Feb 28, 2022
Erklärung gegen den Krieg in der Ukraine
Offener Brief der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO)
Wir sind in tiefer Sorge um die Ukraine, um unsere Kooperationspartner und Kolleg*innen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor Ort, aber auch um Künstler*innen, Intellektuelle, Schriftsteller*innen, Kulturschaffende und Studierende in der Ukraine. Sie alle haben in den letzten Jahren intensiv dazu beigetragen, die Ukraine trotz aller Turbulenzen zu einem demokratischen, pluralistischen, offenen Land zu entwickeln.
Der russische Präsident hat in seiner inoffiziellen Kriegserklärung deutlich gemacht, dass genau diese Transformationsleistung der Ukrainer*innen, ihre mutig und bitter erkämpfte Freiheit und Demokratisierung Gründe für den Einmarsch der russischen Armee sind. Vladimir Putin benennt die „Denazifizierung“ und „Demilitarisierung“ der Ukraine als Kriegsziele. Über die Bedeutung dieser Begriffe darf man sich keine Illusionen machen: Wir müssen fest davon ausgehen, dass die russische Führung im Falle einer militärischen Eroberung der Ukraine genau jene Personen abstrafen wird, die den demokratischen Wandel, die Pluralisierung und das Aufblühen der ukrainischen Zivilgesellschaft getragen haben. Wir befürchten umfassende „Säuberungen“ und Schauprozesse, die die gesamte politische, zivilgesellschaftliche, intellektuelle, kulturelle, journalistische und ökonomische Elite der Ukraine betreffen. Auch die Ankündigung der „Demilitarisierung“ der Ukraine muss als Plan zur Absetzung oder gar Ermordung führender Personen und Strukturen des Militärs, der Behörden und Verwaltungen, der Polizei und Sicherheitsdienste verstanden werden. Alle Zeichen aus Putins Reden und dem nach festem Skript ablaufenden Krieg lassen keinen anderen Schluss zu.
Wir fordern daher die deutsche Bundesregierung dringend dazu auf,
• mit allen gefährdeten Personen in der Ukraine aus Politik, Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur, Wissenschaft und Forschung, Ökonomie und Verwaltung in Kontakt zu treten und Evakuierungs-Szenarien zu entwerfen;
• ein Programm zur sofortigen Aufnahme ukrainischer Wissenschaftler*innen, Studierender und Kulturschaffender an deutschen und europäischen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Kultureinrichtungen in Absprache mit den europäischen Partner*innen zu entwerfen;
• die russischen Wissenschaftler*innen, Intellektuellen, Journalist*innen und mutigen Bürger*innen, die sich gegen ihre Führung und diesen Krieg positionieren, durch diplomatische, zivilgesellschaftsbezogene und finanzielle Hilfe zu unterstützen;
• der demokratischen Ukraine bereits heute die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union anzubieten, sobald dieser Krieg und die mögliche russische Besatzung der Ukraine beendet sind.
All diese Schritte müssen unverzüglich umgesetzt werden, denn wir rechnen damit, dass es insbesondere für die Träger*innen der Demokratisierung in der Ukraine in den nächsten Tagen oder gar Stunden um Leben oder Tod geht.