24.10.2017; Vortrag
Ringvorlesung: Machtvolle Sprache(n). Perspektiven auf sprachliche Bildung in Schule und AusbildungSymbolic power durch Literatur
01069 Dresden
ABSTRACT
Der auf den Soziologen Pierre Bourdieu zurückgehende Begriff „symbolic power“ steht für ein Verständnis von Sprache und Kommunikation, das diese als eingelassen in und durchdrungen von Machtbeziehungen sieht: Sprechend hierarchisieren und positionieren wir uns und andere; etablieren wir Deutungen und erzwingen Umdeutungen; initiieren wir Diskurse und Gegendiskurse; ziehen wir Grenzen des Sagbaren und stellen diese in Frage; perspektivieren und konstruieren wir Realität. Die Relevanz dieser Überlegungen für die Fremd- und Zweitsprachendidaktik liegt auf der Hand, will diese doch Konzepte für einen Unterricht entwickeln, der die Lernenden zu effektiver Kommunikation – also zu machtvollem Sprechen – und auf diesem Wege zur Teilhabe befähigt. Im Kontext der heute dominierenden kommunikativen Didaktik meint dies in erster Linie, seine Meinung klar äußern, verständlich Stellung beziehen, sich mit einer Position identifizieren und diese authentisch artikulieren zu können, mit anderen Worten: sagen zu können, was man meint. Symbolic power funktioniert anders. Sie entsteht durch ein Spiel der Indirektheiten: durch Framing und Reframing, durch Sagen und Nicht-Sagen, durch Perspektivierung, Anspielung und Ironisierung – mit anderen Worten: durch ein Spiel mit der Form. „Letzten Endes kann Sinn nur durch die Form konstruiert und vermittelt werden“, schreibt Claire Kramsch. Und sie fährt fort: „Genau dies hat uns die Literatur schon immer gelehrt“ (Kramsch 2011). Sie zeigt uns, dass die Form die Bedingung von Sinnbildung ist und ihre Beachtung eine Bedingung für machtvolles Sprechen. Symbolic power entsteht dabei weder durch die bloße Reproduktion der vorhandenen Formen noch durch deren Ignorieren, sondern durch ihre ebenso bewusste wie kreative Aneignung; also durch den Erwerb beziehungsweise den Ausbau der Fähigkeit, sie wahrzunehmen, zu reflektieren, zu ironisieren, zu verändern, mit ihnen zu spielen und ihre Lücken und Brüche auszunutzen, um daraus neue Formen zu kreieren. Ansätze wie das von Gerlind Belke entwickelte Generative Schreiben setzen diese Einsichten für den DaF/DaZ-Unterricht bereits um. Sie sollten weiterentwickelt werden zur Leitvorstellung eines Unterrichts, der Lernende nicht nur zur Teilhabe, sondern zur kreativ-poetischen Mitgestaltung ermutigen und befähigen will.
Literatur
Bordieu, Pierre (1990): Was heißt Sprechen? Die Ökonomie des sprachlichen Tausches. Wien: Braumüller.
Kramsch, Claire (2011): Symbolische Kompetenz durch literarische Texte. In: Fremdsprache Deutsch 44, 35-40.
Moderation: Dr. Claudia Oechel-Metzner (TU Dresden)