Professor Dr. Carsten Heinze - Forschungsschwerpunkte
Inhaltsverzeichnis
- Pädagogisch-anthropologische Modelle der Subjektbildung, korrespondierende Praktiken der Subjektivierung und institutionelle sowie gesellschaftliche Rahmungen
- Konstitutionsbedingungen pädagogischen Wissens – Wissensordnungen und deren Pädagogisierung
- Wissenschaftsgeschichte der Erziehungswissenschaft
Pädagogisch-anthropologische Modelle der Subjektbildung, korrespondierende Praktiken der Subjektivierung und institutionelle sowie gesellschaftliche Rahmungen
Im Zentrum dieses Schwerpunktes stehen Untersuchungen zu dem Themenbereich Kindheit zwischen Anerkennung, Verletzlichkeit und Gewalt. Dabei richtet sich das Forschungsinteresse auf die anthropologische Bestimmung und die gesellschaftliche Konstruktion des Kindes im Spannungsfeld von Vulnerabilität und Handlungsfähigkeit (‚agency‘) sowie die damit verbundenen Fragen nach den erziehungs- und bildungstheoretischen Konsequenzen dieser Diskurse.
Bearbeitet wird die Thematik zum einen auf einer grundlagentheoretischen Ebene, indem die Verletzlichkeit als anthropologische Voraussetzung und gesellschaftlich konstituierte Bedingung pädagogischen Handelns betrachtet wird (vgl. Heinze 2016a, 2017). Forschungsbedarf besteht hier insbesondere hinsichtlich der Systematisierung des begrifflichen Instrumentariums sowie der Klärung erziehungs- und bildungstheoretischer Anschlüsse.
Zum anderen liegt ein Arbeitsschwerpunkt auf der diskursanalytischen Rekonstruktion erziehungstheoretischer und erziehungspraktischer Argumentationsmuster zur Legitimation gewaltförmiger Praktiken gegenüber Kindern und Jugendlichen auf der Grundlage eines Gewaltverständnisses, mit dem die Handlungslogik der Gewalt als Instrumentalisierung der Verletzlichkeit des Kindes gedeutet wird (vgl. ebd.). Zugleich wird die Frage verfolgt, inwieweit sich die jeweiligen pädagogischen Handlungsformen als eine Pädagogisierung von Gewalt interpretieren lassen.
Ausgewählte Publikationen
- Heinze, C. (2012): The discursive construction and (ab)uses of a “German childhood” in primers during the time of national socialism 1933-1945. In: Paedagogica Historica, Jg. 48, S. 169-183, https://doi.org/10.1080/00309230.2011.644857
- Heinze, C. (2016a): Die Pädagogisierung der Gewalt und die Verletzlichkeit des Kindes. In: Heinze, C./Witte, E./Rieger-Ladich, M. (Hg.): „... was den Menschen antreibt …“. Studien zu Subjektbildung, Regierungspraktiken und Pädagogisierungsformen. Oberhausen: Athena, S. 163–187, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-160997
- Heinze, C. (2016b): Die Ästhetisierung der Gewalt in der Pädagogik des Nationalsozialismus. In: Bilstein, J./Ecarius, J./Stenger, U./Ricken, N. (Hg.): Bildung und Gewalt. Wiesbaden: Springer VS, S. 213–232, url: http://www.springer.com/cda/content/document/cda_downloaddocument/Bilstein_Bildung_und_Gewalt_Korrektur_Beitrag_Heinze.pdf?SGWID=0-0-45-1538573-p177732252
- Heinze, C. (2017): Verletzlichkeit und Teilhabe. In: Miethe, I./Tervooren, A./Ricken, N. (Hg.): Bildung und Teilhabe. Zwischen Inklusionsforderung und Exklusionsdrohung. Wiesbaden: Springer VS, S. 47–63, https://doi.org/10.1007/978-3-658-13771-7_3
- Heinze, C./Heinze, K. (2013): Corporal Punishment as a Means of Education? Patterns of Interpretation in the German Educational Discourse in the First Half of the 19th Century. In: Historia Social y de la Educatión – Social and Education History, Jg. 2, S. 44–77, url: https://hipatiapress.com/hpjournals/index.php/hse/article/download/505/pdf
- Heinze, C. / Straube-Heinze, K. (2019): Körperstrafen als Erziehungsmittel? Deutungsmuster im deutschen pädagogischen Diskurs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (übersetzte und überarbeitete Version des Beitrags „Corporal Punishment as a Means of Education? Patterns of Interpretation in the German Educational Discourse in the First Half of the 19th Century“, in: Historia Social y de la Educatión – Social and Education History, Jg. 2 (2013), S. 44-77), 2019, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-165667
- Heinze, C./Witte, E./Rieger-Ladich, M. (Hg.) (2016): „... was den Menschen antreibt …“. Studien zu Subjektbildung, Regierungspraktiken und Pädagogisierungsformen. Oberhausen: Athena.
