Dresdner Stahlbaufachtagung 2014 (20.03.2014)
Neubau und Bauen im Bestand auf der Grundlage der Europäischen Bemessungs- und Ausführungsnormen
Am 20. März fand im Hörsaalzentrum der Technischen Universität Dresden die 8. Dresdner Stahlbaufachtagung zu dem Thema "Neubau und Bauen im Bestand auf der Grundlage der Europäischen Bemessungs- und Ausführungsnormen" statt. Die etablierte Veranstaltung mit über 270 Teilnehmern wurde, wie in den letzten Jahren, durch das Institut für Stahl- und Holzbau der Technischen Universität Dresden und die Bauakademie Sachsen mit Unterstützung von bauforumstahl, der Ingenieur- und der Architektenkammer Sachsen, dem Verband Beratender Ingenieure (VBI), dem Verlag Ernst & Sohn und der Baukammer Berlin organisiert.
Die Eurocodes für den Stahl- und Verbundbau und deren Nationalen Anhänge sind in den meisten Bundesländern seit dem 1. Juli 2012 und in den Ländern mit Übergangsregelung seit dem 31. Dezember 2013 verbindlich anzuwenden. In der Praxis haben sich inzwischen eine Vielzahl von Detailfragen zur Interpretation der Vorschriften und der richtigen Anwendung ergeben. Parallel dazu erfolgt die Weiterentwicklung der Eurocodes und die Vorbereitung einer Neuauflage, bei der Fehler beseitigt, Regelungslücken geschlossen sowie neue Entwicklungen und Erkenntnisse einfließen werden. Um die Anwender des Normungswerkes zu unterstützen und sie über die Hintergründe und Weiterentwicklungen zu informieren, wurde auch diesem Jahr ein anspruchsvolles Vortragsprogramm zur Europäischen Normung im Stahl- und Verbundbau sowie zum Bauen im Bestand zusammengestellt. Namhafte und in den Fachdisziplinen ausgewiesene Experten referierten über die Themengebiete Windeinwirkungen und deren dynamische Effekte, Querschnittstragfähigkeit unter Berücksichtigung von Teilplastizierungen, Stabilität von Trägern und Stützen und deren Aussteifung, Berechnung und Ausführung geschraubter und geschweißter Verbindungen, Beurteilung und Ertüchtigung von Flussstahlkonstruktionen, Erneuerung und Instandsetzung von Korrosionsschutzsystemen sowie die Planung und Ausführung des Flugzeughangars der Gesellschaften Germania und Air-Berlin in Schönefeld.
Die Eröffnung der Tagung und Begrüßung der Teilnehmer übernahm Prof. Richard Stroetmann, Direktor des Instituts für Stahl- und Holzbau der TU Dresden. Dr. Volker Cornelius, Präsident des Verbandes Beratender Ingenieure, nutzte die Gelegenheit, in seinen Grußworten auch auf die Praxistauglichkeit und Anwenderfreundlichkeit der Eurocodes einzugehen. Dabei stellte er die Aktivitäten des Vereins PraxisRegelnBau e. V. vor, der mit breiter Beteiligung der Verbände, Kammern und Vereinigungen der Ingenieure und der Bauindustrie gegründet wurde. Koordiniert von einem Lenkungsausschuss analysieren sechs Projektgruppen das umfangreiche Vorschriftenwerk, erarbeiten Vorschläge zur Vereinfachung der technischen Regeln, bauen europäische Netzwerke auf und bringen sich in die Projektteams und Arbeitsausschüsse des CEN TC 250 sowie in den Spiegelausschüssen des DIN ein. Beispielhaft stellte Dr. Cornelius Vorschläge zur Vereinfachung der Beulnachweise nach Teil 1-5 des EC 3 „Plattenförmige Bauteile“ vor. Anschließend übernahm Dr. Armin Franke, Vorstand des bauforumstahl e. V. und Leiter der Niederlassung Josef Gartner GmbH in Würzburg, nach einer kurzen Begrüßung die Moderation der Tagung und führte sachkundig durch das Programm.
Die ersten drei Fachvorträge widmeten sich Neuerungen und Erkenntnissen, die in die Weiterentwicklung der Eurocodes einfließen. Prof. Udo Peil, Emeritus der TU Braunschweig, vertiefte in seinem Vortrag die Windlasten und ihre dynamische Wirkung. Dabei ging er auf wesentliche Hintergründe zur DIN EN 1991-1-4 ein und berichtete über neue Entwicklungen auf dem Gebiet des Windingenieurwesens. In seinem sehr anschaulichen und detailreichen Vortrag legte er zunächst dar „was passiert, wenn einem der Wind den Hut vom Kopf reißt“, bevor er die Windlasten auf schwingungsanfällige Gebäude, insbesondere die Themen böeninduzierte Schwingungen, wirbelerregte Querschwingungen und aeroelastische Schwingungen, ausführlich beleuchtete.

