Agonale Invektiven. Schmährededuelle im italienischen und deutschen Humanismus
Teilprojektleiter
Prof. Dr. Uwe Israel
Kontakt
uwe.israel@tu-dresden.de
Wissenschaftlich Beschäftigte
Projektbeschreibung
Das Projekt untersucht die invektiven Kommunikationsformen im italienischen und deutschen Humanismus, in dem sie einen bedeutenden Stellenwert hatten. Es verfolgt die Fragen, welche Funktion die humanistischen Invektiven im Hinblick auf Gruppenbildungsprozesse hatten, wie sie Grenzen von Kommunikation verschoben und in welcher Weise sie auf die reformatorischen Auseinandersetzungen Einfluss nahmen. Mit Hilfe einer an der Antike geschulten Oratorik perfektionierten die Humanisten ihre sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten zwischen (inszenierter) Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Ihre rhetorische Virtuosität gestattete es ihnen, sich nach außen sichtbar als eigene Gruppe zu konstituieren und Konflikte untereinander in elaborierter Form auszutragen. Das Teilprojekt zeigt auf, wie mit solchen Invektiven Macht- und Geltungskonkurrenzen ausgefochten wurden und sich soziale Gruppen durch Inund Exklusionsmechanismen formierten. Es geht von der These aus, dass es gerade das Medium des Invektiven war, das Gruppenbildungsprozesse anregte, die zu den weitverzweigten Zirkeln, Sodalitäten und Akademien der neuen Bewegung des Humanismus führten. Dabei wird insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen der durch Invektiven dynamisierten inneren Konkurrenz unter den Humanisten und der Abgrenzung der Gesamtgruppe nach ‚außen‘, gegenüber den Nichthumanisten, zu analysieren sein. Hier ist zum einen nach der Bedeutung des Invektiven für das dahinter zu erkennende Bemühen um die Durchsetzung einer neuen Bildungsbewegung durch Diskreditierung der alten zu fragen: Gemeinsam sollte die Scholastik überwunden und Latinität auf zumindest klassischem Niveau sowie eine neue Theologie im Sinne der Devotio moderna durchgesetzt werden. Wer dem nicht folgen wollte oder konnte, wurde mit beißendem Spott überzogen und als Imbeziler oder Irrgläubiger stigmatisiert. Auf der anderen Seite aber zeugt die Bereitschaft, eine Invektive zu adressieren bzw. sie zu beantworten, von der Zubilligung gegenseitiger Satisfaktionsfähigkeit. Insofern wird zu erforschen sein, inwiefern Invektivität zur Einhegung von Konflikten auf dem diskursiven Feld und zur sozialen Integration der Humanistengemeinschaft insgesamt beitrug. Die Frage nach einer Regelhaftigkeit im Ablauf der Schmährededuelle verweist zugleich auf kulturelle Modelle aus anderen agonalen Arenen der Zeit: Inwiefern, so soll gefragt werden, wurde mit Invektiven ein kompetitives Kräftemessen ausgetragen, wie es auch beim gleichzeitigen Ehrenduell, sportlichen Wettkampf, etwa im italienischen Palio und Calcio, oder Wettbewerb im Rahmen der Kunstpatronage zu beobachten ist? Auch bei diesen Praktiken kam es in der Renaissance regelmäßig zu persönlichen Entehrungen, Schmähungen und Herabwürdigungen der Gegner. Es stellt sich bei diesem Vergleich aber die Frage, inwiefern das Invektive überhaupt einzuhegen ist, ob es sich also nicht grundsätzlich einer Regelhaftigkeit entzieht und insofern über das Agonale hinausweist. Das Projekt fragt danach, inwiefern Konkurrenzen um einflussreiche Positionen unter den Humanisten, etwa bei Poggio Bracciolini, der sowohl am Papsthof als auch in der Kommune von Florenz in höchster Stellung war, in der ersten Hochphase des Humanismus zum wechselseitigen Austausch von Invektiven führten, die zugleich eine gruppendynamische Funktion hatten. Es ist wohl kein Zufall, dass in diesem Kontext mustergültige Formen gefunden wurden, die große Wirkung auf Literaten auch außerhalb Italiens hatten. Vergleichend soll daher außerdem gefragt werden, ob und, wenn ja, wie diese Invektiven die Entwicklung im Reich nördlich der Alpen beeinflussten. Hier wird der Untersuchungszeitraum bis ins erste Viertel des 16. Jahrhunderts ausgedehnt, um einerseits einer zeitlichen Phasenverschiebung des intensiven Gebrauchs von Invektiven zwischen Italien und Deutschland Rechnung zu tragen und andererseits ihre Rolle bei der Etablierung von Sodalitäten verfolgen zu können, die hier seit der Jahrhundertwende vermehrt zu beobachten sind. Exemplarisch wird dies an den Invektiven Ulrich von Huttens geschehen, der durch wiederholte Aufenthalte an verschiedenen nördlich wie südlich der Alpen gelegenen Universitäten in breiten transalpinen Verbindungen stand und über unmittelbare Kenntnisse des jeweiligen Invektivengebrauchs verfügte. Vergleiche zwischen dem italienischen und deutschen Humanismus werden Konjunkturen und Transferwege des Invektiven aufweisen und zur Klärung beitragen, in welchem Verhältnis seine Formen, Konstellationen und Funktionen zu den jeweiligen kulturellen Milieus standen. Dabei wird zu fragen sein, ob und in welcher Weise humanistische Invektiven mit anderen gleichzeitig zu beobachtenden agonalen Praktiken kontrastiert werden müssen, um herauszufinden, ob und inwieweit das Invektive allgemein verbreiteten kulturellen Regeln folgte. In diesem Zusammenhang wird am Beispiel von Georg Spalatin und Paul Bachmann untersucht, welchen Einfluss humanistische Invektiven auf reformatorische Invektiven hatten.
Weitere Informationen zum Sonderforschungsbereich im Allgemeinen und dem Teilprojekt im Speziellen können Sie dem Internetauftritt des SFB´s entnehmen.