- Pädagogisierung der Verletzlichkeit – Historiografische Perspektiven. In: Historia scholastica, Jg. 9 (2023), S. 257-275, https://doi.org/10.15240/tul/006/2023-2-011
Konstitutionsbedingungen pädagogischen Wissens – Wissensordnungen und deren Pädagogisierung
Die Pädagogisierung von Wissensordnungen wird insbesondere im Bereich des schulischen Vermittlungs- und Aneignungsprozesses in verschiedenen historischen Zeiträumen untersucht, auf der Grundlage eines methodischen Zugangs, mit dem eine angemessene Analyse des pädagogischen Transformations- und Elementarisierungsprozesses soziokulturellen Wissens unter der Berücksichtigung des jeweiligen komplexen historischen kontextuellen Gefüges möglich ist (vgl. Heinze 2011b, 2013).
In diesem methodischen Ansatz erfolgt eine systematische Ausdifferenzierung des Konzepts der „Grammar of Schooling“ (Tyack/Tobin) und zugleich ein Rückgriff auf die pädagogische Innovations- und Diskursforschung (vgl. u.a. Heinze 2010, 2011a, 2014; Heinze/Heinze 2014). Ein weiteres wesentliches Element stellt das Forschungskonzept des pädagogischen Moratoriums dar, mit dem die pädagogische Konzeptualisierung der verschiedenen Lebensalter und deren Verhältnisbestimmung erfasst werden kann. Ein Schwerpunkt in diesem Bereich liegt u.a. in der Rekonstruktion der Ideologisierung des Lesenlernens in der Zeit des Nationalsozialismus.
Ausgewählte Publikationen
- Heinze, C. (2010): Historical Textbook Research: Textbooks in the Context of the “Grammar of Schooling”. In: Journal of Educational Media, Memory, and Society, Jg. 2, S. 122-131, https://doi.org/10.3167/jemms.2010.020209
- Heinze, C. (2011a): Historische Schulbuch- und Innovationsforschung – theoretische und methodische Überlegungen. In: Ders.: Das Schulbuch im Innovationsprozess. Bildungspolitische Steuerung – Pädagogischer Anspruch – Unterrichtspraktische Wirkungserwartungen. Bad Heilbrunn, S. 15–54.
- Heinze, C. (2011b): Das Schulbuch im Innovationsprozess. Bildungspolitische Steuerung – Pädagogischer Anspruch – Unterrichtspraktische Wirkungserwartungen. Bad Heilbrunn.
- Heinze, C. (2013): Nützliches Wissen, Untertanengeist und Gottesfurcht. Zur Konstruktion von Kindheit in preußischen Volksschullesebüchern. In: Winzen, M. (Hg.): Kindheit. Eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Oberhausen, S. 173–194.
- Heinze, C. (2014): On the Paedagogisation of Knowledge Orders. Discourse-Analytical Approaches and Innovation-Theoretical Perspectives. In: Knecht, P./Matthes, E./Schütze, S./Aamotsbakken, B. (Hg.): Methodologie und Methoden der Schulbuch- und Lehrmittelforschung. Methodology and Methods of Research on Textbooks and Educational Media. Bad Heilbrunn, S. 74–84.
- Heinze, K./Heinze, C. (2014): The Educational Conceptualisation of the "Ethnic Community (Volksgemeinschaft)" in National Socialist Primers by the Example of Presentations of Adolf Hitler – Methodical Prospects. In: History of Education & Children’s Literature, Jg. IX, 2, S. 185–200, https://doi.org/10.1400/226957
- Heinze, C./Straube-Heinze, K. (2017): Heroism and “Volksgemeinschaft” (ethnic community) in National Socialist education 1933–1945. In: Paedagogica Historica: International Journal of the History of Education, Jg. 53 (2017), 1–2, S. 115–136, https://doi.org/10.1080/00309230.2016.1229351
- Straube-Heinze, K./Heinze, C. (2021): Lesen lernen im Nationalsozialismus. Theoriekonzepte – Kindheitsbilder – Bildungspolitik. Bielefeld: transcript.
