27.06.2022
Stellungnahme des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e. V. zum Bauprojekt Industriepark Oberelbe (IPO) vom 07. April 2022
Wir geben im Folgenden die Stellungnahme des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e. V. zum Bauprojekt Industriepark Oberelbe (IPO) vom 07. April 2022 im originalen Wortlaut wieder. Diese Resolution steht im Zusammenhang mit der Fachtagung „Historische Gärten und Ihre Umgebung – eine untrennbare Beziehung / Umgebungsschutz für Gartendenkmale“, die vom 15.-17. Juni 2022 im Barockgarten Großsedlitz stattfand.
Der Arbeitskreis Orangerien in Deutschland e. V. ( www.orangeriekultur.de ) wurde 1979 in Potsdam gegründet und stellt sich in ungebrochener Kontinuität, seit 1993 in der
Rechtsform eines gemeinnützigen Vereins, den Aufgaben der wissenschaftlichen
Erforschung, denkmalgerechten Wiederherstellung und sachbezogenen Förderung
historischer Orangerien, ihrer Bauten und Gewächshäuser, ihrer Pflanzenbestände und
zugehörigen Gartenanlagen. Er widmet sich der fachlichen Beratung der Eigentümer,
Nutzer und Fachplaner in den Fragen der Erhaltung, Sanierung und Restaurierung der
baulichen Anlagen sowie der öffentlichen inhaltlichen Vermittlung des einzigartigen
Kulturguts der europäischen Orangeriekultur. In den Jahren 1986, 1997 und 2014
veranstaltete er seine fachspezifischen Jahrestagungen im Barockgarten Großsedlitz. Er
nimmt hier in Ortskenntnis und Sachkunde zur aufgeworfenen Problematik eines
Industrieparks Oberelbe Stellung.
Dem Barockgarten Großsedlitz kommt hinsichtlich seiner Gestaltung als spätbarocke
Gartenanlage, seines hervorragenden Erhaltungszustands, der reichen Ausstattung mit
Orangerien, Skulpturen, Pflanzenelementen und Wasserkünsten, nicht minder seiner
attraktiven landschaftlichen Einbettung in die Kulturlandschaft eine hohe historische,
künstlerische und kulturtouristische Bedeutung von internationalem Rang zu.
Die Entstehung der historischen Gartenanlage von Großsedlitz ist engstens mit der
mitteleuropäischen Idee der Orangerie als dem inszenierten Garten entweder des
Paradieses oder des seit der römischen Antike verheißenen Goldenen Zeitalters
verbunden. Ziel war ein Orangeriegarten von exquisit höfischem Charakter, dessen
harmonische Gestaltung und kostbarer Pflanzenbestand als Abbild göttlicher Inspiration
zur Bereicherung und Aufwertung des menschlichen Lebensraums und der irdischen
Landschaft bestimmt waren.
Die besondere Bedeutung der Orangeriekultur in ihrer Ausprägung durch gärtnerische und bauliche Elemente zeichnete sich in Großsedlitz schon mit dem ersten Projekt von
1720/21 ab, als das damals errichtete Orangerie-Haus eine Dimension erlangte, die selbst das Wohnschloss in den Schatten stellte. Letztlich bestimmend wurde für Großsedlitz allerdings die Vereinigung der Orangerie als einer sommerlichen Gartenanlage mit einer mehrstufigen Terrassenanlage, die sich dort auf einmalige Weise mit dem Blick von der herrschaftlichen Anhöhe in die naturgegebene Talmulde und auf die dort kunstvoll präsentierten Parterres verband. In Großsedlitz wurden Orangerieparterre und Gartenterrasse, die rahmenden Orangeriebauten und Aussichtspunkte auf einzigartige Weise zu einer Einheit aus Orangeriekultur und landschaftlichen Blickbezügen überhöht. Im Ergebnis der Inszenierung sollte und konnte sich hier menschliche Gärtnerkunst als Vollendung der Natur erweisen.
Diese Zielstellungen bildeten denn auch den bestimmenden Gestaltungsansatz für August den Starken, der die Anlage ob ihrer außerordentlichen Potenziale erwarb und 1723/27 zum Musterbeispiel eines Orangerie-Terrassengartens erweitern ließ, dies auch durch den repräsentativen Ausbau der Unteren Orangerie, die nun auf mustergültige Weise die Modellierung der Landschaft durch Kunst und Natur mit dem Erlebnis des erhabenen Ausblicks vereinte. Eine Verbauung der unmittelbaren Nachbarschaft oder Eingriffe in den Umgebungsschutz des Gartens durch architektonische Anlagen welcher Art auch immer, würde eben diese einmalige landschaftliche Einbindung der Großsedlitzer Anlage unwiederbringlich zerstören.
