Dresdner Stahlbaufachtagung 2012 (29.03.2012)
Stahl-und Verbundbau - Bemessung und Konstruktion nach den Eurocodes
Am 29. März fand die nunmehr 6. Dresdner Stahlbaufachtagung im Hörsaalzentrum der Technischen Universität Dresden statt. Der Trend steigender Teilnehmerzahlen konnte auch in diesem Jahr fortgesetzt werden, sodass die Veranstalter, das Institut für Stahl- und Holzbau der Technischen Universität Dresden und die Bauakademie Sachsen, erstmals über 320 Gäste begrüßen durften.
Zum 1. Juli 2012 werden die Eurocodes in Deutschland bauaufsichtlich eingeführt. Aus diesem Grund stand die Stahlbaufachtagung 2012 ganz im Zeichen der Umstellung der nationalen Regelwerke auf die europäische Normung. Neben Beiträgen zur Bemessung von Stahl- und Verbundtragwerken, Schweißnähten und Verbundanschlüssen nach Eurocode, widmeten sich die Referenten auch verschiedenen Wand-, Decken- und Dachsystemen, dem Feuerverzinken tragender Stahlbauteile und der neuen Ausführungsnorm DIN EN 1090. Einen interessanten Abschluss dieser fachlich hochwertigen Tagung bildete die Vorstellung des Terminalgebäudes des neuen Flughafens Berlin-Brandenburg-International.

Hörsaalzentrum der TU Dresden

Volles Auditorium bei der Dresdener Stahlbaufachtagung
Prof. Richard Stroetmann, Direktor des Instituts für Stahl- und Holzbau der TU Dresden , eröffnete die Stahlbaufachtagung und brachte seine Freude über das große Interesse an der Veranstaltung zum Ausdruck. In seinen Grußworten unterstrich der Präsident des Deutschen Stahlbauverbandes DSTV, Herr Dipl.-Ing. Ralf Luther, die Wichtigkeit dieser Fachtagung. Im Anschluss ging er auf den Zeitplan bei der Einführung der DIN-EN-Eurocodes und der Ausführungsnorm DIN EN 1090 ein, erläuterte die Übergangsregelung zur weiteren Anwendung der DIN 18800-7 in Ausnahmefällen bis 2014 und mahnte die zeitnahe Umstellung auf die DIN EN 1090-2 an. Herr Dipl.-Ing. Gregor Nüsse MSc von der Forschungsvereinigung Stahlanwendung e.V., kurz FOSTA, führte fachlich kompetent, sympathisch und eloquent durch das Programm der Fachtagung, das durch ausgezeichnete und namhafte Referenten geprägt war.
Der erste Vortragsblock behandelte vor allem die Bemessung von Stahltragwerken nach DIN EN 1993-1-1 und Zuggliedern nach DIN EN 1993-1-11. Dieses Themengebiet eröffnete wiederum Prof. Richard Stroetmann mit seinem Vortrag zur „Tragwerksbemessung im Hochbau nach DIN EN 1993“. In seinen Ausführungen stellte er Grundlagen zur Tragwerksplanung, neue Regelungen zum Ansatz von Imperfektionen und Hinweise zur Bemessung stabilitätsgefährdeter Tragwerke nach DIN EN 1993 anschaulich dar.

Dipl.-Ing. Ralf Luther

Prof. Dr.-Ing. Richard Stroetmann
Prof. Rolf Kindmann der Fakultät Bau- und Umweltwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum verglich in seinem Vortrag die rechnerische Tragfähigkeit doppeltsymmetrischer I-Querschnitte nach DIN 18800 und DIN EN 1993-1-1 und ging auf Veränderungen in der Nachweisführung ein. Er erläuterte anhand der Ergebnisse von Vergleichsrechnungen, dass die N-M-Interaktionsnachweise nach DIN EN 1993-1-1 teilweise deutlich höhere Ausnutzungen der Querschnitte zulassen und gab Empfehlungen für alternative Nachweisverfahren an.
Dr. Karsten Kathage, Vizepräsident des Deutschen Instituts für Bautechnik DIBt, rundete den Vormittagsblock mit seinen Ausführungen zur „Bemessung und Konstruktion von Zuggliedern nach DIN EN 1993-1-11“ ab. Er stellte die neuen Bemessungsregeln für verschiedene Zugglieder vor und erläuterte, dass auch in diesem Teil des Eurocodes noch Raum für Ergänzungen und Präzisierungen vorhanden ist. So ist zum Beispiel die vollständige Bemessung von Zuggliedern aller Gruppen, insbesondere im Verankerungsbereich, nach DIN EN 1993-1-1 noch nicht vollständig geregelt, sodass hierfür Versuche und bauaufsichtliche Zulassungen erforderlich werden.

