16.05.2020
Es bedarf einer lebendigen Sprache - Nachruf auf Prof. Dr. Wilfried Wiegand
Am 8. Mai 2020 ist Prof. Dr. Wilfried Wiegand (geb. 24. Januar 1937 in Berlin) gestorben. Seit 2003 unterrichtete er an der TU Dresden und wurde fünf Jahre später zum Honorarprofessor am Institut für Kunst- und Musikwissenschaften ernannt sowie 2017 zum Ehrendoktor unserer Universität. Nach dem Studium in München und Hamburg und einer Promotion zur Niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts im Jahre 1971, hat Wiegand seine berufliche Karriere als Redakteur bei der „Welt“ begonnen. Sodann ist er über den „Spiegel“ zur „FAZ“ gekommen, für die er von 1975 bis 2001 tätig war. Er war Korrespondent in New York und Paris und von 1986 bis 1996 Chef des Feuilletons. Wiegand war Stipendiat der Villa Massimo und erhielt 2005 den Kulturpreis der deutschen Gesellschaft für Fotografie.
Unserer Universität war er über mehr als zehn Jahre verpflichtet und hat sein Wissen regelmäßig durch Seminare und zahlreiche Vorträge den Studierenden der Kunstgeschichte zur Verfügung gestellt. Legendär sind seine Veranstaltungen zum Creative Writing. Ebenso wichtig waren seine Seminare zur Fotografie, mit denen er das Lehrprogramm in idealer Weise ergänzen konnte. Wiegand hat wie kein anderer Lehrer am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft auf anschauliche Weise über die fundamentale Bedeutung der Sprache nachgedacht. Sein Gesundheitszustand hat ihm in der letzten Zeit keine Lehre mehr ermöglicht.
Die Studierenden, die ihn erlebten, haben unvergessliche Momente vor Augen, wenn er mit zahlreichen Zeitungen ausgestattet ins Seminar kam und über die Qualität von Texten sprach - über die Bedeutung des ersten Satzes und die Planung der Text-Dramaturgie. In einer Zeit zunehmender Zersplitterung von Interessen und Normen gibt es in Bezug auf die Sprache keinen Konsens mehr. Und dennoch setzen wir als Lehrende einen solchen voraus. Sprache verbindet und sie definiert das Niveau, auf dem dies geschieht. Er riet den Studierenden deshalb, klar, kurz und einfach zu schreiben. Es bedarf der nachvollziehbaren Erzählung, die uns zuhören und aufmerken lässt.
Die Phänomene dürfen kompliziert sein, nicht aber das Sprechen darüber. Wissenschaft ist schlecht beraten, wenn sie sich in den Elfenbeinturm zurückzieht und ihre Erkenntnisse nicht mehr überprüfbar sind.Wenn wir Wilfried Wiegand in ehrenvoller Erinnerung behalten, dann auch dafür, dass er Zeit seines Lebens dieser Aufgabe nicht aus dem Weg gegangen ist.
In mehrfacher Hinsicht hat Wiegand die Kunstgeschichte seiner Zeit mitbestimmt und das Fach für die Foto- und Filmgeschichte sensibilisiert. Er war selbst ein großer Sammler der Fotografie und hat gemeinsam mit seiner Frau Uta eine bedeutende Kollektion aufgebaut, die zum großen Teil dem Frankfurter Städel als Schenkung zu Gute gekommen ist. Wiegand hat über Jahrzehnte hinweg durch seine Rezensionen das Kulturleben bereichert und dabei klare Positionen bezogen. Er war technischen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen, was seine Auseinandersetzung mit Fotografie und Film zeigt und zugleich mit großem Enthusiasmus der alten Kunst zugetan. Er war für uns alle ein anregender Gesprächspartner. Die Lehrenden der Philosophischen Fakultät und besonders des Instituts für Kunst- und Musikwissenschaft sind stolz auf diesen außergewöhnlichen Kollegen und behalten ihn in lebendiger Erinnerung.
Jürgen Müller