Was ist 'Bildungstechnologie'?
Hartmut Simmert
Zum Begriff "Bildungstechnologie":
Wie im Bereich wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Begriffen in der Sozialforschung (leider) üblich, so gibt es auch auch im Bereich von Bildung und Erziehung kaum einheitliche Definitionen und Begriffsverständnisse. So ergeht es auch der "Bildungstechnologie". Wird dieser Begriff in der akademischen Konversation und Kommunikation verwendet, belässt man es daher üblicherweise bei einem "ungefähren Verständnis" oder man erläutert sein eigenes Begriffsverständnis.
Hier meine Annäherung an den Begriff, der zugleich einem Selbstverständnis dient. Schauen wir zunächst in die Literatur. Eine taugliche Auseinandersetzung mit dem Begriff finde ich bei Ludwig Issing ("Entwicklungen und Tendenzen der Bildungstechnologie - Dokumentation einer Tagung des Fachverbandes Medien und Technik im Bildungsbereich". - Hrsg. J. Hüther und G. Lohoff, Expert Verlag, Ehningen bei Böblingen, 1989.- Reihe Medien, Technik, Bildung - Band 5; ISBN 3-8169-0480-7) in der Einleitung zu seinem Vortrag "Bildungstechnologie in Theorie und Praxis" (Kapitel 1: Begriffsbestimmung und Entwicklungsgeschichte, S. 2). Der Begriff wurde in der Zeit des sog. "Programmierten Unterrichts" aus den USA (educational bzw. instructional technology) übernommen und bezieht sich auf Verfahren zur Planung, Entwicklung, Evaluierung und Realisierung von Lehr- und Lernprozessen unter Verwendung von Lernprogrammen.
Wir erinnern uns: Nach behavioristischem Ansatz gestaltete Lernprogramme waren in der Zeit des Programmierten Unterrichts zentraler Gegenstand der Forschung und Entwiklung. Diese Programme wurden auf Papier in Buch- oder Broschürenform, aber auch auf speziellen Lehrgeräten angeboten, wobei die Lerninhalte analog, aber die Steuerung schon digital erfolgte. Mit der Einführung der Kleincomputer und PC´s überführte man das Konzept in eine reine Digitalform.
Zu meinem heutigen Begriffsverständnis:
Den Begriff ist eine Begriffskombination aus "Bildung" und Technologie". In der deutschen Sprache steht bei Begriffskombinationen der Hauptbegriff an Ende, vorangestellt werden eingrenzende oder orientierende Zusatzbegriffe. Hauptbegriff ist daher eine "Technologie", die auf den Bereich der Bildung orientiert oder eingrenzt.
Der prozessorientierte Begriff "Technologie" macht Aussagen über die Anwendung von verfügbaren Techniken und Verfahren. Im griechischen Original stecken das "Techne" (Fähigkeit, Handwerk, Technik) und "Logos" (die Lehre von) drin. Bildungstechnologie verstehe ich im engeren Sinne daher als "Lehre von der Anwendung von verfügbaren Techniken und Verfahren in Bildungsprozessen". Wenn man dieser Begriffsbildung folgt, steht man allerdings bei den Verfahren in Kollision mit dem Begriff "Didaktik", der schon lange nicht mehr nur die "Lehre vom Unterricht" bezeichnet, sondern ebenfalls den Prozesscharakter der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen trägt. Und die entsprechenden Verfahren sind im Wesentlichen das, was wir in der Didaktik als Lehrmethoden (z. B. nach Erkenntniswegstrukturen) bezeichnen. Und sieht man als Technik den Einsatz von Geräten (der Computer wäre für mich ein Gerät) meint man damit nicht nur die Gerätschaften, die unmittelbar für Lehr- und Lernsituationen entwickelt wurden (z. B. spezielle Lerncomputer) , sondern die Gesamtheit aller technischen Artefakte, die in diesen Situationen durch ihren Gebrauch eine didaktische Funktion übernehmen können.
Auf Grund seiner Unklarheit und Unschärfe verwende ich selbst den Begriff "Bildungstechnologie" nicht. Der Ursprung des Begriffs Technologie bezieht sich ja auf die Lehre von der Gewinnung, Bearbeitung, Herstellung oder Verteilung von Waren und Dienstleistungen (mithilfe der verfügbaren Techniken), das kann man m. E. nicht einfach auf Bildung (als sozialen Prozess) übertragen. Es kann falsche Vorstellungen erzeugen in Richtung: Es gibt Technologien, mit deren Hilfe man Bildung erlangen kann (der "Nürnberger Trichter" wäre demnach eine Bildungstechnologie). Das moderne Bildungsverständnis geht aber deutlich über die Aneignung von Kenntnissen oder Fähigkeiten hinaus. Darum sprechen wir heute viel konkreter von "Informations- und Kommunikationstechnologien" und präzisieren deren Anwendungsfelder.
Und wie kam die "Professur für Bildungstechnologie" an der TU Dresden zu dieser Bezeichnung?
Mit der Neustrukturierung der Universitäten, Hoch- und Fachschulen im Beitrittsgebiet wurden nach 1990 auch viele Professuren neu ausgerichtet. Im Rahmen der Neugründung der Fakultäten wurde auch die Sektion Berufspädagogik, nach 1990 "Abteilung für Berufspädagogik" der TU Dresden neu strukturiert. In der 1993 zu gründenden Fakultät für Erziehungswissenschaften sollte es im Bereich der berufspädagogik auch eine Professur mit dem Schwerpunkt computergestützten Lehrens und Lernens geben. Eine Professur für "Mediendidaktik" wurde diskutiert, war aber nicht vorgesehen, da es eine vergleichbare Professur an anderen Hochschulen nicht gab. Dagegen folgte man dem Vorschlag von Prof. Helmar Frank (Paderborn), die Chance der Neugestaltung zu nutzen und auch im Osten eine Professur für Bildungstechnologie einzurichten. Die personellen und technischen Voraussetzungen dafür waren gegeben. Somit steht die Bildungstechnologie an der TU Dresden in der Tradition des vormaligen "Forschungszentrums für technische Lehr- und Lernmittel", das im Wesentlichen ab Ende der 60er Jahre bis 1990 Forschung auf dem Gebiet des geräte- und programmgestützten Lehrens und Lernens betrieb. Dessen letzter Direktor, Prof. Dr. Wolfgang Ihbe, konnte erfolgreich die Professur besetzen und leitete diese bis zu seiner Emeritierung 2004. Die Nachfolge trat Prof. Dr. Thomas Köhler an. Unabhängig vom Begriff hatten dadurch die Studierenden des Lehramts an berufsbildenden Schulen in Dresden schon seit 1990 anwendungsorientierte Lehrveranstaltungen im Bereich der "Digitalisierung".
Hartmut Simmert
Bakkalaureatsarbeit zum Thema: „Überblick zur historischen Entwicklung von computerunterstützten Lehr- und Lernsystemen"
Die komplette Arbeit ist hier nachzulesen.