05.01.2021
Nachruf auf Prof. Dr. Karlheinz Blaschke
Die Philosophische Fakultät trauert um Prof. Dr. Karlheinz Blaschke (04.10.1927–25.12.2020), Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische Landesgeschichte 1992–1998
Am 25. Dezember 2020 ist Karlheinz Blaschke, der erste Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische Landesgeschichte an der TU Dresden, im Alter von 93 Jahren verstorben. Er wurde am 4. Oktober 1927 im nordböhmischen Schönlinde geboren und wuchs in der Nähe von Leipzig auf. An der Universität Leipzig studierte er seit 1946 Geschichte und Latinistik und wurde dort 1950 als Schüler von Rudolf Kötzschke mit einer Arbeit zu den fünf neuen Leipziger Universitätsdörfern promoviert (Diss. masch. Leipzig 1950). Im Anschluss erfolgte die Archivarsausbildung am Institut für Archivwissenschaft in Potsdam. Von 1951 bis 1968 war Blaschke am Landeshauptarchiv Dresden (heute Hauptstaatsarchiv) tätig, in dieser Zeit erfolgte 1962 die Habilitation an der Universität Leipzig mit einer Arbeit zur Bevölkerungsgeschichte von Sachsen vom Mittelalter bis zur Industriellen Revolution (Weimar 1967). Blaschke erhielt im Anschluss aber nicht die für eine Berufung auf eine Professur notwendige Zuerkennung der Venia legendi. Vielmehr war er bereits spätestens seit dem Mauerbau immer stärkerem ideologischen Druck ausgesetzt. Schließlich wurde er als Abteilungsleiter im Archiv abgesetzt und wechselte 1968 auf eine Dozentur am Theologischen Seminar Leipzig, eine der drei Hochschulen in der DDR in selbstständiger Trägerschaft der evangelischen Kirche, was ihn in gewisser Weise dem staatlichen Zwang entzog. Nach der Wende war Blaschke seit 1991 Leiter des Referats für Archivwesen im Sächsische Innenministerium und wurde schließlich 1992 auf den neugegründeten Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte an der TU Dresden berufen, den er bis zu seiner Emeritierung 1998 innehatte.
Blaschke war einer der profiliertesten Kenner der sächsischen Landesgeschichte, der sich dieser Disziplin auch in der DDR-Zeit entgegen dem staatlich verordneten Trend intensiv gewidmet und nach der Wende maßgeblich zu ihrer Re-Etablierung und Renaissance beigetragen hat. Das Spektrum seiner Arbeiten reichte vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert, mit einem Schwerpunkt in der Frühen Neuzeit. Wenige Jahre nach der Auflösung der Länder in der DDR und damit auch des Freistaats Sachsen im Jahre 1952 legte er ein Historisches Ortsverzeichnis für Sachsen vor (Leipzig 1957), das ein halbes Jahrhundert später unter Mitarbeit von Susanne Baudisch in erheblich erweiterter Form herausgegeben wurde (Leipzig 2006) und mittlerweile als digitales Historisches Ortsverzeichnis vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) online weitergeführt wird. Ein großes, lebenslanges Forschungsfeld stellten für Blaschke die Nikolauspatrozinien und deren Bedeutung für die Anfänge des europäischen Städtewesens dar. Er widmete diesem Zusammenhang 1967 einen ersten Aufsatz, vor wenigen Jahren erschien schließlich eine letzte große Synthese dieser Forschungen (Berlin 2013), wenngleich der Autor schon lange zuvor mit seinem monokausalen Modell zunehmend in die Kritik geraten war. Ein zweites, sicherlich ertragreicheres Lebensthema Blaschkes war die sächsische Geschichte des 16. Jahrhunderts. Der Reformation in Sachsen und dem Wettiner Moritz von Sachsen als Vertreter der zweiten Generation der Reformationsfürsten widmete er zwei Monographien, die bereits zu DDR-Zeiten in der Bundesrepublik erschienen (Gütersloh 1970 und Zürich/Göttingen 1984). Überhaupt gehörte Blaschke zu den Historikern in der DDR, die regelmäßig auch im Westen publizierten und dort bekannt waren, nicht zuletzt, weil die wissenschaftliche Anerkennung im Osten ihm als – nach eigener Aussage – „bürgerlichem Historiker am Rande der DDR“ und überzeugtem Christen verwehrt blieb, aber sicherlich auch, weil die Kötzschke-Schule der Landesgeschichte durch eine ganze Reihe ehemaliger Leipziger Historiker in der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft sehr präsent war. Im Jahr der Wiedervereinigung 1990 publizierte Blaschke folgerichtig parallel in West und Ost eine weitere Monographie, die der Geschichte Sachsens im Mittelalter gewidmet ist (München 1990 und Berlin 1990).
Zu den wichtigen Weichenstellungen, die Blaschke in den 1990er Jahren für die Landesgeschichte in Sachsen bewerkstelligte, gehörte die Wiederbegründung der traditionsreichen landesgeschichtlichen Zeitschrift „Neues Archiv für Sächsische Geschichte“, das 1942 mit Band 63 eingestellt worden war und nach fünfzigjähriger Zwangspause 1993 mit Band 64 wieder erscheinen konnte. Außerdem engagierte er sich gemeinsam mit anderen regionalen Akteuren für die Einrichtung eines außeruniversitären landeskundlichen Forschungsinstituts, das dann 1997 auf Beschluss des Sächsischen Landtags mit dem ISGV gegründet wurde. Schließlich ist auf den Atlas für Geschichte und Landeskunde von Sachsen hinzuweisen, den Blaschke bereits in den 1950er Jahren in Anknüpfung an Überlegungen aus der Frühzeit der sächsischen Landesgeschichte geplant hatte, aber aufgrund der wissenschaftspolitischen Lage in der DDR nicht realisieren konnte. Von 1992 bis 2010 wurde das Projekt dann mit einer Arbeitsstelle an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig als Langzeitprojekt gefördert und leistete wertvolle Grundlagenforschung.
Für seine vielfältigen Verdienste wurde Blaschke 1997 mit der Sächsischen Verfassungsmedaille und 1999 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse geehrt. Er war ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste und Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften sowie weiterer gelehrter Vereinigungen.
Die Sächsische Landesgeschichte verliert mit Karlheinz Blaschke einen ihrer wichtigsten Wegbereiter. Der Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte und die Philosophische Fakultät der TU Dresden werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Dresden, 3. Januar 2021
Andreas Rutz