02.03.2020
Dr. Anna-Maria Schielicke zu Gast im MDR bei "Fakt ist!"
Alltäglicher Hass - Gehört Beleidigen inzwischen zum guten Ton?
Dr. Anna-Maria Schielicke vom Institut für Kommunikationswissenschaft (IfK) ist zu Gast im MDR
Am Montagabend (17.02.20) diskutierte Dr. Anna-Maria Schielicke (IfK) über den Umgang mit Hasstiraden und Herabwürdigungen im öffentlichen Raum im MDR bei Fakt ist! Aus Dresden.
Dr. Schielicke forscht u.a. zu den Vorformen von Hatespeech, die sog. gefährliche Sprache, welche sich bereits in Stigmatisierungen, Stereotypisierungen oder Gruppenbildung äußert. Auf die Frage, wer die Menschen sind, die im Netz beleidigen und hetzen, erklärt Schielicke, dass es bislang nur wenige Profiling-Studien gibt. Grob kann aber in 2 Gruppen unterschieden werden: Einerseits die sog. Glaubenskrieger sowie die Trolle und Watchdogs auf der anderen Seite. Letztere verfolgen weder bestimmte Personen oder noch haben sie eine bestimmten Agenda. Ihnen würde es vielmehr primär darum gehen, Menschen in Foren auf die Palme zu bringen. Viel problematischer gestaltet es sich aber bei den Glaubenskrieger, die sich nochmal in Soldaten und Gläubige unterteilen lassen. Sie fühlen sich einer bestimmten Organisation zugehörig und propagieren ihre oftmals rechten Ideologien bzw. treten für sie ein.
Im weiteren Verlauf der Sendung plädiert Schielicke für eine stärkere Wahrnehmung des Internets als öffentlichen Raum. Hierbei betont sie ebenso, dass Sanktionrungen von Hasstiraden wieder stärker in den Vordergrund treten müssen, nicht nur von Seiten der Justiz, sondern vor allen Dingen durch die Zivilgesellschaft selbst. Ihrer Annahme zufolge nehmen viele Menschen das Internet als erweiterten Stammtisch war. "Allerdings: In einer sozialen Situation würde wahrscheinlich jemand mit am Tisch sitzen, der Kontra geben würde […] und das findet im Netz leider nicht statt." Die Illusion, dass Internet wäre kein öffentlicher Raum kann auch dadurch entstehen, dass es keinen direktes Gegenüber gibt mit dem man Augenkontakt hat. "Man tippt das schnell in den Computer ein und dann klappt man ihn zu und setzt sich damit auch nicht dem Risiko aus, irgendwie Widerspruch zu erfahren. Das ist schnell geschrieben und dann sind es auch Dinge, die man im persönlichen Gespräch nicht so sagen würde." Die Kompetenz, das Internet als öffentlichen Raum zu verstehen, sollte schon in der Schule vermittelt werden. Schielicke appelliert weiter: "was ihr in eurem Leben verteidigen würdet an Werten usw. und wie man miteinander umgeht und wie man miteinander redet – genau das Gleiche müsst ihr auch im Internet tun."
Im Schlagabtausch mit dem Bügermeister von Augustusburg unterstreicht Schielicke, dass nicht der Eindruck entstehen darf, dass nur die wütenden Bürger*innen im Netz Aufmerksamkeit bekommen würden. Auch das Argument der Politikverdrossenheit oder die Befürchtung einer gestörten Kommunikation zwischen Politik und Gesellschaft würde keineswegs verbale Angriffe im Netz relativieren oder entschuldigen. Denn es gibt andere Wege wie Demonstrationen, Petitionen oder Bürgersprechstunden, um seinen Unmut zu platzieren. Hier ergänzt Anna-Mareike Krause – Social-Media-Expertin beim rbb – und sagt: "Ich finde das auch immer so ungerecht zu sagen: die Kommunikation ist gestört und […] deswegen schreiben die so schlimme Kommentare ins Netz. Das finde ich so unfassbar ungerecht gegenüber all denjenigen, die auch Strukturwandel durchleben müssen, soziale Unsicherheit, die die ganzen gleichen existentiellen Themen haben.“ Dr. Schielicke führt treffend zu Ende: „Und trotzdem nicht den Anstand verlieren“.
Hier könnt ihr euch die gesamte Sendung in der MDR-Mediathek ansehen