Gefülltes Auditorium im Hörsaalzentrum der TU Dresden

Fachgespräche während der Pausen

Prof. Dr.-Ing. Richard Stroetmann und Dr.-Ing. Armin Franke

Dr.-Ing. Volker Cornelius

Prof. Dr.-Ing. Udo Peil

Dr.-techn. Andreas Taras
Prof. Richard Stroetmann von der TU Dresden behandelte im zweiten Vortrag die Stabilisierung biegedrillknickgefährdeter Bauteile und die zugehörigen Nachweise. Dabei ging er ausführlich auf die Nutzung von Schubfeldern und die Drehbettung durch angrenzende Bauteile ein, insbesondere auf die Berechnung der Schubfeldsteifigkeit unter Berücksichtigung der Nachgiebigkeit von Verbindungen. Er stellte ein entwickeltes Näherungsverfahren für die Biegetorsionstheorie II. Ordnung unter Einbeziehung von Stabilisierungseffekten vor und verdeutlichte den Einfluss der Querlasten und Momentenverläufe auf die Höhe und Verteilung von Schubfeld- und Stabilisierungskräften. Das Themengebiet rundete Dr. Andreas Taras von der TU Graz mit seinem Vortrag über neue Entwicklungen zur Querschnittsbemessung und den Stabilitätsnachweisen auf der Grundlage der EN 1993-1-1 ab. Der Vortrag griff drei wesentliche Schritte zur Weiterentwicklung des EC3 Teil 1-1 auf. Dies betrifft zum einen die Schaffung eines kontinuierlichen Übergangs zwischen der plastischen und elastischen Querschnittstragfähigkeit bei Klasse-3-Querschnitten. Zum anderen stellte Dr. Taras wirtschaftlichere und mechanisch konsistente Abminderungskurven für das Biegedrillknicken doppeltsymmetrischer Querschnitte sowie spezifische Bemessungsregeln für den Stabilitätsnachweis von Stäben mit monosymmetrischem Querschnitt vor. Letztere sind bereits Gegenstand des österreichischen Nationalen Anhangs zur EN 1993-1-1.
Nach einer kurzen Kaffeepause wurden im zweiten Vortragsblock die Fachvorträge mit Erläuterungen zur Berechnung und Ausführung geschraubter Verbindungen fortgesetzt. Herr Dipl.-Ing. Stephan Schneider von der TU Dortmund referierte über momententragfähige Verbindungen nach DIN EN 1993-1-8. Nach einführenden Erläuterungen zur wirtschaftlichen Auslegung von Verbindungen ging er auf die Klassifizierung von Anschlüssen in der DIN EN 1993-1-8 nach Beanspruchbarkeit, Rotationssteifigkeit und -kapazität ein. Im weiteren Verlauf erläuterte Herr Schneider die Komponentenmethode, bevor er seinen Vortrag mit einem Ausblick auf die Erweiterung des T-Stummel-Modells auf 4-reihige Anschlüsse beendete. Er resümierte, dass die Komponentenmethode in Verbindung mit dem Federmodell eine realitätsnahe Erfassung der Steifigkeit und Beanspruchbarkeit von Anschlüssen erlaubt. Dipl.-Ing. Jörg Korth von der IMO Leipzig GmbH rundete den Vormittag mit seinem Vortrag über die Ausführung geschraubter Verbindungen nach DIN EN 1090-2 und DIN EN 1993-1-8 (einschließlich NA) ab. Dabei ging er auf die Unterschiede zu den bisherigen Regeln in der DIN 18800 ein und erläuterte die Neuerungen an zahlreichen praktischen Beispielen. Ein Schwerpunkt war das Vorspannen der verschiedenen Kategorien von Schraubenverbindungen und die hierfür zugelassenen Verfahren.

