04.03.2025
Gastbeitrag Dr.in phil. Sandra Buchmüllers beim Wissenschaftsblog des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW
Zum Anlass des diesjährigen internationalen Frauentages verfasste unsere geschätzte Kollegin, Sandra Buchmüller, folgenden, prägnanten Gastbeitrag für den Wissenschaftsblog des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW in der Rubrik "Debatte" zum Stand der Geschlechterforschung in Sachsen (hier im Original zu finden):
Der Internationale Frauentag geht auf die Idee und Initiative der in Sachsen geborenen Politikerin, Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin zurück, wie ich in Vorbereitung auf diesen Artikel erfahren habe. Der 8. März ist ein wunderbarer Anlass, den Blick auf die Situation der Geschlechterforschung in Sachsen zu richten. Ich nehme dabei die Perspektive einer Geschlechter-Technikforscherin ein, die seit September 2022 als Gastwissenschaftlerin an der Fakultät Maschinenwesen der Technischen Universität Dresden tätig ist.
Geschlechterforschung an der TU Dresden
Meine flexibel-prekären Arbeits- und Anstellungsverhältnisse haben mich über verschiedene Hochschulstandorte an diesen Ort geführt – Förder- und Karriereprogrammen für Wissenschaftlerinnen sei Dank. Eine wichtige Rolle spielt aber auch Cornelia Breitkopf, Professorin für Thermodynamik, die sich auf unterschiedlichen Ebenen für Geschlechtergerechtigkeit in den Ingenieurwissenschaften einsetzt. Hier in Dresden habe ich macht-, innovations- und geschlechterkritische Perspektiven und Ansätze in ingenieurwissenschaftliche Lehrveranstaltungen und Forschungsanträge eingebracht sowie mich als Beitragende und Mitorganisatorin in interdisziplinären Veranstaltungs- und Diskussionsformaten engagiert, wie z. B. den von der GenderConceptGroup organisierten GenderLectures. Als Teil dieser großartigen Gruppe weiß ich aber auch um die strukturellen Probleme der Geschlechterforschung an der TU Dresden. Dieses Forschungsfeld zu fördern und sichtbar zu machen, bedarf eines über die eigentliche Arbeit hinausgehenden, umfangreichen Engagements – eine Situation, die nicht nur für die TU Dresden kennzeichnend, sondern auch an anderen Forschungs- und Hochschulstandorten in Sachsen anzutreffen ist.
Geschlechterforschung in Sachsen
Dabei unterstreicht der Deutsche Wissenschaftsrat (WR) in seinem 2023 veröffentlichten Gutachten, wie wichtig der Beitrag der Geschlechterforschung für die Qualität und die Sicherung der Gesellschaftsrelevanz von Forschung und Entwicklung ist. Für Sachsen zeichnet die Bestandsaufnahme des WR ein prekäres Bild. Neben dem wesentlich kleineren Saarland ist dieses Bundesland das einzige ohne Professuren mit Gender-Denomination, ohne Zertifikate und Studiengänge in diesem Fachgebiet, ohne Zentrum für Geschlechterstudien, geschweige denn einem landesweiten, hochschulübergreifenden Netzwerk für Geschlechterforschung. Und dies, obwohl die Bedeutung der Zentren und Netzwerke als Anlaufstellen für Wissenschaft, Forschung, Gesellschaft und Politik klar belegt sind. Folgt man den Übersichten aus dem Bericht des WRs, die auf Daten des Jahres 2022 zurückgehen, gibt es in Sachsen zwei „Geschlechterforschungszentren“. Aktuell sieht die Lage bereits anders aus: Das Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Leipzig wurde Ende September 2024 geschlossen und bei der bereits erwähnten GenderConceptGroup an der TU Dresden handelt es sich um keine institutionalisierte Einrichtung, sondern um einen Zusammenschluss engagierter, geschlechterforschungsinteressierter Wissenschaftler:innen und Mitarbeiter:innen ohne kontinuierliche finanzielle Ausstattung.
Strukturelle Entwicklungen der Geschlechterforschung in Deutschland
Schaut man in andere Regionen Deutschlands, erhalten aktuell neun westdeutsche und zwei ostdeutsche Wissenschafts- und Forschungsstandorte, darunter die Universitätsmedizin in Greifswald und die Friedrich-Schiller-Universität in Jena, eine Strukturförderung durch die BMBF-Förderlinie „Geschlechteraspekte im Blick (GiB)“. In Übereinstimmung mit aktuellen Anforderungen von Forschungsförderinstitutionen und -programmen wie der DFG oder Horizon Europe und Publikationsrichtlinien renommierter Wissenschaftsmagazine verfolgt sie das Ziel, eine bedarfsorientierte Integration von Geschlechter- und Vielfaltsaspekten in der Forschung und Entwicklung aller Fachgebiete sicherzustellen, „um eine exzellente Ausrichtung der Forschung voranzutreiben und dazu beizutragen, die Lebenssituation aller Menschen zu verbessern“ (BMBF 2021). Sachsen geht auch hier leer aus. Es ist also zu erwarten, dass sich die Kluft zu anderen Wissenschaftsstandorten hinsichtlich der Geschlechterforschungskompetenzen in Zukunft verschärfen wird.