Wissenschaftsgeschichte der Erziehungswissenschaft
In den wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchungen wird ein methodischer Ansatz verfolgt, mit dem es möglich ist, der Mehrdimensionalität der Wissenschaftsgeschichte der Erziehungswissenschaft als Disziplingeschichte, Institutionengeschichte und Theoriegeschichte gerecht zu werden. Die jeweilige historische Konfiguration der Erziehungswissenschaft lässt sich nur unter Beachtung der wechselseitigen Einflüsse zwischen der sozialen Struktur (Personenkorpus), der Kommunikationsstruktur (Publikation, informelle Kommunikation), der institutionellen Struktur („Ort“ der Wissenschaft) und der epistemologischen Struktur (Begriffe, Theorien, Wissensnetze) rekonstruieren (vgl. Heinze i.V.).
In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Studien zur Wissenschaftsgeschichte der Erziehungswissenschaft vorgelegt, insbesondere für die Zeit des Nationalsozialismus (vgl. Heinze 2001, 2005, 2017; Heinze/Horn 2011), zur Konstitution der Pädagogik als Wissenschaft im 19. Jahrhundert (vgl. Heinze 2003; Matthes/Heinze 2003) sowie zur Auseinandersetzung zwischen den Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Paradigmen der Erziehungswissenschaft in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts (vgl. Heinze 2004).
In der Fortführung dieser Studien ist es vorgesehen, in Bezug auf die Wissenschaftsgeschichte der Erziehungswissenschaft im Nationalsozialismus die beginnenden Versuche zur Etablierung und Professionalisierung von Teildisziplinen in den Blick zu nehmen, um so die Wissenschaftsgeschichte jenseits der personenbezogenen Untersuchung der zentralen Vertreter einer nationalsozialistischen Pädagogik im nationalsozialistischen Wissenschaftssystem erfassen zu können.
Ausgewählte Publikationen
- Heinze, C. (2001): Die Pädagogik an der Universität Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
- Heinze, C. (2003): Die herbartianische Reform der Lehrerbildung als Neubestimmung des Verhältnisses zwischen der „subjektiven Verfassung der lehrenden Persönlichkeit“ und dem „objektiven Lehrverfahren“ – die Positionen von Tuiskon Ziller. In: Coriand, R. (Hg.): Herbartianische Konzepte der Lehrerbildung. Geschichte oder Herausforderung? Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2003, S. 65–78.
- Heinze, C. (2004): Anstelle von Mündigkeit findet man da einen existentialontologisch verbrämten Begriff von Autorität...“ – Der Autoritätsbegriff der geisteswissenschaftlichen Pädagogik in der erziehungswissenschaftlichen Kritik Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre. In: Liedtke, M./Matthes, E./Miller-Kipp, G. (Hg.): Erfolg oder Misserfolg? Urteile und Bilanzen in der Historiographie der Erziehung, Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 293-309.
- Heinze, C. (2005): Die Pädagogik an der Universität Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945 – Zur regionalen „Verfallsgeschichte“ einer Wissenschaftsdisziplin. In: Hehl, U. v. (Hg.): Sachsens Landesuniversität in Monarchie, Republik und Diktatur Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des Landes Sachsen 1952. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, S. 385–409.
- Heinze, C. (2017): Ganzheitspsychologie und politische Pädagogik – Die nationalsozialistische Instrumentalisierung des Konzepts der ‚Ganzheit‘ im Werk Hans Volkelts. In: Leugers-Scherzberg A. H./Scherzberg L. (Hg.): Diskurse über „Form“, „Gestalt“ und „Stil“ in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Saarbrücken: Universaar, S. 195–216, http://universaar.uni-saarland.de/journals/index.php/tg_beihefte/article/viewFile/1029/1079
- Heinze, C. (2021): Erziehungswissenschaft und pädagogisches Wissen. In: Kluchert, Gerhard/Horn, Klaus-Peter/Groppe, Carola/Caruso, Marcelo (Hrsg.): Historische Bildungsforschung. Konzepte, Methoden, Forschungsfelder. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2021, S. 365-372.
- Heinze, C./Horn, K.-P. (2011): Zwischen Primat der Politik und rassentheoretischer Fundierung – Erziehungswissenschaft im Nationalsozialismus. In: Horn, K.-P./Link, J. W. (Hg.): Erziehungsverhältnisse im Nationalsozialismus – Totaler Anspruch und Erziehungswirklichkeit. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 319–339.
- Matthes, E./Heinze, C. (2003): Johann Friedrich Herbart: Umriß pädagogischer Vorlesungen (=Werkinterpretationen pädagogischer Klassiker, hrsg. v. D.-J. Löwisch). Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 2003 (2011 nochmals als Sonderausgabe aufgelegt).