09.01.2018; Vortrag
Ringvorlesung: Machtvolle Sprache(n). Perspektiven auf sprachliche Bildung in Schule und AusbildungAnsätze und Methoden für eine kritisch-sprachbewusste Unterrichtspraxis in den naturwissenschaftlichen Fächern
01069 Dresden
ABSTRACT
Das Thema der sprachlichen Bildung ist zu einem festen Bestandteil des fachunterrichtlichen Bildungsdiskurses geworden. Mit entsprechenden Professionalisierungsangeboten für Lehrkräfte sowie Adaptionen der Curricula der Lehramtsstudien wird versucht, der neuen fachunterrichtlichen Aufgabe der Sprachbildung gerecht zu werden. Ein bildungssprachförderlicher Fachunterricht gilt gewissermaßen als zeitgemäßer, sich den gesellschaftlichen Änderungen nicht verschließender Unterricht. Die Ansätze und Methoden speisen sich dabei insbesondere aus den Bereichen DaF und DaZ: Die Vermittlung (deutsch-)sprachlicher Kompetenzen steht im Vordergrund, der Hintergrund ist ein kompensatorischer, nämlich auch jenen Schüler*innen sogenannte bildungssprachliche Kompetenzen zu vermitteln, die diese nicht von zu Hause mitbringen. Lehrkräfte, die diesen Ansätzen skeptisch gegenüberstehen, versucht man mit unterschiedlichsten Argumenten zu überzeugen, wie etwa, dass nur dann Schüler*innen eine Chance auf Bildung haben, wenn auch diese Lehrkräfte sich der allgemeinen Aufgabe Sprachbildung anschließen. Naturwissenschaftslehrkräfte gelten in dieser Hinsicht als besonders schwer überzeugbar. Es ist anzunehmen, dass ein Unterricht, welcher die Unterrichtssprache selbst als Unterrichtsgegenstand erkennt und dies in der pädagogischen Praxis berücksichtigt, gewinnbringender ist als ein Unterricht, der dies ignoriert. Jedoch: Sind die Disparitäten in der naturwissenschaftlichen Bildung tatsächlich und vorrangig auf eine nicht ausreichende Sprachbildung im Fachunterricht zurückzuführen? Kann die Sprachbildung im naturwissenschaftlichen Fachunterricht jenen Erfolg – nämlich eine wesentliche Verringerung der Bildungsungleichheit - liefern, mit dem sie propagiert wird? Im Vortrag wird die These vertreten, dass die Dramatisierung der Einstellungen und Kompetenzen der einzelnen Lehrkräfte in Bezug auf Sprachbildung eine Reduktion der Problematik der Bildungsbeteiligung auf ihre pädagogische Dimension darstellt, wodurch andere Zusammenhänge ausgeblendet werden. Ist Bildungssprache ein Bildungsziel, so wird damit ein neuer sprachlicher Standard gesetzt, der bei genauerer Betrachtung eine Legitimationsgrundlage für sprachliche Selektionsprozesse darstellen kann. Eine Erforschung anderer fachunterrichtsbezogenen Ursachen ungleicher Bildungschancen, die für den Fachunterricht bislang konstitutiv waren, stellen daher Desiderate der Forschung dar. Mit dem Konzept der kritisch-reflexiven Sprachbewusstheit im Kontext von Fachunterricht (Tajmel 2017, 247f) soll ein Ansatz geboten werden, der das Verhältnis von Sprache und Fachunterricht in einen breiteren Zusammenhang setzt. Beispiele für sich daraus ableitende Handlungsmaximen für die Unterrichtspraxis sowie Konsequenzen für die Professionalisierung von Lehrkräften werden im Vortrag vorgestellt und diskutiert.
Literatur
Tajmel, T. (2017): Naturwissenschaftliche Bildung in der Migrationsgesellschaft. Grundzüge einer Reflexiven Physikdidaktik und kritisch-sprachbewussten Praxis. Springer VS, Wiesbaden.
Moderation: Dr. Hannes Schweiger (Universität Wien)