Dem Großsedlitzer Garten kommt unter den mitteleuropäischen Orangerieanlagen die
besondere Auszeichnung hoher Authentizität und Integrität zu. Der heutige
Erhaltungszustand zählt infolge einer Kette glücklicher historischer Ereignisse zu den
besonderen Geschenken europäischer Kulturgeschichte. Sowohl die Tatsache, dass die
barocken Konzeptionen in beispielhaften Teilen ausgeführt wurden, als auch der
Umstand, dass diese trotz mancher Katastrophen und Veränderungen durch
Verantwortungsbewusstsein und kontinuierliche Pflege wesentlich erhalten werden
konnten, machen die Großsedlitzer Anlage zu einem einmaligen Dokument der
europäischen Orangeriekultur. Ihre Authentizität und Integrität würden durch Eingriffe in
den überkommenen Umgriff des Gartens bereits unverantwortliche Schäden nehmen.
Als Orangerie und Terrassengarten bildet der Großsedlitzer Garten auch ein einmaliges
Gesamtkunstwerk, das nur als Teil der Kulturlandschaft erlebbbar ist. Kultur ist im Grunde die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur. Insofern bildet die Großsedlitzer Anlage in ihrer Gesamtheit aus Garten, Orangerie und Landschaft ein geradezu musterhaftes Abbild für ein von Menschenhand gestaltetes Reservat vervollkommneter Natur als Spiegel der Kultur.
Als ein weiteres besonderes Alleinstellungsmerkmal des Barockgartens Großsedlitz unter
den formalen Gärten des 18. Jahrhunderts ist das gestalterische und funktionelle
Zusammenspiel einer außergewöhnlichen Orangeriekultur im Inneren des Gartens mit den eindrucksvollen Blickbeziehungen in die nähere und weitere Umgebung zu werten.
Keine weitere Gartenanlage in Deutschland zeigt sich in eine derart einzigartige und bis
heute kaum beeinträchtigte Landschaft integriert, die nicht nur über mehrere Blickachsen, sondern von höheren Standorten im Garten, auch zwischen den Baumkronen als Panorama visuell hineinwirkt. Sieht man von den mehrgeschossigen Wohnbauten auf dem Sonnenstein ab, dann hat sich hier noch weitgehend intakte Kulturlandschaft erhalten, die bis zum Horizont, vor allem nach Süden und Osten, doch auch in die anderen Himmelsrichtungen durch ihre individuelle topografische Vielgestaltigkeit und eine seit Jahrhunderten agrarisch bestimmte Nutzung charakterisiert ist. Bis heute weist die ausgedehnte Hochfläche oberhalb des Steilhanges zur Elbe den einstigen Charakter ländlicher Abgeschiedenheit auf, geprägt von Feldern, Wiesen und dörflichen Strukturen ungeachtet der unmittelbaren Tangierung durch den Ballungsraum Dresden-Heidenau mit Dohna-Pirna.
Der Barockgarten Großsedlitz steht schließlich auch für eine mustergültige
Gartendenkmalpflege, zu deren verbürgten Bestandteilen die Orangeriekultur, der sehr
hohe Pflegestandard und die ungestörten Blickbeziehungen in das nahezu authentische
landschaftliche Umfeld gehören. Orangeriekultur und Landeskultur sind hier seit der
Entstehungszeit des Gartens in besonderer Weise und vor allem untrennbar miteinander verwoben!
Die geplante Bebauung in Form eines ausgedehnten Gewerbegebietes in direkter
Nachbarschaft zu diesem gartenkünstlerischen Kleinod würde die über Jahrzehnte
zielstrebig und unter Einsatz erheblicher Summen an Steuergeldern unternommenen
Anstrengungen zur Annäherung an das ursprüngliche Erscheinungsbild im Sinne
historischer Authentizität gravierend und nachhaltig beeinträchtigen, ja geradezu
konterkarieren.
Arbeitskreis Orangerien in Deutschland e.V.
Der Vorstand
Prof. Dr. Helmut-Eberhard Paulus
Vorsitzender
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