Dec 01, 2021; Colloquium
„Testimonialität und ihre Pathologien“ Institutskolloquium im WS2021/22"Kein Mensch ist eine Insel: Soziale Normen und epistemische Abhängigkeit" - Felix Bräuer im Institutskolloquium
Beginn: 18:30 Uhr Ort: Zoom-Meeting ID: 815 3530 7434 Kenncode: kL5eZ%0c
Abstract: Unter welchen Bedingungen ist ein Zuhörer gerechtfertigt, der Behauptung eines Sprechers zu glauben? Zwei Antworten auf diese Frage beherrschen die philosophische Debatte. Antwort eins: Die Rechtfertigungsgründe des Zuhörers müssen letztlich von der Behauptung des Sprechers unabhängig sein – der Zuhörer ist sich zum Beispiel bewusst, dass sich der Sprecher in der Vergangenheit als ehrlich und kompetent erwiesen hat. Antwort zwei: Der Umstand das der Sprecher eine Behauptung getätigt hat, rechtfertigt den Zuhörer, zumindest prima facie, das Behauptete zu glauben. Welcher der beiden Antworten plausibler erscheint, hängt davon ab, welches Beispiel wir betrachten. Denken wir an eine Ärztin, die vor einer gefährlichen Operation eine Kollegin konsultiert, dann erscheint die erste Antwort plausibler. Denken wir jedoch an einen gemütlichen Bummler, der einen Passanten nach der Uhrzeit fragt, dann wirkt die zweite Antwort einleuchtender. Das Ziel meines Vortrages ist es, eine Antwort auf die Ausgangsfrage vorzustellen, die unseren widerstreitenden Intuitionen gerecht wird. Ich werde dafür argumentieren, dass der Zuhörer in den meisten Alltagssituationen prima facie gerechtfertigt ist, dass zu glauben, was der Sprecher ihm sagt. Der Grund hierfür lautet, dass es eine soziale Norm gibt, die den Informationsaustausch regelt – grob gesagt: Ein Sprecher darf etwas nur dann behaupten, wenn er gute Gründe hat, dass Behauptete für wahr zu halten. Die hier skizzierte Rechtfertigung ist jedoch nicht stark genug, wenn eine Hochrisikosituation vorliegt. Daher benötigt der Zuhörer in einer solchen Situation stets zusätzliche Gründe, die belegen, dass er es mit einem besonders zuverlässigen Sprecher zu tun hat.