Dominikanische Expertise in der lateinisch-griechischen Kontroverse
Das 13. Jahrhundert stellt eine zentrale Epoche für die Geschichte der Beziehungen zwischen Lateinern und Griechen, zwischen Ost- und Westkirche dar. Die Eroberung Konstantinopels durch die lateinischen Kreuzfahrer im Jahr 1204 und die daran anschließende Etablierung eines lateinischen Kaiserreichs (1204-1261) gilt in der Forschungslandschaft als signifikantes, ja als auschlaggebendes Ereignis in der Konfliktgeschichte zwischen dem lateinischen Westen und dem griechischen Osten. Den gerade erst neu gegründeten Mendikantenorden kam vor dem Hintergrund ihres missionarischen Ordensauftrags und wesentlich unterstützt durch ihre flächendeckenden Ordensstrukturen eine gewichtige Rolle innerhalb der literarisch-theologischen Kontroverse mit den Griechen zu. Das beantragte Projekt befasst sich mit einem Schlüsselwerk der griechisch-lateinischen Kontroverstheologie, dem sogenannten Tractatus contra Graecos (Incipit: Licet grecorum ecclesiam), der im Jahr 1252 in Konstantinopel von einem hoch gebildeten, in der griechischen Theologie und Sprache versierten anonymen Dominikaner verfasst wurde. Das Werk, das der Forschung bislang nur in einer sehr fehlerhaften Transkription aus dem Jahr 1616 zur Verfügung steht, fand neben seiner Wirkung im 13. Jahrhundert vor allem im Umkreis der Konzilien von Basel (1431-1449) und Ferrara-Florenz (1438-1445) große Verbreitung – ein Befund, der aus einer ersten Sichtung der handschriftlichen Überlieferung gewonnen werden kann und der auf den großen Einfluss des Werkes im Umkreis des wichtigsten konziliaren Unionsversuchs des Mittelalters schließen lässt.
Das Projekt verfolgt zwei Ziele, die auf unterschiedlichen Ebenen die Innovationskraft des dominikanischen Werkes für die ost-westlichen Beziehungen zwischen dem 13. und dem 15. Jahrhundert veranschaulichen sollen: (1) Durch die Erstellung einer kritischen Edition (inkl. deutsche Übersetzung) des Tractatus contra Graecos soll eine verlässliche Textbasis geschaffen werden, womit die Projektleiterin auf ein in der Forschung mehrfach geäußertes dringendes Desiderat reagiert. (2) Die nachweislich rege Rezeption des Werkes im Spätmittelalter spricht für eine bislang nicht beachtete Wirkungsgeschichte des anonymen Dominikaners auf den lateinisch-griechischen Dialog gerade auch am Beginn der Neuzeit: Spuren und Stationen dieser Rezeptionsgeschichte sollen bis zum und vor allem im Umfeld des Konzils von Ferrara-Florenz in der Mitte des 15. Jahrhunderts nachgezeichnet werden.
Involvierte Forschungsstätten:
- USA: Medieval Institute der University of Notre Dame/IN (https://medieval.nd.edu/)
- Deutschland: Monumenta Germaniae Historica (MGH), München (https://www.mgh.de/)
- Österreich: Institut für Historische Theologie, Universität Wien (https://kg-ktf.univie.ac.at/)
Publikationen, die aus dem Projekt entstanden sind:
- Tractatus contra Graecos (1252), cur. Andrea Riedl, Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis (CCCM 303), Turnhout: Brepols Publishers, erscheint 2020 (FWF-Drittmittelprojekt, Nr. J 4094)
- Riedl, Andrea: Kirchenbild und Kircheneinheit. Der anonyme dominikanische Tractatus contra Graecos (1252) in seinem theologischen und historischen Kontext, Berlin: De Gruyter (= Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie 69), erscheint 2020 (FWF-Projektförderung PUB 774-Z)
Weitere Projekt-Informationen: Medieval Studies Research Blog des Medieval Institute der University of Notre Dame/IN