingt verschoben werden, so dass die aktualisierten Leitlinien nun erst seit wenigen Tagen vorliegen. Sie stellen detailliert die wissenschaftliche Basis und die daraus resultierenden Therapieempfehlungen dar. Grundlage ist der "International Consensus on Cardiopulmonary Resuscitation and Emergency Cardiovascular Care Science". Für Erwachsene, Kinder und Neugeborene gelten jeweils unterschiedliche Therapieempfehlungen.
An den Maßnahmen, die insbesondere Früh- und Neugeborene betreffen, hat Prof. Mario Rüdiger, Leiter des Fachbereiches Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden, als einziger deutscher Vertreter mitgewirkt.
"Das Besondere bei den Empfehlungen für Neugeborene ist, dass es sich nicht nur um eine Leitlinie für die Wiederbelebung handelt", erklärt Prof. Mario Rüdiger, "sondern vielmehr dargelegt ist, wie die Kinder nach der Geburt unterstützt werden sollen, damit sie die Anpassung an das Leben außerhalb des Mutterleibes ohne Probleme meistern."
Ungefähr 15 Prozent aller Neugeborenen brauchen nach der Geburt eine gewisse Unterstützung, nur 0,5 Prozent werden wirklich wiederbelebt. Dieser Unterschied zu den restlichen Reanimationsempfehlungen wurde bereits 2015 betont und fand auch in den aktuellen Empfehlungen wieder Berücksichtigung. Während bei Erwachsenen das Herz sehr häufig die Ursache eines Kreislaufstillstandes ist, liegt die Ursache bei Neugeborenen immer in einer unzureichenden Atmung. Dementsprechend fokussierten die Empfehlungen für die Laienreanimation von Kindern und Neugeborenen in den vergangenen Jahren auf die Durchführung von Herz-Druck-Massagen; Neugeborene benötigen im Notfall aber eher eine Beatmung.
Eine weitere Besonderheit der Empfehlungen für Neugeborene ist, dass es einen sehr großen Unterschied macht, ob das Neugeborene extrem unreif ist und bei der Geburt nur 500 Gramm wiegt oder es im Rahmen einer Komplikation unter der Geburt mit zu wenig Sauerstoff versorgt wurde. Das adäquate Vorgehen unterscheidet sich daher erheblich und hat einen maßgeblichen Einfluss darauf, ob langfristige Schäden entstehen können.
Mit zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnissen zu normalen Abläufen im Rahmen der nachgeburtlichen Anpassung ändern sich auch die Empfehlungen, wie die Neugeborenen zu unterstützen sind. So liegen jetzt Daten aus großen klinischen Studien vor die zeigen, dass insbesondere Frühgeborene davon profitieren, wenn sie nach der Geburt mehr als 60 Sekunden angenabelt bleiben und in dieser Phase möglichst schon die Atmung von alleine einsetzt. Auch der Umgang mit der Gabe von zusätzlichem Sauerstoff hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark geändert. Während vor 20 Jahren noch jedem Neugeborenen mit Problemen 100 Prozent Sauerstoff verabreicht wurde, weiß man heute, dass dieses Vorgehen schädlich ist. Dementsprechend ist man heute sehr vorsichtig und reguliert die Zufuhr in Abhängigkeit von der Reife der Neugeborenen und der gemessenen Werte.
"Es ist sehr wichtig, das Vorgehen immer wieder mit der wissenschaftlichen Evidenz abzugleichen", erklärt Prof. Rüdiger: "Ansonsten laufen wir Gefahr, mit gut gemeinten Maßnahmen eher einen Schaden anzurichten." Daher gilt auch hier wieder, nach den Empfehlungen ist vor den Empfehlungen. Die Arbeit für die Leitlinien des Jahres 2025 hat schon begonnen. Verschiedene aktuelle Forschungsprojekte der Dresdner Arbeitsgruppe versuchen noch offene Frage zu beantworten, damit die Empfehlungen auch auf Erkenntnisse beruhen, die in Sachsen gewonnen wurden.
Informationen für Journalisten:
Prof. Mario Rüdiger
Neonatologie & Pädiatrische Intensivmedizin Universitätsklinikum Dresden
Tel.: +49-351 458 3640