Die Lage der (sächsischen) Geschlechterforschung im aktuellen politischen Spannungsfeld
Die zunehmenden Angriffe aus politisch rechtsnationalen Kreisen geben nicht nur in Ostdeutschland Anlass zur Sorge. Den Höhepunkt stellte jüngst die ungeschminkte Ankündigung der AfD-Kanzlerkandidatin dar, die Gender Studies unter ihre Amtsführung abschaffen zu wollen. Die Fachgesellschaft Geschlechterstudien reagierte unverzüglich mit einer Stellungnahme, welche die Äußerung als Angriff auf die Demokratie und auf die gesetzlich verankerte Wissenschaftsfreiheit in Forschung und Lehre einordnet und der sich bundesweit viele Hochschulen und Forschungseinrichtungen anschlossen. Wegen der versäumten institutionellen Verankerung sind solche Entwicklungen für die sächsische Geschlechterforschung besonders brisant.
Was nun? Was tun!
Vor diesem Hintergrund sah ich gemeinsam mit interessierten Kolleginnen der TU Dresden die Notwendigkeit, über die prekäre Lage der sächsischen Geschlechterforschung aufzuklären. Nahezu zeitgleich kam das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG) – so die Bezeichnung unter der damaligen Leitung Bündnis 90/DIE GRÜNEN – mit der Idee auf uns zu, eine sachsenweite Veranstaltung zu organisieren. Der Einladung zum Fachtag „Geschlechterforschung in Sachsen – Vernetzungstreffen zu Perspektiven nach 2024“, der am 8. November 2024 an der TU Dresden stattfand, folgten zahlreiche Forschende aus unterschiedlichen Fachgebieten und sächsischen Hochschul- und Forschungseinrichtungen sowie Akteur:innen aus Hochschulleitung, Gleichstellung und Landespolitik. Die große Resonanz zeigt den dringenden Bedarf an Austausch und Vernetzung in inhaltlicher Hinsicht, aber auch für die wechselseitige Rückenstärkung gegen hochschulinterne und externe Widerstände. Die Veranstalter:innen erarbeiten derzeit eine Veröffentlichung zu diesem Fachtag. Zudem ist geplant, dass interessierte Teilnehmer:innen ein Positionspapier zur sächsischen Geschlechterforschung nach Muster des Eckpunktepapiers des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW entwickeln.
Aus Achtung vor den Errungenschaften unserer feministischen Vordenker:innen und Vorkämpfer:innen und zur Sicherung einer sozial gerechten Wissenschaft gibt es also keine Alternative für Deutschland als: Zusammen weitermachen – innerhalb Sachsens und darüber hinaus!
Ich danke meinen Ko-Autor:innen Prof.in Dr.in Maria Häusl, Dr.in Monika Valtink, Dr.in Anja Blüher, Antje Burckhardt und Leandro Richter.
Literatur
Buchmüller, Sandra (2024): Bericht zum Fachgespräch Geschlechterforschung in Sachsen. Letzter Zugriff am 26.02.2025 unter https://www.justiz.sachsen.de/smj/fachgespraech-geschlechterforschung-9049.html
Bundesministerium für Bildung und Forschung (2021): Bekanntmachung. Richtlinie zur Förderung von Strukturen zur systematischen Berücksichtigung von geschlechtsbezogenen Aspekten in Forschungsfragen („Geschlechteraspekte im Blick“), Bundesanzeiger vom 20.07.2021. Letzter Zugriff am 25.02.2025 unter https://www.bmbf.de/SharedDocs/Bekanntmachungen/DE/2021/07/Bekanntmachung17_Geschlechteraspekte.html.
Finzsch, Norbert (2025): Angriffen auf die Freiheit von Forschung und Lehre entschlossen entgegentreten! Letzter Zugriff am 25.02.2025 unter https://www.fg-gender.de/angriffen-auf-die-freiheit-von-forschung-und-lehre-entschlossen-entgegentreten/.
Hervé, Florence (2024): Clara Zetkin. Letzter Zugriff am 25.02.2025 unter https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/clara-zetkin.
Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW (2024): Eckpunkte zur Weiterentwicklung der Geschlechterforschung in NRW auf der Basis der Empfehlungen des Wissenschaftsrates. Letzter Zugriff am 25.02.2025 unter https://www.netzwerk-fgf.nrw.de/fileadmin/media/media-fgf/download/publikationen/netzwerk_fgf_eckpunktepapier_240325_final_web-1.pdf.
Wissenschaftsrat (2023): Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Geschlechterforschung in Deutschland. https://doi.org/10.57674/9z3k-1y81