24.07.2024
Neue Einblicke in die Gletscherdynamik Grönlands dank Deep Learning
Von 1992 bis 2020 hat der grönländische Eisschild 4892±457 Gigatonnen an Eismasse verloren, wodurch der globale Meeresspiegel um 21±2 mm gestiegen ist. Modelle deuten darauf hin, dass sich dieses Ungleichgewicht bei der Erwärmung des Klimas fortsetzen wird. Die Massenbilanz wird dabei maßgeblich von den Auslassgletschern beeinflusst, über die die Eismassen in den Ozean abfließen. Ein Schlüsselparameter für die Untersuchung der Mechanismen dieser Gletscher ist die Variation ihrer Kalbungsfront.
Die Kartierung der Frontpositionen und ihrer zeitlichen Veränderungen trägt wesentlich zum Verständnis der Gletscher und damit zu einer zuverlässigeren Modellierung bei. Umfassende Datensätze zu Gletscherfrontpositionen und ihren zeitlichen Veränderungen sind daher nicht nur für glaziologische Untersuchungen unerlässlich, sondern tragen auch wesentlich zu einer zuverlässigeren Modellierung und damit genaueren Simulation zukünftiger Massenverluste und Meeresspiegelbeiträge bei. Aufgrund der bisher notwendigen manuellen Kartierung, ein sehr mühsamer und zeitaufwändiger Prozess, sind derzeitige Datensätze jedoch in ihrer zeitlichen Auflösung begrenzt.
KI für die automatische Kartierung von Gletscherfrontlagen
Für die automatisierte Frontlagenkartierung wenden wir Methoden der künstlichen Intelligenz, speziell des Deep Learnings, auf optische Satellitenbilddaten an. Dazu verwenden wir ein künstliches neuronales Netzwerk, das eine semantische Bildsegmentierung auf Basis multispektraler Satellitendaten durchführt und anschließend die Gletscherfront extrahiert. Die Qualität der KI-gestützten Kartierung ist mit der manuellen Kartierung vergleichbar. Die voll automatisierte Arbeitsweise ermöglicht uns, umfangreiche Datensätze flächendeckend für alle wichtigen Ausflussgletscher Grönlands bereitzustellen.
Langzeitliche, saisonale und sub-saisonale Veränderungen der Gletscherfrontposition
Das resultierende Datenprodukt umfasst 9242 Gletscherfronten über 23 grönländische Gletscher. Während sich langzeitliche Veränderungen mit Hilfe bereits verfügbarer Datenprodukte leicht auflösen lassen, bietet unsere Zeitreihe einzigartige Möglichkeiten zur Analyse saisonaler und subsaisonaler Frontlagenveränderungen. Je nach Wolkenbedeckung und Jahreszeit hat unser Datensatz für einzelne Gletscher bis zu sechs Einträge pro Woche. Die Abbildung zeigt als Beispiel eine solche Zeitreihe für den Jakobshavn Isbræ (Westgrönland), der hier in einen nördlichen und einen südlichen Zweig unterteilt ist. Die abgeleitete Variation der Kalbungsfront zeigt ein ausgeprägtes jährliches Muster, welches sub-saisonalen Fluktuationen überlagert wird.
Die Fähigkeit, diese sub-saisonale Schwankungen der Kalbungsfront automatisch aufzulösen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem räumlich umfassenden grönlandweiten Beobachtungssystemes. In Verbindung mit weiteren Komponenten, z.B. zur Fließgeschwindigkeit des Eises, zu Höhenänderungen der Eisoberfläche, zur Reaktion der festen Erde und zu hydrologischen Prozessen, eröffnen sich neue Möglichkeiten zur ganzheitlichen Analyse, Modellierung und Simulation der dynamischen Veränderungen des Eisschildes.
Interessiert an Details?
Weitere Informationen finden Sich im Fachartikel "Calving front monitoring at a subseasonal resolution: a deep learning application for Greenland glaciers".
Dieser wurde kürzlich unter Federführung von Erik Loebel in der Fachzeitschrift "The Cryosphere" veröffentlicht.
Loebel, E., Scheinert, M., Horwath, M., Humbert, A., Sohn, J., Heidler, K., Liebezeit, C., and Zhu, X. X.: Calving front monitoring at a subseasonal resolution: a deep learning application for Greenland glaciers, The Cryosphere, 18, 3315–3332, https://doi.org/10.5194/tc-18-3315-2024, 2024.
Diese Forschung ist eine Zusammenarbeit mit Partnern des Alfred-Wegener-Instituts, des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung und der Technischen Universität München, Chair of Data Science in Earth Observation. Finanziell wurde diese Studie wurde von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren im Rahmen des Helmholtz Inkubator Information & Data Science Pilotprojekts "Artificial Intelligence for Cold Regions" (AI-CORE) und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Projekt "Greenland Ice Sheet/Ocean Interaction" (GROCE2) unterstützt.
wiss. Mitarbeiter
NameErik Loebel M.Sc.
Eine verschlüsselte E-Mail über das SecureMail-Portal versenden (nur für TUD-externe Personen).