Prof. Dr.-Ing. Rolf Kindmann

Dr.-Ing. Karsten Kathage
Den zweiten Komplex zum Thema Verbindungen eröffnete Prof. Thomas Ummenhofer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) . Er referierte über „Schweißnahtverbindungen unter ruhender und nichtruhender Beanspruchung“ und stellte die Nachweisverfahren nach DIN EN 1993-1-8, in der neben Kehl- und Stumpfnähten nunmehr auch Schlitznähte und Lochschweißungen geregelt sind, vor. Neben dem vereinfachten Verfahren zur Ermittlung der Tragfähigkeit von Kehlnähten steht nun auch das richtungsbezogene Verfahren zur Verfügung, bei dem die Schweißnahtspannungen auf die wirksame Kehlnahtfläche bezogen werden. Der höhere Rechenaufwand dieses Verfahrens ermöglicht eine bessere Ausnutzung der Schweißnähte, sofern die Normalspannungen einen bedeutenden Einfluss haben.

Prof. Dr.-Ing. Thomas Ummenhofer

Intensive Diskussionen in den Pausen
Ergänzend zu den Schweißverbindungen sprach Frau Prof. Ulrike Kuhlmann vom Institut für Konstruktion und Entwurf der Universität Stuttgart über „Verbundanschlüsse nach Eurocode“. Dabei ging sie besonders auf die Duktilität und Steifigkeit der Anschlüsse ein. Sie betonte die Bedeutung der Anschlussauslegung auch im Hinblick auf die Forderung nach Robustheit und Schadenstoleranz gemäß DIN EN 1990 und zeigte das damit verbundene zukünftige Entwicklungspotenzial auf.

Prof. Dr.-Ing. Ulrike Kuhlmann

Prof. Dr.-Ing. Markus Feldmann
Nach der Mittagspause standen zunächst „Träger- und Deckensysteme im Stahlverbundbau“ im Vordergrund. Prof. Wolfgang Kurz von der Universität Kaiserslautern hielt ein Plädoyer für den Verbundbau und stellte interessante multifunktionale Deckensysteme vor. Im Zusammenhang mit Fragen der Gebrauchstauglichkeit der Systeme warnte er vor übertriebener Genauigkeit, auch vor dem Hintergrund streuender Betoneigenschaften und Eigenspannungen aus dem Richten und Überhöhen von Stahlträgern.
Zur „Bemessung und Ausführung von Dach- und Wandsystemen“ sprach im Anschluss Dr.-Ing. Ralf Podleschny, Geschäftsführer vom Industrieverband für Bausysteme und Metallleichtbau. Er stellte grundlegende Zusammenhänge zur bauaufsichtlichen und normativen Regelung von Stahltrapezprofilen und Sandwichelementen dar. Darüber hinaus ging er auf konstruktionsspezifische bauphysikalische Aspekte ein und reagierte damit auf die wachsenden Wärmeschutzanforderungen an Gebäuden.

Dipl.-Ing. Gregor Nüsse MSc, Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Kurz

Dr.-Ing. Ralf Podleschny
Im abschließenden Vortragsblock stellte zu Beginn Prof. Markus Feldmann von der RWTH Aachen die DASt-Richtlinie 022 zum Feuerverzinken tragender Stahlbauteile vor. Er erläuterte, wie die Schadensfälle bei feuerverzinkten Stahlbauteilen aus den Jahren 2000 bis 2006 entstanden sind und zukünftig durch die Anwendung der DASt-Richtline 022 vermieden werden. Dabei unterstrich er die Bedeutung der Zusammenarbeit aller am gesamten Fertigungsprozess Beteiligten und lobte die Widerherstellung der Vertrauensbasis gegenüber der Verzinkungsbranche.
Zum Abschluss der 6. Dresdner Stahlbaufachtagung stellte Herr Dipl.-Ing. Thomas Fackler vom Büro schlaich bergermann und partner in Stuttgart das Tragwerk vom Terminalgebäude des neuen Flughafens Berlin-Brandenburg-International vor. Im Mittelpunkt seines interessanten Vortrages standen das statisch ausgefeilte, sowohl in funktionaler als auch ästhetischer Hinsicht überzeugende, Dachtragwerk mit seinen Trapezstegträgern und die transparente Glasfassadenkonstruktion mit ihren Seilbindern.

Dipl.-Ing. Thomas Fackler
Die Stahlbaufachtagung ging mit vielen neuen Erkenntnissen und anregenden Diskussionen zu Ende. In seinem Schlusswort ermutigte Prof. Stroetmann noch einmal alle Teilnehmer, der Einführung der DIN EN Eurocodes mit Offenheit und einer positiven Grundeinstellung anzugehen.
Die Teilnehmer nutzten die Pausen für intensive Fachdiskussionen und informierten sich bei den Ausstellern im Foyer. Zu diesen zählten die Unternehmen Pfeifer Seil- und Hebetechnik , Tekla , IQSoftware, RW Sollinger Hütte und CENO TEC. Die Resonanz der Teilnehmer und Referenten war wie im letzten Jahr sehr positiv und veranlasst die Veranstalter, auch im kommenden Jahr die Dresdner Stahlbaufachtagung mit interessanten Themen durchzuführen.
Dipl.-Ing. Peter Deepe
cand.-Ing. Thomas Faßl
Technische Universität Dresden
Institut für Stahl- und Holzbau