Nov 08, 2012
Immunsystem steuert im Fischhirn Neubildung von Nervenzellen
Verletzungen des menschlichen Gehirns und Rückenmarks rufen
eine Entzündungsreaktion hervor. Seit Jahrzehnten wird in der
Medizin darüber diskutiert, ob die Reaktion des Immunsystems
nach Verletzungen des zentralen Nervensystems eher den
Heilungsprozess fördert oder diesen verhindert. Erstmalig haben
Regenerationsforscher des DFG-Forschungszentrums für
Regenerative Therapien Dresden – Exzellenzcluster an der TU
Dresden (CRTD) am Modell des Zebrafischs nachgewiesen, dass die
Entzündungsreaktion beim Fisch notwendig ist, damit sich
Nervenzellen nach Gehirnverletzungen überhaupt neu bilden.
Hiermit haben sie einen neuen Mechanismus identifiziert, der
die Regeneration des Zebrafischgehirns durch neurale
Stammzellen steuert. Die Gehirne von Mensch und Zebrafisch
unterscheiden sich zwar oberflächlich betrachtet hinsichtlich
Größe und Aussehen, sind aber neuroanatomisch und genetisch
bedingt durch die evolutionäre Abstammung verwandt. (Science
2012, DOI 10.1126.science.1228773)
Bereits im November 2011 konnte die Arbeitsgruppe des Dresdner
Regenerationsforschers Professor Michael Brand zeigen, dass
erwachsene Zebrafischgehirne nach einer Verletzung regenerieren
können - eine phantastische Fähigkeit, die Gehirne von
Säugetieren leider nicht besitzen. Die Forscher konnten
insbesondere die Stammzellen identifizieren, die für die
Neubildung von Nervenzellen nach Gehirnverletzungen im
erwachsenen Zebrafisch verantwortlich sind. Die Wissenschaftler
zeigten damals auch, dass im Zebrafischgehirn, ebenso wie in
Säugetieren, eine starke Entzündungsreaktion kurz nach der
Verletzung auftritt. Bei Fischen führt dies jedoch nicht zu
einer chronischen Narbenbildung, welche beim Menschen die
Selbstheilung des Gehirns verhindert (Development 2011, DOI
10.1242/dev.072587). Hier knüpft nun die aktuell in Science
publizierte Forschungsarbeit an. „Im ersten Schritt haben wir
in Zebrafischen Entzündungen durch Injektionen von
Hefepartikeln erzeugt, ohne dabei das Gehirn zu verletzen“,
berichtet Michael Brand. Wie verhalten sich danach die radialen
Gliazellen, die als neuronale Stammzellen bei
Gehirnverletzungen in Zebrafischen Nervenzellen neu bilden?
Tatsächlich werden die Gliazellen durch die Hefepartikel
angeregt, die Produktion von neuen Nervenzellen wie bei einer
Gehirnverletzung stark zu erhöhen.
Dexamethason wird in Medikamenten bei Entzündungen im
menschlichen Körper standardmäßig als
entzündungshemmend und dämpfend auf das
Immunsystem eingesetzt. Diesen Wirkstoff haben die
Forscher dem Wasser zugesetzt, in dem Zebrafische gehalten
wurden, deren Gehirn vorher verletzt wurde, um somit
Entzündungen zu unterdrücken. Die radialen Gliazellen wurden
nun nicht aktiviert und bildeten trotz der Gehirnverletzungen
nicht mehr neue Nervenzellen. Das war der wissenschaftliche
Beweis dafür, dass die Entzündungsreaktion notwendig ist, um
überhaupt den Prozess der vermehrten Neubildung von
Nervenzellen in Gang zu setzen.
Wie kommt es zur Aktivierung der neuralen Stammzellen im Gehirn
des Zebrafischs durch das Immunsystem? Wie sind die Signalwege?
„CysLT1-LTC4, ein Lipidrezeptor, regt als Signalmolekül die
neuronalen Stammzellen im Fischgehirn an, neue Nervenzellen zu
bilden“, fand Nikos Kyritsis, Doktorand in der Dresdner
Arbeitsgruppe von Professor Brand, heraus und identifizierte
somit den molekularen Mechanismus der Stammzellaktivierung.
Denn die Injektion des Lipids in gesunde Fische aktivierte die
Nervenzellproduktion.
In den Gehirnen von erwachsenen Zebrafischen entstehen
lebenslang neue Nervenzellen, die dauerhaft verlorene
Nervenzellen ersetzen können.
Gene und molekulare Mechanismen sind zwischen Fisch und
Mensch aufgrund der gemeinsamen evolutionären Abstammung hoch
konserviert. Der kleine Fisch ist so als Modellorganismus
bestens geeignet, auch genetischen Grundlagen menschlicher
Krankheiten auf die Spur zu kommen. Das Wissen um deren
Regenerationsmechanismen könnte in Zukunft dazu beitragen, neue
therapeutische Ansätze bei Krankheiten und Verletzungen des
Gehirns zu entwickeln.
Publikation:
Nikos Kyritsis1, Caghan Kizil1, Sara
Zocher1, Volker Kroehne1, Jan
Kaslin1,2, Dorian Freudenreich1, Anne
Iltzsche1, Michael Brand1: Acute
inflammation initiates the regenerative response in the adult
zebrafish brain. Science 2012, DOI
10.1126.science.1228773
1DFG-Center for Regenerative Therapies Dresden -
Cluster of Excellence at the TU Dresden (CRTD), Technische
Universität Dresden, Germany;
2Australian Regenerative Medicine Institute (ARMI),
Monash University, Australia
Foto:
In der verletzten Hemisphäre des Zebrafischgehirns (links) ist
die Entzündung zu erkennen: Die Leukozyten (weiße
Blutkörperchen, grün) dringen in das beschädigte Gebiet ein, um
die Entzündung abzuwehren. Zusätzlich sind die aktiven radialen
Gliazellen zu sehen (rot). Foto: CRTD/Kyritsis, Brand
Informationen für Journailsten:
Birte Urban-Eicheler
Pressesprecherin CRTD/DFG-Forschungszentrum für Regenerative
Therapien Dresden – Exzellenzcluster an der TU Dresden
Tel.: 0351 458-82065