Dipl.-Ing. Stephan Schneider

Dipl.-Ing. Jörg Korth

Prof. Dr.-Ing. Michael Volz

Dr. rer.-nat. Andreas Schütz

Dipl.-Ing. Frank Soppa
Den Nachmittagsblock der Fachtagung eröffnete Prof. Michael Volz von der Hochschule Offenburg. Seine Ausführungen umfassten die Bemessung und Qualitätssicherung von Schweißverbindungen. Nach der Darstellung der Bemessungsregeln für Kehl- und Stumpfnähte mit dem vereinfachten und dem richtungsbezogenen Bemessungsverfahren ging Prof. Volz insbesondere auf die Ausführung und Qualitätssicherung der Schweißverbindungen ein. Themen waren die Ausführungsklassen, die Qualifizierung der Betriebe und Schweißer, Qualitätsanforderungen und Abnahmekriterien, die geeignete Kontrolle der Schweißverbindungen und deren Dokumentation. Herr Dipl.-Ing. Lars Sieber vom Institut für Stahl- und Holzbau der TU Dresden referierte im nachfolgenden Vortrag über die Modernisierung und Instandsetzung von Stahltragwerken aus Flussstählen. Einleitend stellte er die in Deutschland überwiegend verwendeten Sorten alter Flussstähle (Thomas- und Siemens-Martin-Stahl) vor und erläuterte dabei die herstellungsbedingten Eigenschaften dieser Stähle. Darauf aufbauend zeigte er geeignete Methoden zur Analyse dieser Materialien und eine sachgerechte Instandsetzung alter Stahlkonstruktionen vor. Neben der Sanierung von typischen Korrosionsschäden ging Herr Sieber auch mit zwei ausgeführten Beispielen auf die Schweißeignung alter Stähle ein.
Zwischen den Vortragsblöcken nutzten die Teilnehmer die Gelegenheit, über die besprochenen Themen im kleineren Kreis zu diskutieren. Die Fachdiskussionen wurden dabei mit Kaffee, Kuchen und Getränken abgerundet. Dr. Andreas Schütz von der Corroconsult GmbH in Hamburg sprach im anschließenden Vortrag über die Erneuerung und Instandsetzung des Korrosionsschutzes durch Beschichtungssysteme. Hierzu legte er anhand verschiedener Beispiele zunächst dar, ab wann ein Schaden bzw. ein Mangel einer Sanierung bedarf. Im Instandsetzungsfall ist zwischen Ausbesserung, Teilerneuerung und Vollerneuerung zu unterscheiden. Er wies darauf hin, dass die Oberflächenvorbereitung entscheidend für den Erfolg einer Instandsetzungsmaßnahme ist. Zudem muss bei einer Teilerneuerung des Korrosionsschutzes die Verträglichkeit zur Altbeschichtung beachtet werden. Im abschließenden Fachvortrag referierte Dipl.-Ing. Frank Soppa von der GOLDBECK Ost GmbH über die Planung und Ausführung eines Flugzeughangars beim Flughafen Berlin-Schönefeld. Er versprach gleich zu Beginn seines Vortrages am Schluss zu verraten, was man mit einem Hangar macht, wenn der dazugehörige Flughafen nicht fertig werden will. Zuvor erläuterte er die besonderen Herausforderungen bei der Konstruktion, Fertigung und Montage des imposanten, über 150 m weit spannenden Dachtragwerks, den großflächigen Wänden und der Toranlage. Interessant war auch die Lösung zur aktiven Brandbekämpfung mit Wasserkanonen, die von einer Druckrohrleitung entlang der Rück- und Seitenwände des Hangars gespeist werden.
Neben den Vorträgen bot die Tagung den Teilnehmern die Möglichkeit zu Fachgesprächen und dem persönlichen Austausch. Hersteller und Dienstleister präsentierten im Foyer des Hörsaalzentrums ihre Produkte und Leistungen. Die Resonanz der Teilnehmer und Referenten war durchweg sehr positiv. Dies motiviert die Veranstalter, auch im kommenden Jahr die Dresdner Stahlbaufachtagung mit Themen zur Normung, Berechnung und Ausführung rund um den Stahlbau fortzusetzen.
Dipl.-Ing. Lars Werner
Technische Universität Dresden
Institut für Stahl- und Holzbau